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Der junge Franz Walter hat gerade an der Humboldt-Universität promoviert, als er ein attraktives Angebot vom Auslandsnachrichtendienst der DDR erhält. Geblendet von den vielen Vorzügen, die der neue Job mit sich bringt, nimmt Franz das Angebot an. Gemeinsam mit seiner Freundin Corina genießt er zunächst das neue Leben. In seinem Vorgesetzten Dirk findet Franz einen ihm wohlgesinnten Mentor, der ihm während der gemeinsamen Auslandseinsätze in der BRD mit Rat und Tat zur Seite steht. Zunächst scheinen Franz‘ Missionen lediglich dem Informationsbedarf der DDR zu dienen, doch dieser wird bald größer und monströser. Als Franz bei seinen Arbeitsaufträgen plötzlich zu Mitteln greifen muss, die er nicht länger mit seinem Gewissen vereinbaren kann, entschließt er sich auszusteigen – doch der Geheimdienst will ihn nicht gehen lassen. Bald ist Franz bereit alle Grenzen zu überschreiten – und Alles zu riskieren. Franz‘ Überlebenskampf gegen ein erbarmungsloses System beginnt.
Regie: Franziska Stünkel
Drehbuch: Franziska Stünkel
Schnitt: Andrea Mertens
Kamera: Nikolai von Graevenitz
Schauspieler*innen: Lars Eidinger, Devid Striesow, Luise Heyer
Produktionsjahr: 2021
Land: Deutschland
Sprache: Deutsch
Länge: 1h55min
Genre: Drama, Thriller

Vergangene Epochen als Zentrum moralischer Tiefpunkte gelten als beliebter Schauplatz des verbitterten Konfrontationskinos. Welch Schrecken bereits durch zahlreiche Szenerien der Unterdrückung und Todesangst auf den Bildschirm gebannt worden ist, lässt sich längst nicht mehr an der Hand abzählen. Inmitten der konservativen Ideologie der politischen Überwachung und Kontrollierung des Volkes, setzt Nahschuss zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik sein Pulver in eine eckige Kerbe. Basierend auf den unaussprechlichen Verbrechen der unterschlagenen Todesstrafe im Gerichtsvollzug wird ein Spionagethriller aufgewickelt, der so beunruhigend und furchteinflößend ist, dass es zuweilen schwer auf der Brust lastet. Diese Last ist aber übergeordnet thematischer und nicht individueller Natur.

Letztendlich wissen Filme, die Gräueltaten, Missstände und Ungerechtigkeiten des damaligen Alltags widerspiegeln, ihrem Publikum immer auf den Zahn zu fühlen. Zusätzlich löblich zu erwähnen ist, dass Regisseurin Franziska Stünkel die in ihrem Film behandelte Epoche verstanden und dementsprechend schonungslos eingefangen hat. Eine graue Farbpalette, ruhige und triste Winkel und die positiv auffällige Abwesenheit von Musik untermalen Nahschuss in seiner kühlen, düsteren Ausstrahlung. Allerdings lassen sich die Figuren, Dialoge und sogar die Kamera wie Abziehbilder auf den nächstbesten Film eines ähnlichen Szenarios kleben. Demnach unterliegt er einem weit verbreiteten Phänomen dieses Nischengenres: Dem Schema F. Nahschuss ist ein Werk, welches in seiner Souveränität erst gen Ende hin, wenn es im persönlichen Kontext der Hauptfigur durch Mark und Bein fährt, wahrlich interessant wird. Es ist die allgemeine, stereotype Inszenierung, die dem Ganzen Abbruch tut.

So erzielt Nahschuss zum Teil die erwünschte Wirkung eines niederschmetternden Historiendramas, wirkt gleichzeitig aber wie das spröde Abklappern des dogmatischen Staatsapparates. Die Handlung und Charakterentwicklung des Protagonisten erinnert dabei stark an Florian Henckel von Donnersmarcks großartiges Werk Das Leben der Anderen, wobei zahlreiche Stärken besagten Werkes übernommen, jedoch neue Schwächen hinzugedichtet werden. Paranoia ist eine besondere Form der Spannung, da Paranoia immer einen starken Hang zur Realität aufzeigt. Davon macht Nahschuss zwar in einer gewissen Dosierung Gebrauch, schlägt in seiner Handlungsrichtung aber eine Konstante ein. Der Spannungsgrad hält sich dadurch auf einer soliden Kurve, an den Parametern wird über die volle Laufzeit dennoch nur geringfügig etwas geändert. Des Weiteren fällt die Entscheidung der Einbettung zweier Zeitebenen aus der aktuellen und vorigen Perspektive des Protagonisten weniger interessant aus, als gedacht, da das Drehbuch bedauerlicherweise keinen flüssigen Übergang zwischen den Parts ausbalancieren kann.

Zwischen dem notgedrungenen Schaffen des Jungprofessoren Franz Walter und seinem Aufenthalt im barbarischen Staatsgefängnis sammeln sich währenddessen charakterbetriebene Momente und Szenen, die in ihrer Konnektivität leider so unstimmig, so deplatziert wirken, dass die Etablierung des Figurengebildes beinahe komplett scheitert. Nach der atemberaubenden  Einleitungssequenz sind es die Figur des Franz Walter als klarer Sympathieträger des Filmes, seine kompetent in Szene gesetzte, radikale Entwicklung und Lars Eidinger, der in der Rolle nach einer chronischen Unterforderung zum Anfang brilliert, die bis zur ebenfalls atemberaubenden Endsequenz über den blassen Schleier der Erzählung hinweg trösten. Filme wie Nahschuss sind immer wichtig und sehenswert, dass die schwarzen Pranken sündhafter Ereignisse unserer Historie nicht nur in verstaubten Geschichtsbüchern zu lesen stehen. Muss es von jenen wichtigen und sehenswerten Filmen aber ausgerechnet Nahschuss sein, der seinen Weg vor die Augen des Publikums findet? Das steht auf einem anderen Blatt geschrieben.

6.0
Punkte