SynopsisCrewDetails
An Bord des russischen Handelsschiffs Demeter, das speziell für eine private Fracht gechartert wurde, passieren äußerst merkwürdige Dinge. Die unschuldig aussehende Fracht von vierundzwanzig nicht gekennzeichneten Holzkisten soll von den Karpaten bis nach London transportiert werden. Scheinbar dem Untergang geweiht, versucht die zunehmend verängstigte Besatzung alles, um die gefährliche Seereise zu überleben, wobei sie jede Nacht von einer furchteinflößenden Präsenz an Bord des Schiffes heimgesucht wird. Dem Kapitän bleibt nicht viel mehr übrig als dabei zuzusehen, wie ein Crewmitglied nach dem anderen spurlos verschwindet. Als die Demeter schließlich die Küste Englands erreicht, gleicht sie einem Wrack und von der Besatzung ist niemand mehr übrig.
© TMDB
Regie: André Øvredal
Drehbuch: Bragi Schutt, Zak Olkewicz
Schnitt: Christian Wagner, Julian Clarke, Patrick Larsgaard
Kamera: Tom Stern
Schauspieler*innen: Corey Hawkins, Aisling Franciosi, Liam Cummingham, David Dastmalchian
Produktionsjahr: 2023
Land: USA
Sprache: Englisch
Länge: 1h58min
Genre: Fantasy, Horror

Tosende Wellen spülen Unheil an die verregnete Küste Whitbys. Ein Schiffbruch erlittenes Handelsboot strandet im Herz eines Sturmes und erreicht über ungestüme Wege felsigen Grund, jedoch fehlt von der Besatzung jede Spur. Einziges Zeichen, dass jemals menschliches Leben an Bord gewesen ist, stellt das Logbuch des Kapitäns dar. Dieses wartet mit einer sinistren Botschaft auf, denn auch wenn ein tieferer Kontext den Leuchtturmwärtern an Land noch verwehrt bleibt, prophezeit der Kapitän denjenigen, die des Pechs hold sind, seine Memoiren zu finden, großes Leid: Hält man dieses Buch in den Händen, bedeutet es, dass „er“ das Festland erreicht hat.

Dass es sich bei „ihm“ um den einzig wahren Dracula handelt, weiß bereits jeder, der den Titel dieses Filmes liest und mit Bram Stokers Roman zur titelgebenden Figur vertraut ist. Seine Anwesenheit als blinder Passagier auf der Demeter und Schreckensherrschaft als Peiniger der ahnungslosen Crew wird in einem Kapitel behandelt, das den bösartigen Blutsauger an sein Ziel – nämlich London – bringt. Basierend auf diesem Auszug entfesselt Regisseur André Øvredal eine Kreuzfahrt des Terrors, der man aber durchaus anmerkt, dass sie eher komprimierten Ursprungs ist.

Eine lange Fahrt voller inszenatorischer Brillanz

Stimmungsvoll gelingt der Einstieg in das Setting, als das demolierte Handelsschiff auf harten Stein trifft. Abgebrochene Maste, zerrissene Segel und löchrige Wände zieren das einst so prächtige Wasservehikel, das für den Transport von Fracht in Form diverser Kisten und Fässer verantwortlich ist. Dicke Regentropfen platschen auf die mit Tinte niedergeschriebenen, einem dunklen Omen gleichenden Worte des Kapitäns, verwischen sie gar im Prozess und lassen sie, wie die auf mysteriöse Weise verschwundene Besatzung, verblassen, förmlich zu einer vagen Erinnerung verkommen. Diese Momente der Bildsprache sorgen dafür, dass Die letzte Fahrt der Demeter von einer Atmosphäre durchzogen wird, die dem Quellenmaterial nicht würdiger sein könnte.

Nichtsdestoweniger weiß das Werk dem klaustrophobischen Ambiente nicht sein sämtliches Potenzial zu entlocken, da ihm trotz konstanten Wellengangs auf audiovisueller Ebene bei der inhaltlichen Ausführung gelegentlich der Dampf ausgeht. Hierbei merkt man, dass es sich um einen kleineren Teil einer Geschichte handelt, den man auf Spielfilmformat zu strecken versucht hat, weswegen sich gewisse Längen in die Storyline einschleichen. Die x-te Debatte um das, was sich vielleicht oder vielleicht auch nicht unter das Volk der Seemänner gemischt hat, ermüdet mit jedem Streitgespräch mehr.

Aufseiten des Horrors zeigen sich ähnliche Wiederholungserscheinungen und stellen sich gegen die optischen wie auch akustischen Höhepunkte, welche geboten werden. Wenn der hungrige Flügelmann im Schatten einer Treppe lauert, hat es etwas Ominöses und Schauderhaftes an sich. Verschwindet er aber kurzerhand, nur um als Jumpscare wieder aufzutauchen, verweht sich der Effekt im Fahrtwind des erbarmungslosen Meeres. So fantastisch der Schauplatz auch anzusehen ist und seine düstere Wirkung die volle Laufzeit ausüben kann, umso generischer und repetitiver ist ein Großteil des in Szene gesetzten Grusels.

Lichtblicke sind die Situationen, in denen das Agieren Draculas der Interpretation der Filmschauenden überlassen bleibt. Simple Tricks wie eine fliegende Silhouette und das eindrückliche Sound-Design bieten einen Spannungsaufbau, der alles andere als von schlechten Eltern ist. Eher stiefmütterlich gibt sich dann die Auflösung der Spannung, da laute, plötzliche Geräusche oder das stetige Erscheinen und Verschwinden des Vampirkönigs wenig Abwechslung bieten. Aufgrund des unverbrauchten Settings und mehr als famosen Handwerks verliert der Film nie wahrlich an Atmosphäre. Er gewinnt aber auch keine Ambitionen, wenn Dracula ein weiteres Mal in der Dunkelheit wartet, bedrohlich grummelt und sich vom Acker macht, nur um spontan aus dem Hinterhalt zu attackieren.

Der Feind, den jeder kennt

Eine weitere Szene präsentiert das Schiffsdeck, zum Rhythmus des Ozeans schwankend und umhüllt von einer dichten Nebelschwade. Klopfendes Holz am anderen Ende des Stegs kündigt etwas an, das aufgrund der schwachen Sichtverhältnisse einzig und allein erahnt werden kann. Nur schleppend akzeptieren die Charaktere, was sie auf der anderen Seite der Nebelwand erwartet. Der Film spielt mit der Erwartung seiner Figuren und reizt die Offenbarung der unumgänglichen Konfrontation bis zuletzt aus. Anfänglich besticht dieser Horrortrip mit seiner zurückhaltenden Strategie, allerdings vergisst er im Laufe der Handlung einen grundlegenden Unterschied, der zwischen den Figuren und ihrem Publikum besteht: Wir als Betrachtende sind uns der Identität des Antagonisten schon lange bewusst.

Diskrepanzen im Kenntnisstand von Filmfiguren und der Zuschauerschaft sind in der Filmlandschaft ein kleines, aber bekanntes Tabu, das je nach Auswirkungen auf das Erlebnis als Makel behandelt werden kann. Zwar existieren Mittel und Wege, besagtes Tabu zu umspielen, entdecken und nutzen tut der Film diese aber nicht. Im Falle dieses Szenarios bedarf es an einem frischen Anstrich; etwas Eigenes, das die Bekanntheit zur Vorlage belohnt, sich aber gleichermaßen von sonstigen Adaptionen oder Standards des Genres abhebt. Dass dies eher spärlich gegeben ist, wurde bereits vorher erwähnt und benötigt deswegen keine Vertiefung. Dies gilt aber nicht nur für die Abhandlung von Horror-Tropen, sondern ebenso für den Gegenspieler selbst.

Anstelle des schmucken Gentlemans mit seinem geheimnisvollen und galanten Charme, welcher zwischen seiner humanen und monströsen Form wechselt, wird Dracula auf eine schleimige Kreatur ohne Motivation oder Charakterzeichnung degradiert. Die eigentliche Ausstrahlung des Charakters wird expositorisch zweckentfremdet und auf abgedroschene Stereotype heruntergebrochen – eine lediglich auf Überleben getrimmte Bestie vollführt Angriffe und gewährleistet den Fortbestand seiner Selbst. Dabei verliert der Film den spirituell-mythologischen Aspekt der Figur, was in Anbetracht der Tatsache, wie souverän und untypisch Øvredal ebenjenen Aspekt in Troll Hunter meistert und nahtlos an das Genre koppelt, nochmal besonders tragisch ist. Dracula ist nicht mehr als ein blutrünstiges und gesichtsloses Monster, auf dessen Hintergrund kaum eingegangen wird.

In seinem neuesten Werk beweist der norwegische Regisseur sein inszenatorisches Können durchaus und präsentiert eine Vielzahl an Momenten, die filmische Klasse vorweisen. Am Ende des Tages, wenn Dracula sich aus seinem Gemach erhebt und durch die Kajüten des Schiffes geistert, stellt sich aber heraus, dass dieser Film ein überdurchschnittlich produzierter Mainstream-Horrorfilm bleibt. Das als Rettungsring dienende Merkmal bildet die aus der Location generierte Atmosphäre wie auch einige überraschend konsequente Gewaltspitzen. Die letzte Fahrt der Demeter kommt trotz fehlender Inspiration einigermaßen unbeschadet durch den Sturm, allerdings lässt sich auch hier eine Aussage treffen, die wahrscheinlich ein jeder leid ist zu lesen: Hier wäre entschieden mehr möglich gewesen.

DIE LETZTE FAHRT DER DEMETER LÄUFT SEIT DEM 17. AUGUST 2023 IN DEN DEUTSCHEN KINOS

6.0
Punkte