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Ein Bergsteiger wird in der Nähe von Seoul tot aufgefunden. War es ein Unfall, Selbstmord oder gar Mord? Inspektor Hae-joon wird mit dem Fall beauftragt. Sein Verdacht fällt auf die schöne Witwe des Verstorbenen, die allerdings ein Alibi hat. Dennoch beobachtet Hae-joon sie in seinen schlaflosen Nächten – und verfällt ihr immer mehr.
© TMDB
Regie: Park Chan-wook
Drehbuch: Park Chan-wook, Chung Seo-kyung
Schnitt: Kim Sang-bum
Kamera: Kim Ji-yong
Schauspieler*innen: Tang Wei, Park Hae-il, Lee Jung-hyun, Park Yong-woo
Produktionsjahr: 2022
Land: Südkorea
Sprache: Koreanisch, Chinesisch, Englisch
Länge: 2h18min
Genre: Romance, Thriller, Mystery

Unbarmherzig wie eh und je tritt der Fund einer Leiche auf. Der Anblick ist für den erfahrenen Polizisten Hae-joon (Park Hae-il) etwas Alltägliches, schließlich verdient er bereits seit vielen Jahren sein Geld beim Morddezernat, dessen Arbeit von toten Körpern definiert wird. Diesmal handelt es sich bei besagtem Körper um einen Bergsteiger, der aus fataler Höhe in seinen Tod stürzte und auf dem Weg dorthin mehr als einmal auf den harten Fels aufgeschlagen ist; nun gilt es abzuwägen, ob sich ein tragischer Unfall oder gezielter Angriff zugetragen hat. Was wie eine völlig normale Suche nach einem potenziellen Mörder für Hae-joon beginnt, entwickelt sich schnell zu einer komplizierten Achterbahnfahrt der Emotionen: Als Hauptverdächtige nimmt die Polizei die Frau des Toten, Seo-rae (Tang Wei), ins Verhör, doch im regelmäßigen Kontakt mit ihr bildet sich eine Beziehung, die an der Professionalität des rechtschaffenen Ordnungshüters zweifeln lässt.

Liebe und Tod

Für einen Ermittler im Morddezernat ist es unumgänglich, sein Subjekt kennenzulernen. Man beobachtet jede Bewegung, sei sie noch so unscheinbar und minimalistisch, lauscht jeder Verzerrung in der Stimme, sei sie potenziell noch so bedeutungslos und irreführend. Ein Profil schreibt sich gleichermaßen mit der Erfahrung, die man ins eigene Schaffen einfließen lässt – rachsüchtige Ehefrauen sind in der Welt der Motive schon lange die erste Anlaufstelle, wenn deren Gatte sein frühzeitiges Ableben erfährt. All diese Leitlinien, an denen sich die gewissenhafte Arbeit der investigierenden Gendarmerie orientiert, sind bei Hae-joon jedoch stillgelegt. Sein Blick ist getrübt, da er sich doch tatsächlich in seine Hauptverdächtige zu verlieben scheint.

In einer Szene sieht man, wie der sonst so gefasste Polizist wie verzaubert den Erklärungen seines Gegenüber zuhört und dabei jedes Wort förmlich aufsaugt. Kurz darauf entschließt er sich dazu, der Hauptverdächtigen das teuerste Sushi-Menü der Stadt zu kredenzen und ihr dabei Gesellschaft zu leisten, um die vorgeschriebene Pausenzeit des Verhörs zu überbrücken. Wie ein eingespieltes Team deckt das Duo den Tisch in einer flüssigen Bewegungsabfolge von Abgaben sowie Abnahmen gewisser Aufgaben ab, ohne den leisesten Hauch von Unstimmigkeiten zu zeigen. Direkt merkt man, dass ein Funke gezündet hat und gerade heraus zu explodieren droht. Gewagt ist die Einbettung einer gefühlvollen Liebesgeschichte inmitten eines düsteren Thrillers, weil das Elevieren einer Romanze einerseits den Fokus vom eigentlichen Kern des Genres abziehen und andererseits als störend oder gezwungen auftreten kann. Bei diesem Werkist jedoch weder das eine, noch das andere gegeben und lässt einen regelrecht mitfiebern, dass es mehr und mehr in Richtung einer unbeschwerten Liebschaft geht.

Nicht nur das authentische Spiel der Hauptdarsteller hilft diesem Verlangen, auch die verträumte Inszenierung bricht mit der eigentlich grimmigen Tonalität des Genres, wodurch Park Chan-wook abermals die Unberechenbarkeit des südkoreanischen Thrillerkinos unter Beweis stellt. Wie ein Märchen setzt der Regisseur seine Erzählung in Szene, verleiht der an und für sich relativ bodenständigen Prämisse einen gar surrealistischen Anstrich und zeichnet verträumte Bilder, die einem als Observateur ein wohlig-warmes Gefühl geben. Alles an dieser Geschichte ist trotz des hässlichen Konstruktes zu schön, um wahr zu sein. Für keinen Moment will man glauben, dass die Identität Seo-raes mit der einer Mörderin gleichzusetzen ist und ebenso realistisch bleibt, wie ihre Unschuld. Doch wieso? Ganz einfach: Man kann bereits spüren, wie verletzend diese Erkenntnis wäre. Deswegen betrachtet man diesen Film wie eine Wunschillusion, die dem Drehbuch konstant bewusst bleibt.

Wenn man den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen will

Als Altmeister des Genres weiß Chan-wook diese Ausgangslage durchaus zu seinem Vorteil zu nutzen und ein Mysterium zu etablieren, bei dem man nur schwer erahnen kann, auf welche Auflösung die Storyline hinauslaufen möchte. Einfach ist die automatische Schlussfolgerung, Seo-rae habe ihren Mann ermordet und sei lediglich in der Lage, ihre finsteren Triebe verstecken zu können. Doch wie auch Hae-joon gerät das Publikum in einen Zwiespalt, als sich herausstellt, dass die romantische Chemie zwischen den beiden zu natürlich wirkt, um gefakt zu sein. Hierbei spielt der Film gekonnt mit dem sogenannten Halo-Effekt – der teilweise unbewussten Bevorzugung einer Person auf Basis individueller Sympathien, wodurch eine objektive Perspektive auf bestimmte Sachverhalte erschwert oder sogar blockiert wird.

Wie auch dem Protagonisten wird einem früh klar, dass seine Vorgehensweise falsch ist. Er beginnt die Eventualitäten auszublenden und idealisiert eine Frau, deren Zuneigung ihm gegenüber ebenso eine Strategie zur Verschleierung der eigenen Täterschaft sein könnte. Eher passt er sein Verhalten an der eigenen Romantisierung ihrer Aktionen und Reaktionen an. Gewieft ist daran, dass die Zuschauerschaft ihm nicht mal einen Vorwurf machen kann, da der Film sich absichtlich in dieses Dilemma begibt. Dadurch entpuppt sich Die Frau im Nebel nicht nur als spannender Thriller, sondern simultan als sozialpsychologisches Erlebnis. Zahlreiche Fragen konfrontieren einen, wenn Hae-joon ein verschmitztes Grinsen seiner Gesprächspartnerin als Nichtigkeit abstempelt, obgleich man seine Gedanken jederzeit nachvollziehen kann.

Park Chan-wooks neuestes Werkhat diverse Tricks auf Lager, um einen von dem abzubringen, was man in praktisch jedem anderen Thriller als selbsterklärend auffassen würde. Mittels einer wundervoll ausgearbeiteten Bildsprache und einem unkonventionellen Klimax besticht der Film mit einer Polizeiinvestigation, die in ihrer Laufzeit definitiv strenger unter die Lupe genommen werden kann, allerdings hemmungslos mit sämtlichen Erwartungen hantiert. Somit beschenkt uns der Regisseur ein weiteres Mal mit einer Geschichte, wie man sie vorher nicht gekannt hat. Täuschung oder nicht, wahre Liebe oder nicht, was beobachten wir? Die Suche nach der Antwort hat man am besten selbst ergründet, doch auch hier stellt man sich stetig diese eine Frage: Will man sie überhaupt finden?

DIE FRAU IM NEBEL IST SEIT DEM 25. MAI 2023 IN DEUTSCHLAND AUF BLU-RAY ERHÄLTLICH

8.0
Punkte