©Walt Disney
Drehbuch: Zak Penn, Matt Lieberman
Schnitt: Dean Zimmerman
Kamera: George Richmond
Darsteller*innen: Ryan Reynolds, Jodie Comer, Lil Rel Howery, Joe Keery, Taika Waititi
Land: USA
Sprache: Englisch
Länge: 1h55min
Genre: Comedy, Action
Das ist Guy. Guy führt ein sorgloses Leben als Bänker im Kreise seiner Liebsten, sprich der ganzen Einwohnerzahl von Free City, seiner Heimat. Guy hat eine klare Struktur ohne große Variabilität, aber das stört Guy nicht. Guy ist zufrieden mit dem, was er tagtäglich hat und pflegt keinen Anspruch auf Begebenheiten außerhalb des Rahmens. Wäre da nicht die eine Sache, die in seinem perfekten Alltag noch fehlt, nämlich die richtige Lebensgefährtin. Ein Verlangen, welches zunehmend an Guy nagt. Sein Alltag läuft derart glatt, dass er sich schon bald wundern soll, woher dieses Problem rührt. Deswegen beschließt Guy eines schönen Tages etwas Neues auszuprobieren, sich einer für ihn unvorstellbaren Situation zu stellen und Abwechslung zu schaffen.
Das Phänomen um ein Videospiel, das in seinen Charakteristiken einladend genug ist, um zum Film unfunktioniert zu werden, ist langanhaltend bekannt. Ein Spiel wie ein Film, jedoch zum Bedauern aller in den meisten Fällen auf Kosten der Fanbase. In Shawn Levys aktuellem Blockbuster trifft dieses verfluchte Prinzip jedoch auf eine Weggabelung, derer sich selbst das verkümmertste Nerdherz noch erfreuen darf: Free Guy thematisiert das Leben innerhalb eines Videospiels aus der Perspektive eines NPCs und durchbricht dabei jede Metaebene. Ein Film wie ein Spiel. Die Prämisse ist ebenso simpel wie genial. Man muss sich an dieser Stelle kurz vor Augen führen, welch eine Heraclesaufgabe es in Wahrheit zeichnet, eine Prämisse zu finden, die dumm genug für pure Unterhaltung und intelligent genug für einen interessanten Genre-Vertreter ist.
Somit hat Free Guy direkt diesen ehrlichen, andersartigen Virtus, den andere Werke verzweifelt suchen. Logisch haben sich Filme wie Ready Player One oder Gamer an einer ähnlichen Prämisse orientiert, allerdings ist man bei Free Guy live in der Materie. Nicht als PassantIn, ZuschauerIn oder SpielerIn – man ist das Spiel. Von der Originalität mal ganz abgesehen, birgt eine Welt wie diese tonnenweise- nein, unendliche Möglichkeiten zur Expandierung in praktisch jede Richtung. Der Kreativität sind keine Grenzen mehr gesetzt. Oder doch? Ein begrenzter Raum kann immer noch voluminös unlimitiert gefüllt werden, wenn man die richtige Substanz wählt. Und während Free Guy sich in seiner hemmungslos liebkosenden Inszenierung von Szene zu Szene hangelt, wird einem schnell bewusst, dass es ernsthafte Konsequenzen mit sich zieht, sobald der Prozess des Genießens beginnt.
Das Publikum verliebt sich in die Idee, aber nicht in die Welt. Denn wie Guy wünscht sich auch das Publikum diesen seltenen Komfort – Abwechslung. Dies jedoch leider vergebens. Free Guy hat sich ein Konzept entwickelt, dessen Größe für einen verträumten Film dieser Art nicht zu erfassen ist. Bis zu dem Moment, in dem die storyrelevanten Intentionen des zahmen PG 13-Vehikels deutlich werden, zeigt sich, dass der typische Wahnsinn in Free City sich nicht großartig vom dahergelaufenen Blockbuster im Kinosaal nebenan unterscheidet. Die Oberflächlichkeit seines behaupteten Tiefgangs bleibt dabei so nüchtern wie die Reaktion von Guys Mitmenschen auf den einfachen Wunsch, heute mal keinen Medium-Kaffee mit zwei Stückchen Zucker, sondern einen schaumigen Cappuccino zu bekommen. Dass das Drehbuch auf Autopilot schaltet und sich nicht aus der Wohlfühlzone traut, kommt dem geradlinigen Endprodukt nur in der Hinsicht zugute, dass die verwandelte Prämisse so brillant ist, dass man sie nicht versauen konnte, selbst wenn man es versucht hätte. Ein Lob für das Konzept, ein Kriktikpunkt für das Team hinter selbigem.
Trotzdem bekommt man mit Free Guy immer noch das, was man erwarten kann: Eine hohe, sympathische Gag-Dichte, eine adäquate Optik, ein dazugehöriges Selbstbewusstsein dieses absurde Konzept mit einer ernstgemeinten Tragik auszubalancieren, witzige Action und einen guten Ryan Reynolds. Und mit “gut” ist hier “so wirklich richtig, richtig gut” gemeint. Reynolds ist Feuer und Flamme für die Figur, die er hier porträtiert. Eine Leidenschaft, die einiges zum pausenlosen Spaß der Geschichte beiträgt. Darüber hinaus ist auch das Spiel aller restlichen DarstellerInnen total solide. Ob einem Taika Waititi hier ge- oder missfällt, muss jedoch jeder selbst entscheiden.
So ist Free Guy letztendlich nicht so ausfallend und erfrischend, wie erhofft. Auch wenn Ryan Reynolds für diese Rolle geboren worden ist und der Film auch über ihn hinaus mit der ein oder anderen cleveren Idee besticht, bedient er sich doch einer eingestaubten Formel, die zu einem geleckten Resultat führt. Ein generisches aber zu angenehmes Playthrough, als dass man sich lange über die rasante Laufzeit beschweren möchte. Dennoch ist das missachtete Material eines zum Film erwachten Grand Theft Auto weder in seiner potenziellen Brutalität, noch seiner pfiffigen Mannigfaltigkeit, noch seiner theoretisch ungebundenen Überdrehtheit ein trauriger Verlust. Demnach sorgt die charmante Integration vom hippen Gamer-Slang und toxischen Online-Verhalten pubertierender Zocker für einen belustigenden Moment, doch ist es vielmehr der Reflekor des bezirzenden Symptoms, dass ein stolzer Teabag heutzutage niemanden mehr beeindruckt.
FREE GUY LÄUFT SEIT DEM 12. AUGUST 2021 IN DEN DEUTSCHEN KINOS
6.0 Punkte
Dorian
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Die Leidenschaft Filme jeder Art in sich hinein zu pressen, entbrannte bei mir erst während meines 16. Lebensjahres. Seit diesem Zeitraum meines Daseins gebe ich jeder Bewegtbildcollage beim kleinsten Interesse eine Chance, seien es als Pflichtprogramm geltende Klassiker oder unentdeckte Indie-Perlen.