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Drehbuch: Derek Kolstad
Schnitt: William Yeh
Kamera: Pawel Pogorzelski
Schauspieler*innen: Bob Odenkirk, Aleksey Serebryakov, Connie Nielsen, Christopher Lloyd
Land: USA
Sprache: Englisch
Länge: 1h32min
Genre: Action
“Danke fürs Aushelfen, Heimkino. Jetzt übernehmen wir wieder.” Diese Sätze stehen in neongelber Schrift auf rosa Hintergrund über dem Eingang des Marburger Cineplex. Ab dieser Woche ist es so weit. Das Kino schlägt zurück. Äußerst pompös mit Godzilla vs. Kong oder mit den aktuellen Oscar preisgekrönten Filmen wie Nomadland geht es auf die Startbahn. Doch unscheinbar strahlt da etwas aus der prestigehaltigen Masse heraus und präsentiert sich als funkelnder Diamant: Nobody von Regisseur Illya Naishuller.
Dass die Vergangenheit Figuren in sämtlicher Dramaturgie einholt und dunkle Geheimnisse offenbart, ist nichts neues. Hier kommt sie aber unerwarteter denn je. Der von Bob Odenkirk gespielte Hutch Mansell ist nach einem Einbruch bei sich zuhause nicht mehr derselbe. Äußerlich sieht der hagere Familienvater mit leichtem Bauchansatz wie jemand aus, der in der breiten Masse untergeht oder zumindest nicht wahrgenommen, nicht ernstgenommen wird.
Doch in ihm schlummert etwas tief Diabolisches, was er vor langer Zeit in sich verschloss. Leider haben die Einbrechenden aus Versehen den Katzenanhänger seiner Tochter Abby mitgenommen. Der Tropfen bringt das Fass zum Überlaufen, er weckt das tief in ihm ruhende Monster erneut und startet einen Rachefeldzug, legt sich kurze Zeit später sogar mit der russischen Mafia an.
Derek Kolstad, welcher bereits sein Gespür für actiongeladene Geschichten rund um einen unscheinbaren Außenseiter in drei John Wick-Drehbüchern bewies, recycelt im schmalen Grat eigenes Bewährtes und vermischt die Handlung mit einer ordentlichen Portion Ironie. Mit seinem furchigen Bart, dünnen Haar und flapsigen Figur sieht Hutch nicht gerade bedrohlich und erinnerungswürdig aus. Zu Unrecht. Man soll dem grandios spielenden Odenkirk die Rolle des Ex-Agenten nicht abkaufen, weil er nicht wie einer aussieht – das ist der Kern, auf den Kolstad abzielt und Naishuller Nobody inszeniert.
Themen wie toxische Männlichkeit werden angesprochen, wenn der Nachbar von nebenan nach dem Einbruch seinen Mustang pompös in der Auffahrt stehen hat und meint, dass er sich wünschte, die Räuber hätten sein Haus statt das von Hutch auszurauben versucht. Zudem ist Hutch eine tiefe Midlifecrisis anzusehen, die mit der Gleichmäßigkeit eines jeden Tages unverkennbar die ersten Minuten dominiert. Diese Kontraste sind es, welche den Actionszenen später Wucht verleihen.
Der Titel macht dem Film auf jeder Ebene alle Ehre, mit einem Darsteller, der wie für die Rolle der schlummernden Bestie im Durchschnittsmann gemacht ist. Wir unterschätzen Hutch, so auch seine Gegner. Er sieht wie ein Niemand aus, jemand, den es zu vergessen gilt. Und wie das Kino nach acht Monaten Betriebspause den eingestaubten Projektor erstmal wieder aufrichten muss, so steckt Hutch in den ersten Knöchelkontakten deutlich mehr ein als er dachte – und wir vermuteten.
Das Spiel mit der Erwartungshaltung geht auf. Spätere Momente überraschen, wenn dieser gewöhnlich anmutende Mann zum eiskalten Jäger wird, weil wir mit seiner äußeren Erscheinung unsere voreingenommenen Assoziationen verbinden. Somit entlarvt der Film auch unsere teils oberflächliche Einschätzung und liefert durch dieses gekonnte Spiel mit der Ironie Gewaltspitzen sowie Witz gleichermaßen. Der Familienvater bearbeitet seine Feinde in einer kontaktfreudigen Art und Weise, die wir diesem hageren Typen nicht zutrauen.
So kommt es, dass zwei Polizisten den Familienvater bis zum Schluss für einen Niemand halten. Die Lektion wie die von Hutch eliminierten Gangster haben sie noch nicht durchgemacht. Den Spiegel vorzuhalten, das hat Kolstad an den richtigen Stellen geschafft, an einigen aber auch selbst nicht ganz begriffen. Toxische Männlichkeit wird von Nobody zwar angesprochen, später aber fallengelassen. Es fehlt der Fokus, sollten mal in den Momenten der Ruhe nicht Proletenvisagen bearbeitet werden.
Hutch fühlt sich nur dann richtig wohl, wenn er endlich Mann sein darf und lebt das Klischee an Fieslingen aus – steigt irgendwann sogar selbst in den Mustang und böllert damit durch die Straßen. So kommt die Wandlung zu stürmisch daher. An manchen Ecken fehlt Kolstad außerdem das Feingefühl für seine Randfiguren, die so plötzlich kommen, wie sie verschwinden.
Doch Odenkirk hilft mit seiner charismatischen Verkörperung des Niemands dermaßen aus, dass nicht genug forcierte und fokussierte Themen sowie Figuren ausgeglichen werden. Man muss sich letztendlich eingestehen: Ein dermaßen frischer Wind mit bekannter Zirkulation im amerikanischen Actionkino müsste viel öfter für Durchzug sorgen.