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Drehbuch: Scott Rosenberg, Jeff Pinkner, Kelly Marcel
Schnitt: Alan Baumgarten, Maryann Brandon
Kamera: Matthew Libatique
Darsteller*innen: Tom Hardy, Michelle Williams, Riz Ahmed
Land: USA
Sprache: Englisch
Länge: 1h 52m
Genre: Action, Science-Fiction
Als im Jahre 2018 die ersten Bilder zu Venom mit der breiten Masse geteilt worden sind, war die Vorfreude immens. Vorher als einer der vielen vergessenswerten Randbösewichte exklusiv in Spider-Man 3 von Sam Raimi innerhalb der Filmwelt zu genießen, sollte der beliebte Symbiont aus den Marvel-Comics sein Können nun als eigenständige Figur in seinem eigenen Film unter Beweis stellen. Dem Hype gerecht werden konnte der Film jedoch nicht, ein ernüchterndes, pseudoepisches Action-Vehikel. Die Verheißungen und größere Erwartungen eilten dem Film voraus.
Mit Tom Hardy als Besetzung der Hauptrolle und dem für seinen Überraschungshit Zombieland gefeierten Regisseur Ruben Fleischer an Bord wusste Venom trotz bester Voraussetzungen schlichtweg nicht mit seiner Verantwortung umzugehen. Von vornherein schlagen dem Konstrukt einige Aspekte auf den Magen. Tonale Unebenheiten, die zwischen düsterer Bedrohlichkeit und dümmlicher Comedy schwanken, technische Tristessen und das mehrfach angekreidete Siegel der FSK-12-Altersbeschränkung, unter der dem blutrünstigen Weltraumparasiten praktisch vollends die Hände gebunden wurden, präsentieren nur zu gut die Schwächen des Films. Dass Venom ein riesengroßer Erfolg in kommerzieller Hinsicht geworden ist, steht dabei in keinem Zusammenhang und dient auf der Kehrseite als Paradebeispiel, dass nicht jeder Kassenschlager gleichbedeutend in Relation zu seiner filmischen Performance steht.
Eine monströse außerirdische Abnormität, welche lauthals von der Sehnsucht nach lebendigem Fleisch philosophiert, klingt nach Antiheldenkino, wie es bisher zu selten zu sehen war. Venom kann sich jedoch nicht zu einer solchen Offenbarung zählen. Angefangen bei dem phasenweise merkwürdigen Editing. Die Schnittarbeit im Allgemeinen ist spärlich bis unprofessionell, als hätte Fleischer sie geistesabwesend durchgewunken. Die Lieblosigkeit ist ärgerlich gegenüber dem Medium in den Szenen, die mit einem einschlägigen Aufwand und Konventionen des Filmemachens verbunden sind. Nicht mehr und nicht weniger. Die Cinematographie von Venom zeichnet an und für sich keine miese Qualität. Viele Shots fangen eine Ästhetik mit Persönlichkeit ein. Venom will diese Persönlichkeit zur Schau stellen und präsentieren. Aber wo ist die intrinsische Kontinuität?
DarstellerInnen wechseln während eines Gesprächs ihre gesamte Körperhaltung, Lichter und Personen ändern ihren Standort in Abständen, die nicht größer sind als zwei Augenschläge. Ganz zu schweigen von den fragwürdigen ‘Gewaltspitzen’: Extremitäten – wenn nicht gar ganze Körper – verschwinden einfach, von scharfen Klingenarmen zerschnittene Statisten weisen nicht die Spur eines Kratzers auf und Taten verlieren sich samt der Umgebung – in welcher sie begangen werden – in grenzenlosen Computereffekten. Der Film versucht blutleere Brutalität zu inszenieren und scheitert an dieser Mammutaufgabe kläglich.
Währenddessen legt die Storyline ebenso wenig Wert auf eine als Orientierung fungierende Kontinuität. Die Reihenfolge der Ereignisse spielt für die ersten 35 Minuten im Grunde genommen gar keine Rolle. Völlig planlos hetzt der Plot durch einen zu langen Aufbau, verpasst dabei einen wahren Mittelteil zu etablieren und katapultiert sich über zahlreiche Konfrontationen und sprunghafte Locationwandel in ein fulminantes und explosives Finale im Rahmen des extremsten CGI-Massakers der Blockbustergeschichte. Anbei liegt derart viel verschwendetes Potenzial, dass man sich ernsthaft fragen sollte, inwiefern Venom überhaupt noch eine Form von Reiz ausstrahlt.
Die schauspielerischen Leistungen sind solide, die Charakterzeichnungen sind es nicht. Durch das hanebüchene Durchcharakterisieren nach Fast-Food-Art versprüht bis auf Protagonist Eddie Brock kaum eine Figur etwas wie einen greifbaren Charakter. Und ja, abermals schließt das den furchtbar fehlgeleiteten Antagonisten mit ein. Typisch Marvel, oder? Genau das ist nämlich das Problem. Venom ist nicht dieser typische Marvel-Film. Darauf ist das Quellenmaterial nicht zugeschnitten. Venom trägt eine Dedikation in sich, das Kino aus dem Hause Marvel in eine neue Richtung zu lenken. In dem Sinne: Chance vertan. Tom Hardy schmiegt sich durch wilde Slapstick-Einlagen, murmelt deliriös vor sich hin und lässt im Geiste seiner fantastischen Reginald- und Ronald Kray-Impression aus Legend die Sau raus.
Und dennoch ist eine vertane Chance nicht das Ende der Klippe. Zwischen dem ganzen Tohuwabohu entpuppt sich Venom als exakt all dies: Uneben, paradox, hektisch, teilweise auch generisch und durch diesen kruden Mix aufgrund benannter Mängel ist er bei weitem nicht perfekt. Was Venom jedoch automatisch und ohne Unterlass auf seiner Seite hat, ist das Element der permanenten Unterhaltung und kontroverser Coolness. Venom bleibt trotz dessen, dass derart viele falsche Ansätze das ersehnte Resultat direkt zu Beginn verunstaltet haben, einzigartig in seinem Stil und Auftreten.
Die Beziehung zwischen Brock und Venom, sobald dieser seinen Weg in Brocks Kreislauf findet, ist großartig in seiner Naivität und Ehrlichkeit. Überraschend herzerwärmend und belustigend agieren diese Figuren mit einer tollen Chemie. Die Action fetzt mit Abstrichen aufgrund des durchwachsenen CGIs aus allen Rohren, wo sich insbesondere die Motorradverfolgungsjagd als Highlight manifestiert. Viele Momente des Drehbuchs funktionieren — nur leider nicht in ihrer Gesamtheit. Die Dialoge: Hit and Miss. Die Action: Hit and Miss. Die Geschichte: Hit and Miss. Der Zwiespalt wird deutlich. Venom ist eine gewaltige Frivolitätsfiesta.
Venom ist chaotisch, mit den Gedanken nicht klar bei der Sache und zu hundert Prozent nicht das, was er hätte werden können. Wie sehr das letztendliche Produkt in unserer Realität nun Anklang findet, hängt davon ab, wie sehr man sich von letzterer Tatsache stören lassen will. Venom ist kein grottenschlechter Film per se, lediglich ein wahnsinnig enttäuschender, der jedoch zuweilen Spaß bringen und eine gewisse Sympathie vertreten kann. Kurzweilig, actionreich und strunzdumm ist er allemal. Dennoch wäre eine andere Richtung für den titelgebenden Charakter wünschenswert. Dass diese auch in der baldigen Fortsetzung definitiv nicht eingeschlagen wird, zeigten schon sämtliche Trailer. Deswegen ist es dieselbe Frage, die dem Film sein Ultimatum beschert: Wie sehr lässt man sich davon stören? Wer diesen ersten Teil mag, wird höchstwahrscheinlich auch den zweiten mögen. Wer diesen ersten Teil mit all seinen Eigenschaften und Fehlern nicht mag…nun, der hat wohl Pech gehabt.
5.0 Punkte
Dorian
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Die Leidenschaft Filme jeder Art in sich hinein zu pressen, entbrannte bei mir erst während meines 16. Lebensjahres. Seit diesem Zeitraum meines Daseins gebe ich jeder Bewegtbildcollage beim kleinsten Interesse eine Chance, seien es als Pflichtprogramm geltende Klassiker oder unentdeckte Indie-Perlen.