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Drehbuch: Dave Callaham, Destin Daniel Cretton, Andrew Lanham
Schnitt: Nat Sanders, Elísabet Ronaldsdóttir, Harry Yoon
Kamera: Bill Pope
Schauspieler*innen: Simu Liu, Tony Leung Chiu-wai, Awkwafina
Land: Italien, USA
Sprache: Englisch
Länge: 2h12min
Genre: Fantasy, Action
Marvel schaltet endlich einen Gang runter
Eigentlich führt der Hotelangestellte Shang-Chi (Simu Liu) ein simples und genügsames Leben. Gemeinsam mit seiner Freundin Katy (Awkwafina) singt er bis spät in die Nacht Karaoke, genießt das Leben in vollen Zügen. Das ändert sich, als er eines Tages mit Katy im Bus unterwegs ist. Auftragskiller stehen vor ihm. Sie wollen seine Halskette, die ihm seine verstorbene Mutter geschenkt hat. Shang-Chis Kindheit holt ihn schlagartig ein: Sein Vater hat ihn gefunden – und verlangt nach ihm.
Vor zehn Jahren floh Shang-Chi aus China. Er wollte nicht Teil der kriminellen Organisation seines Vaters sein. Was erstmal völlig absurd klingt, wird charmant verpackt und erträglich inszeniert. Denn anders als viele der Marvelfilme vor ihm, kommt das Solo-Abenteuer des neuen Helden erstaunlich geerdet daher. Mit computeranimierten Spezialeffekten wird sich zu Anfang mehr zurückgehalten als sonst, was auch an den Fähigkeiten von Shang-Chi liegt: Er hat keine.
Zumindest keine übernatürlichen. Sein Vater hat ihn in seinen Kindheitstagen zum effektivsten Kampfkünstler der Welt ausgebildet. Klingt zwar nicht weniger absurd, als einen fliegenden Metallanzug zu schmieden, braucht aber, wenn gewissenhaft ausgeführt, weniger Bilder aus dem Hochleistungsrechner, dafür umso mehr Aufwand beim Drehen. Schön, dass die Mühe spürbar ist.
Handgemachte Action als Schauwert
Wie bei vielen anderen von Disney produzierten Filmen, kann man die Intention dieser Werke auf die Konstante der Attraktion herunterbrechen. Mehr wollen die Filme meist nicht sein, eine Attraktion. Man geht für die Schauwerte ins Kino, wie in den Anfangsjahren des frühen Films. Shang-Chi bietet einige, allesamt beheimatet in den durchchoreographierten Actionszenen.
Schon die Szene im besagten Bus hebt sich mit seinen mehreren Spannungsetappen, wenigen Schnitten und auf den Takt getrimmten Angriffen von dem sonstigen Kampf-Kuddelmuddel der Superheldenfilme ab. So schlängelt sich Shang-Chi zwischen Haltestangen hindurch, verprügelt leichtfüßig und effizient Gegner und das Gefährt wird sogar noch zweigeteilt beim Handgemenge.
Die Kamera bleibt fokussiert auf das Wesentliche: den Kampf und seine Umgebung. Wo wann wer was in Taten umsetzt, bleibt erkennbar eingefangen. Man erlangt eine Übersicht, findet sich zurecht im Geschehen und genießt. In diesen Momenten – davon gibt es einige – sticht der Film mit seiner Erdung und den handgemachten Kämpfen erfrischend aus der Marvelmasse hervor.
Im Kern eine Liebesgeschichte
Doch eigentlich soll Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings eine Liebesgeschichte erzählen. Mehrere Handlungen rücken nicht in den Hintergrund ihrer Attraktionen, was ein Kernproblem darstellt. Denn eigentlich gebührt Xu Wenwu (Tony Leung Chiu-wai), dem Vater des Protagonisten und Anführer der Terrororganisation „Die Zehn Ringe“, die Hauptgeschichte. Er tritt sie erst los und seine unerschütterliche Liebe zu Shang-Chis Mutter Li (Fala Chen) ist der Auslöser des hauptsächlichen Konflikts.
Als Träger von zehn magischen Artefakten, den zehn Ringen, ist Xu nahezu unsterblich, lebt schon Jahrhunderte und hat über diese enorme Zeitspanne ein Schattenimperium des Terrors aufgebaut. Seine Liebe zu Li geht über ihren Tod hinaus, jedoch wird sein Verstand von den Ringen nach Jahrhunderten korrumpiert. Er denkt, seine einzige und wahre Liebe sei noch am Leben, würde vor ihm weggesperrt werden. Fehlgeleitet will Xu seine Frau ausfindig machen und reißt alles nieder, was ihm in den Weg kommt, weswegen sich Shang-Chi seinem Vater entgegenstellen muss.
Durchwuchertes Erzählen zwischen den Attraktionen
Anstatt sich aber darauf zu fokussieren, muss der Film ebenfalls den Spagat vollbringen, die zehn Artefakte zu erläutern und ihre Rolle im Marveluniversum vorzubereiten. Dadurch, dass einige Nebencharaktere für die Handlung nicht essenziell sind, sondern nahezu untätig im Film vorkommen, verdichtet sich der Konflikt nicht, wie er es könnte. Als Paradebeispiel sei hier Katy zu nennen, die in Actionszenen oder bedeutsamen Momenten Einzeiler von sich gibt, ansonsten aber nur dabeisteht. Das nimmt dem Geschehen gleich mehrmals die aufgebaute Dramatik und die nötige Charakterisierung der Hauptfigur ebenso. Shang-Chi guckt im Grunde sehr charmant an der Kamera vorbei, bleibt insgesamt viel zu blass, wenn er neben seinem Vater zu sehen ist.
Damit befindet sich im Kern des 25. Marvelfilms eine zerfaserte Liebesgeschichte, zudem ein Vater-Sohn-Konflikt und die im Titel stehende Legendenbildung. Zwischendurch müssen auch Referenzen zu den zwei Dutzend Vorgängern eingestreut werden, der verbleibende Platz wird gefüllt mit körperakrobatischen Schauwerten, die, im Gegensatz zu der eigentlichen Handlung, mit dem richtigen Fokus auf das Wesentliche ausgestattet sind.
Somit kommt das Verhältnis von Attraktion und Substanz ins Ungleichgewicht, wenn kurze spannende Einschnitte so viel besser und organischer daherkommen als die Szenen dazwischen. Man könnte meinen, dass die eigentlichen Lückenfüller nicht die Attraktionen sind, sondern die Dialoge. Der Film wäre dadurch aber mehr Lückenfüller als eigentlicher Inhalt. Da aber die Attraktionen, wenn sie auftreten, tatsächlich spektakulär inszeniert sind, egal ob im Bus oder als CGI-Supershowdown, fällt der sonstige zerfaserte Inhalt weniger ins Gewicht.
Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings ist seit dem 12.11.2021 auf dem Streamingdienst Disney+ verfügbar