©Neue Visionen
Drehbuch: M. Night Shyamalan
Schnitt: Brett M. Reed
Kamera: Mike Gioulakis
Schauspieler*innen: Gael García Bernal, Vicky Krieps, Rufus Sewell, Alex Wolff, Thomasin McKenzie
Land: USA
Sprache: Englisch
Länge: 1h48min
Genre: Mystery, Thriller
Statt großer Vorworte möchte ich anders als M. Night Shyamalan in seinem neusten Film gleich zur Sache kommen. Denn Old hat ein Problem: Er ist so sehr begeistert von seiner eigenen Prämisse, dass er sich nur mit der Präsentation dieser beschäftigt statt mit ihren Folgen. Shyamalan kümmert sich spielfilmlang darum, zu erklären, worum es in seinem Film gehen soll, nur um dann festzustellen, dass er kaum Zeit übrig hat, um überhaupt etwas damit zu erzählen. Die Folge daraus: Old ist ein Film mit knapp 90 Minuten Einführung und gerade mal zehn Minuten eines wirklichen Films.
Fairerweise muss gesagt sein, dass das zugrundeliegende Konzept wirklich interessant ist. Ein sonniger Strand, dem aus mysteriösen Gründen nicht zu entkommen ist, auf dem alles Leben um ein Vielfaches schneller altert als üblich. Aus zwei Menschenjahren wird plötzlich nur noch eine Stunde. Es ist eine Idee, die das Konzept Zeit auf eine Art und Weise zu beleuchten erlaubt, die man bisher kaum kannte. Dabei hatten wir bisher schon gefühlt alle durchgekaut, sei es in Tenet, Zurück in die Zukunft, Avengers: Endgame oder in Serienform in Dark. Mit der Zeit zu spielen ist nichts besonderes mehr in der Film- und Serienwelt. Doch Sandcastle, die direkte Inspiration für Old, schafft es dennoch, eine Prämisse zu erzeugen, die frisch und unverbraucht wirkt.
Um jedoch das Problem der Verfilmung des Graphic Novels näher zu illustrieren, sollten wir einmal die Synopsis der beiden Werke miteinander vergleichen:
Die Synopsis von Sandcastle: Ein perfekter Strandtag – denken sich eine Familie, ein junges Paar, ein paar Touristen und ein Flüchtling an einer abgelegenen, idyllischen Felsenbucht mit Sandstrand zumindest. Doch diese Utopie birgt ein dunkles Geheimnis. Als die Leiche einer Frau im kristallklaren Wasser gefunden wird, tun sich die dreizehn Fremden zusammen, um das Geheimnis der Bucht zu lüften – und müssen sich bald darauf konzentrieren, wie sie selbst lebend wieder herauskommen!
Was man daraus ziehen kann: In Sandcastle geht es darum, dass die Leserin gemeinsam mit den Figuren herausfindet, was an diesem Strand falsch läuft, und darum, wie sie von ebenjenem entkommen können. In Old – als indirekte Adaption davon – scheint es um dasselbe zu gehen, da wie erwähnt eine ganze Spielfilmlänge genau damit verbracht wird. Mit einem Unterschied:
Die Synopsis von Old: Jack und Kate entdecken mit ihren Kindern während ihres Familienurlaubs einen abgelegenen Strandabschnitt mit nur wenigen anderen Touristen, der sich später jedoch als Albtraum entpuppt. Zunächst wird eine Frauenleiche angespült und dann setzt bei allen Anwesenden, besonders bei den Kindern, ein extrem beschleunigter Alterungsprozess ein. Es scheint zudem kein Entkommen aus dieser Situation zu geben.
Der Unterschied ist, dass die Antwort auf die Frage, der die Figuren nachgehen, den Zuschauer*innen bereits in Titel und Beschreibung vorab geliefert wird. Die Zuschauerin ist den Figuren voraus, sie ist schon an dem Ziel, an dem die Figuren ankommen sollen. Deshalb ist die Frage, der man selbst auf den Grund gehen möchte, nicht mehr, was an dem Strand passiert, sondern wieso es passiert. Dadurch entsteht eine Dissonanz zwischen Figuren und Zuschauer*innen, was zufolge hat, dass das grundlegende Prinzip des Mystery-Genres – zu dem Old viel mehr gehört als zu Horror – ausgehebelt wird.
Diese Dissonanz zwischen Figur und Zuschauer wäre völlig in Ordnung, wenn der Regisseur die Struktur seines Films im Gegensatz zur Vorlage verändern würde, indem er auch im Film selbst Informationen vermitteln würde, die zwar der Zuschauer sieht, die Filmfiguren aber nicht. Genau das tut er jedoch nicht, er täuscht vor, dass alle auf demselben Stand wie die Charaktere wären und folgt demselben inhaltlichen Muster wie der Comic.
Tatenlos fahren seine Protagonist*innen wie auf einem Rundkurs auf Schienen am Strand tatenlos hin und her und entdecken schockiert Hinweis für Hinweis auf das, was wir längst wissen. Logischerweise tritt bei der Zuschauerin dadurch zu keinem Zeitpunkt derselbe anwachsende Schock-Effekt auf wie bei den Charakteren, da sie bereits einen Schritt weiter ist. Schlussfolgernd wird das eigentliche Thrill-Kabinett zum Gähnkonzert.
Erst im letzten Moment scheint Shyamalan einzufallen, dass er mit Poster, Titel, Beschreibung und Trailer all das ja bereits gezeigt hat, versucht, doch noch einen Schritt weiter zu gehen und endet mit einer Auflösung, die so simpel und überflüssig wie sie ist, mehr wie ein Alibi für das zuvorige Fehlverhalten des Films wirkt als wie eine befriedigende Erklärung. Auch die aufgequetschte Botschaft und Gesellschaftskritik kommt so kurz, dass damit aber wirklich niemand überzeugt werden könnte.
Manche Münder werden nun schnarrend aufgehen, der Film könne ja nichts für seine Vermarktung – stimmt auch –, man solle sich den Film einfach ohne jegliche Vorkenntnis anschauen. Abgesehen davon, dass das nur schwer möglich sein wird, würde das Old aber leider auch nicht viel besser machen. Denn auch ohne die immensen Marketing-Spoiler bleiben die porträtierten Charaktere ohne Agenda und richtungslos, bleiben die erbärmlichen Dialoge auf Sandkasten-Niveau, bleibt die Optik trotz des Settings überraschend glanzlos, bleibt das Schauspiel dilettantisch. Das einzige Feature, das Old aufweisen kann, verbrät er also bereits vor dem Aufgehen des Kinovorhangs.
Aus Old hätte ein wirklich guter Film werden können. Mit ein wenig Einfallsreichtum hätte man dem Film eine Struktur verpassen können, die aus ihm einen soliden und einzigartigen Thriller hätte machen können. Stattdessen fühlt sich Shyamalans Werk mehr wie eine einzige überlange Exposition an, wie eine Langfassung seines eigenen Trailers. Gepaart mit den unterdurchschnittlichen technischen Aspekten ist Old somit ein schlechter Film, der vor seinem Potential geradezu wegrennt.