Ein auf Grund gelaufenes Franchise mit einer inzwischen achtmalig rekapitulierten Geschichte? Kann das jetzt noch tatsächlich irgendwen interessieren? Schwierige Lage, aber Fakt ist: Das Saw-Universum geht mit Saw: Spiral in die neunte Runde, trennt sich jedoch als Spin-Off von der mehr oder minder einheitlichen Storyline seiner Vorgänger ab und erzählt eine neue Geschichte. Dies ist bereits ein guter Start für eine Filmreihe, die Abwechslung dringender nötig hat, als vielleicht jedes andere von Fortsetzungen geplagte Universum. Auch wenn erste, internationale Kritiken den überraschend starken Hype um den Film etwas entkräftigt haben, ist es immer noch dieselbe Hoffnung, die Spiral nicht gänzlich beiläufig gestaltet, nämlich der Hunger nach frischem Wind in einem Franchise, das möglicherweise doch noch etwas Benzin im Tank hat. Bevor sich jedoch die Frage klären lässt, ob der gestartete Reanimationsversuch geglückt oder den Tod der Filmreihe lediglich um einen schmerzhaften Schock hinausgezögert hat, gilt festzustellen, was Saw damals gewesen ist und inwiefern Spiral sich davon abkoppeln kann.

Wie viele Ikonen der heutigen Zeit schlug auch James Wans Kultfilm Wurzeln aus dem Ungewissen. Basierend auf seinem eigenen, gleichnamigen Kurzfilm und mit einem geringen Budget von nicht mal mehr als 1.2 Mio. US-$ bemannt, gedieh Saw von einem Independent-Projekt zu einem wahnsinnigen Kassenschlager, der als Auftakt für eine immense Anzahl von Fortsetzungen dient. Doch wodurch erlangte Saw diese unglaubliche Popularität unter dem Publikum? Der erste Film ebnete den Pfad zu grotesker, in diesem Ausmaß noch nie gesehener Brutalität, verschachtelten, von Twists und Turns durchzogenen Storylines und dem mit dem Lauf der Zeit zum Aushängeschild des Franchises gewordenen Charakteristikums: Den Fallen des Serienmörders Jigsaw.

John Kramer. Ein Leben voller Gewalt. Das von Hass und Rachsucht erfüllte Genie, porträtiert von Tobin Bell, wirkte sein Schaffen über eine kollektive, außerfilmische Zeitspanne von circa sieben Jahren aus, schaffte sich Feinde, die er zu Verbündeten formte und stürzte unzählige Leben ins totale Chaos oder direkt in den Abgrund. Nach Saw: The Final Chapter (auch unter dem Namen Saw 3D – Vollendung bekannt) und dem Abschluss der großen Zusammenhänge der filmübergreifenden Geschichten, schien sein Werk vollbracht — bis im Jahr 2017 ein weiterer Film angekündigt und realisiert wurde. Nun sind nach Jigsaw, wie der achte Teil der Reihe heißt, abermals eine gewisse Menge an Jahren, an der Zahl zwei, vergangen, bis sich der Titel Saw wieder auf sämtlichen Überschriften von Filmmagazinen und Newslettern lesen ließ.

Doch dies nicht im konventionellen Stil, denn ein Involvierter sorgte für mächtig Spekulation und Furore: Comedy-Darsteller Chris Rock. Den Gerüchten zufolge soll Rock aus eigener Initiative mit einer derartig brillanten, bösartigen und furchteinflößenden Idee an einen Mitarbeiter des Produktionsstudios Lionsgate herangetreten sein, das Franchise von Saw neu aufleben zu lassen, dass COO Joe Drake zu begeistert war, um Rocks Idee abzulehnen. Danach wurde die Welt wieder hellhörig und es war getan: Die Produktion eines neuen Projektes namens Saw: Spiral wurde in die Wege geleitet.

Spiral – Hat Chris Rock das Franchise gerettet?

Unaufgeräumte Schreibtische, billiger, fader Kaffee und eine gehörige Portion Alltagspessimismus. So vegetiert die Karriere von Detective Ezekiel “Zeke” Banks (Chris Rock) zwischen der Undankbarkeit und Missachtung seines Kollegiats vor sich hin. Als wäre sein Job als zwar exzellenter aber nicht gewürdigter Polizeibeamter, dessen ewiges Schicksal die Stellung im Schatten seines Vaters und Veterans Marcus Banks (Samuel L. Jackson) zu sein scheint, nicht bereits hart genug, eröffnet nun zudem ein sadistischer Killer die Jagd auf Personen in Zekes Revier. Dies allerdings in einer Manier, die der Stadt mehr als bekannt ist, denn es handelt sich offensichtlich um einen Nachahmungstäter John Kramers alias Jigsaw. Es ergibt sich für Zeke jedoch schnell ein Muster: Das Ziel sind hauptsächlich Polizisten und Zeke findet sich selbst im Mittelpunkt dieses kranken Spieles wieder.

Worin liegt also nun dieser aus allen Rohren angekündigte, brillante Take von Chris Rock, der Saw als weiterführendes Franchise revolutionieren soll? Auf den ersten Blick wirkt die Story wie ein gewöhnlicher Saw-Film ähnlicher Qualität und Quantität. Und in gewissem Maße trifft das auch durchaus noch zu, denn wie jeder Teil zuvor orientiert sich auch Spiral an den altbewährten Merkmalen der Reihe. Es gibt zahlreiche Intrigen und Täuschungen, Abzweigungen in der Narrative, hemmungslose Gewalt und die obligatorischen Teufelskonstruktionen diverser Fallen. Spiral macht sich die Eigenschaften des Franchises zu eigen — schließlich steht im Namensanhang nicht umsonst der Terminus “From the Book of Saw”. Spiral ist und bleibt ein Saw-Film. Jedoch schlägt hier die Kehrtwende ein, denn auch wenn Spiral ein Saw-Film bleibt, liegt der Fokus der Geschichte woanders, als in allen Filmen zuvor. Auftritt: Chris Rock.

Rocks Idee befasst sich prinzipiell damit, zwar die alten Gegebenheiten zu übernehmen und auch zu verwenden, jene aber nur noch partiell auszuspielen. Anstelle eines abermaligen Konzeptes in Form eines abstrakten, undurchdringbaren Fallenlabyrinths à la Escape Room, konzentriert sich Spiral auf die Investigationsarbeit von Detective Banks und seinen MitarbeiterInnen. Somit wandelt sich Saw vom Kammerspiel-Horror zum Cop-Psychothriller. Ist das in der Allgemeinheit etwas Neues? Keinesfalls. Krimis mit der Perspektive einer exekutiven Fachkraft im Zentrum gibt es zuhauf und missen oftmals die Möglichkeit, eine Ansehung aufgrund konstanter, halb aufgegorener Erzählungen zu rechtfertigen. Ist dies aber etwas Neues für Saw? Absolut.

Schon vorher hat man sich in der Reihe an den investigativen Aktivitäten lokaler Departements in Jigsaws Territorium orientiert, insbesondere Saw und Saw II hatten einige Elemente dieser Art eingebaut. In dieser Gewichtung, die Spiral der Untersuchung der Morde widmet, hat sich das Franchise jedoch noch nie bewegt. Aber nur, weil sich ein Franchise selbst nie eines solchen Genres angenommen hat, macht es nicht automatisch einen guten Cop-Thriller. Wodurch sticht Spiral also vom schweren Namen abgesehen heraus?

Es ist die Einbettung einer Formel in eine bereits existente Welt und die Kombination der Aspekte von Formel und Welt zu einem größeren Ganzen. Spiral ist ein Crime-Thriller der besonders dreckigen Garde. Perfide, geschmacklose Brutalität, triste und schmutzige Farben und ein nihilistischer Abstieg in den Leichenhaufen. Spiral verfügt über eine einzigartige Atmosphäre. Wenn Chris Rock mit leeren, glasigen Augen den Raum eines zur Unkenntlichkeit verätzten Kadavers verlässt, während sich andere Arbeitskräfte an ihm in selbigen vorbeischieben, hat das eine unterschwellige aber äußerst intelligente Botschaft. Die Geschichte steht in direkter Relation zur Welt, die wiederum in direkter Relation zur Prämisse steht.

Dabei ist auch Rocks Darbietung und Interpretation seiner Rolle ein wichtiges Thema. Viele könnten von seiner Präsenz und Herangehensweise abgeschreckt sein, betrachtet man aber die Geschichte, die letztendliche Thematik des Filmes und inwiefern sich die Figurenzeichnung und Entwicklung von Ezekiel Banks in diese einfindet, ist seine Performance praktisch fehlerfrei. Dort zeigt sich merklich, dass mit Spiral eine ganz konkrete und durchdachte Intention verfolgt wird. Bis auf ihn ist bedauerlicherweise kein sonstiges Castmitglied weiter nennenswert, aber sein Investment in das Geschehen übt große Teilhabe daran aus, wie Spiral es schafft, Saw neu zu definieren.

Banks ist des Urteils seiner unzuverlässigen KollegInnen überdrüssig und begegnet ihnen mit cholerischer Gleichgültigkeit, während die einzigen Persönlichkeiten, die ihm noch etwas bedeuten, nach und nach auf bestialische Weise hingerichtet werden. Der düstere Abstieg von dem Protagonisten erinnert an den vergangenen Film noir. Die visuelle wie auch inhaltliche Inszenierung von Regisseur Darren Lynn Bousman, welcher mit Saw II und Saw III vorher schon für die erträglichsten Sequels der Reihe verantwortlich war, erfasst das grimmige Naturell einer verkorksten Profession beinahe zur Perfektion. Die in dem treffsicheren Drehbuch aufgegriffene Kritik am Justizsystem und Korruption der amerikanischen Polizeigewalt hat viel mehr Biss und Schlagkraft, als sämtliche pseudotherapeutische Moralpredigen von John Kramer zusammen. Und obgleich viele Vorstimmen dies bezweifeln, ist Spiral genau dadurch der visionäre Twist, auf den das Franchise schon lange gewartet hat.

Käme Spiral über eine noch recht Malen nach Zahlen-mäßige, wenn auch kompetent und spannend in Szene gesetzte Handlung und eine zugegebenermaßen schlichtweg enttäuschende Auflösung hinaus, könne man von der leibhaftigen Revitalisierung des 80s-Detective-Thrillers sprechen. Das mögen noch durchaus voreilige Worte sein, jedoch hat Spiral die Reihe in eine derart geniale Richtung gelenkt, dass man sich auf weitere Fortsetzungen eines ähnlichen Stiles sehr freuen darf.

Saw und seine zukünftigen Potenziale

Für viel zu lange Zeit hat sich Saw an einem viel zu ermüdenden Schema orientiert. Die Verflechtungen wurden konfuser und konstruierter, die Kills stilloser und die Fallen durch ihre Omnipräsenz langweiliger. Doch hat Saw durch Spiral wieder eine Zukunft? Allerdings. Lässt man den Tathergang eher beiläufig als gelegentlichen Höhepunkt abspulen, ist der Schockfaktor und Reiz an den Fallen immenser. Mit Spiral hat man sich richtig entschieden, besagte Stilmittel etwas geerdeter und dosierter anzugehen. Das Ganze wirkt organischer. Dort kann man wunderbar ansetzen.

Das Universum hat mit seinen Mitteln und seiner Ausstrahlung das Potenzial für die verstörendsten und spannendsten Kriminalfälle des Thriller-Genres. Ein versifftes World-Building und mehr Balance zwischen den Ermittlungen und den schrecklichen Geschehnissen, wie es in Spiral Verwendung gefunden hat, bündelt die Möglichkeit zu den abgefahrensten Perversitäten, wenn die Inszenierung sich diesen Eigenschaften auch beugt. Auch die Behandlung einer tieferen Thematik in Form von karikativen Figurengebilden oder aufstoßender Kritik funktionieren im Kontext eines Mystery-Thrillers mit Horrorelementen total.

Des Weiteren ist die Taktik, die Story des Filmes um einen eingefleischten, differenzierten aber klar definierten Charakter zu bauen, stets im Rahmen einer Charakterstudie mit Einbezug auf die Lebenswelt und -wirklichkeit dieser Figur lukrativ, um dem Ganzen diesen noir-esquen Touch zu verleihen.

Kurz gefasst: Das Franchise darf sich in Zukunft gerne an den Merkmalen von Spiral orientieren, denn diese sind für dessen Erhaltung wegweisend. Die bisherige Komfortzone zu verlassen und immer mal wieder mit den Prioritäten zu spielen. Das könnte das über Jahre ungebündelte Potenzial von der Welt von Saw und seinen adäquaten Attraktionen für das Crime-Thriller-Genre in einer Klasse repräsentieren, von der man bisher nie geglaubt hätte, dass sie in diesem Franchise steckt.

SAW: SPIRAL LÄUFT SEIT DEM 16. SEPTEMBER 2021 IN DEN DEUTSCHEN KINOS