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Evan, introvertierter Ehemann und frischgebackener, hingebungsvoller Vater, liebt seine Familie über alles. Aber Evan hat auch eine dunkle Seite. Er arbeitet als Vertrauenslehrer an einer High School und mutiert zum brutalen Serienkiller, der es auf alle Erwachsenen abgesehen hat, die Kinder misshandeln.
©: TMDB
Regie: Henry Jacobson
Drehbuch: Will Honley, Henry Jacobson, Avra Fox-Lerne
Schnitt: Nigel Galt
Kamera: Isaac Bauman
Schauspieler*innen: Seann William Scott, Mariela Garriga, Dale Dickey
Produktionsjahr: 2021
Land: USA
Sprache: Englisch
Länge: 1h35min
Genre: Thriller, Horror, Krimi

Gewalt im Film – neu gedacht?

Wann hat ein Film das, was man “Stil” nennt? Wie weit muss ein Werk ein handverlesenes Charakteristikum pushen, dass es als dominantes Alleinstellungsmerkmal funktioniert? Dies kann im Interesse des Filmes und den hinter ihm steckenden Talenten praktisch alles sein. Sei es ein klassischer Tarantino, der mit pfiffigen Dialogen nur so um sich wirft als wären es Präsente zu Heiligabend, die wortkarge Anspannung in der Inszenierung eines Nicolas Winding Refn oder der Fokus auf das Spiel des Ensembles inmitten eines hochkarätig ausgestatteten Dramas. Jeder Film hat seinen Motor, doch nicht jeder Film ölt ihn mit derselben Sorgfalt. In Bloodline – einem kleinen Projekt des bekannten Produktionsstudios Blumhouse – wird an roter Flüssigkeit zumindest nicht gespart und der Motor großzügig geschmiert. Der Name lässt es schon vermuten: Brutalität steht als auffälligstes Merkmal im Vordergrund.

Gewalt im Film ist schon lang keine Seltenheit mehr. Früher noch unter dem Publikum als schädlich und prätentiös abgestempelt, stumpft das moderne Kino immer weiter von dieser damaligen Einstellung ab. Aufgeschlitzte Kehlen, zerquetschte Knochen und freigelegte Organe bilden nicht länger ein Tabu auf der Leinwand — je nach Genre und Inhalt gehört es längst zur Norm. Die Entscheidung, zur Brutalität zu greifen, erweist sich nicht als schwierig. Sie zu inszenieren und richtig zu verwenden jedoch schon. Manchmal wird ein Schlachtfest zu lieblos und trocken integriert oder das Gemetzel sogar in besorgniserregender Ekstase zelebriert. Und so fragt man sich (berechtigterweise) bereits nach den ersten fünf Minuten von Bloodline bei der ersten, äußerst expliziten Gewaltspitze auch: Ist das noch Kunst oder kann das weg?

Es gibt so viele verschiedene Gesichter von Gewalt und nochmal doppelt so viele Möglichkeiten, diese Gesichter zu porträtieren. Ein Team hinter und vor der Kamera führt die Gewalt. In Bloodline führt die Gewalt aber eher das Team. Stilistik im zarten Saum einer perfiden Ultrabrutale. Bloodline geht mit seiner Gewalt über den primitiven Schockfaktor hinaus, denn man fühlt jeden Muskel und jeden Nerv zucken, sieht Zelle für Zelle reißen. Erwirtschaftet wird dies aber nicht ausschließlich durch die meisterhaften praktischen Effekte. Wahre Stärke erlangt ein im Zentrum stehender Aspekt durch die Zuschüsse seines kooperierenden Plenums. Die klein gehaltenen Facetten in Bloodline unterstützen die Ausdrucksstärke der Brutalität — eine Facette, die alles andere als klein gehalten ist. Die Farben in Bloodline sind hell, aber auch steril und kalt. Nur selten bewegt sich die Kamera mit ihren polierten Einstellungen vom Fleck. Charaktere heben ihre Stimme nie über Zimmerlautstärke. Und plötzlich spritzt die Blutfontäne aus einem aufgeschnittenen Hals auf den glatten Fußboden. Bloodline hat eine wahnsinnig intelligente Inszenierungsstrategie. Der Minimalismus lenkt das konzentrierte Auge auf den am wenigsten minimalistischen Platz und lässt diesen umso gigantischer erscheinen. Dadurch erfährt Bloodline eine Form von Gewalt und dessen Zurschaustellung, wie man es zuvor potenziell noch nie gesehen hat.

Ein stimmiges Produkt aus unscheinbaren Faktoren

Dabei ist die Geschichte des Filmes wenig kreativ und auch nicht besonders originell, in seiner qualitativen Umsetzung aber wirklich effektiv und interessant. Evan Cole, engagierter Vertrauenslehrer und frisch gebackener Vater, verfügt über einen radikalen moralischen Kompass. Der Stress im Privat- und Berufsleben nagen an seiner gefassten Haltung — aufgestaute Aggression frisst sich durch seine Selbstbeherrschung. Er will die Ungerechtigkeiten seiner Schützlinge nicht länger ertragen und übt Rache an denen, die seinen Schülern und Schülerinnen Leid hinzugefügt haben. Mit diesem Konzept erinnert der Film arg an die populäre Serie Dexter — ein Mörder, der sich aber nur an Verbrechern vergeht. Der ethische Zwiespalt ist enorm. Haben auch die abscheulichsten Gestalten den Tod durch die Hand eines anderen verdient, um weiteren Gewalttaten zu intervenieren? Bloodline konkretisiert diese Fragestellung smart, denn er gibt von vornherein keine Antwort. Es bleibt bei diesem bitterbösen Impuls. Thematisch setzt sich der Film differenziert und kritisch mit der vergoltenen Selbstjustiz auseinander. Dies erfolgt nochmal mit einer gewissen Extrafeinheit dadurch, dass der Film sich das Wesen seines fragwürdigen Protagonisten bewusst macht, da er im herkömmlichen Sinne des Begriffes gar keiner ist. So stolziert die Hauptfigur von einer brutalen Ermordung direkt ins Bett zu seiner Frau. Evan ist ebenso wie seine Ziele ein Krimineller. Er ist aber gleichzeitig liebender Ehemann und hingebungsvoller Vater.

Das Drehbuch spielt mit der Sensibilität seines Hauptcharakters. Deliriös verblendet, gejagt vom eigenen Treiben, überschätzt er seine Wahrnehmung. Die Barriere zwischen Überzeugung und Zwang zerbricht. Seann William Scott, der vorrangig für seine Rollen als charismatischer Chaot in Komödien wie der American Pie-Reihe oder Vorbilder bekannt ist, scheint keine naheliegende Besetzung für eine derart düstere Figur zu sein. Doch jeder, der ihm eine solche Rolle nicht zutraut, soll eines Besseren belehrt werden: Er verkörpert diesen Charakter mit einer unheimlichen Intensität und leistet bravouröse Arbeit.

Zurückgehalten wird der Film von der Dichte an Backstory und Nebencharakteren in der Narrative sowie einem gelegentlich zu hart gesetzten Schnitt. Beide Kritikpunkte wirken der krankhaften Subtilität entgegen, die diese kurzweilige Blutorgie auszeichnet. Doch dies wird problemlos von der eindrucksvollen Machart mit verhältnismäßig geringen Mitteln unterdrückt. Wenn ein Film mit seiner graphischen Darstellung sogar Kontrahenten wie I Saw the Devil, Only God Forgives, Sin City oder Terrifier in Staunen versetzt, soll das schon etwas heißen. Gerade bei der souveränen Ausstrahlung des gekonnten Handwerks, welches optisch und mit einem spannenden Electronic-Soundtrack mit Freuden an eine Mixtur aus Gialli vergangener Tage und Dan Gilroys Nightcrawler erinnert, will Bloodline dann doch obgleich anwesender Schwachpunkte in der Story immer wieder in Fahrt kommen. Stil kann viele Gesichter haben, aber eines der prägendsten unter ihnen ist das der balancierten Selbstständigkeit. Somit handelt es sich nicht nur um einen tatsächlich sehenswerten Ableger von Blumhouse, sondern zusätzlich um das verblüffende Phänomen, dass Schätze wie Bloodline immer wieder unter dem Radar fliegen — aber dies wenigstens mit Stil.

7.0
Punkte