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Von ihrer Mutter verlassen wächst Sam bei der “Firma” auf, einer kriminellen Vereinigung, für die auch ihre Mutter gearbeitet hatte. 15 Jahre später ist Sam selbst zur professionellen Auftragskillerin geworden und wird zur Gejagten, als sie einen Job vermasselt.
Regie: Navot Papushado,
Drehbuch: Navot Papushado, Ehud Lavski
Schnitt: Nicolas De Toth
Kamera: Michael Seresin
Schauspieler*innen: Karen Gillan, Lena Headey, Michelle Yeoh
Produktionsjahr: 2021
Land: USA, Frankreich, Deutschland
Sprache: Englisch
Länge: 1h55min
Genre: Thriller, Krimi, Action

Amerikas neue Actionformel

Mit abgebrochenem Wischmoppstiel in der Hand sieht sich Samantha (Karen Gillan) in einer verlassenen Bowling-Halle von drei unfreundlichen Männern bedrängt. Das schummrige Licht und der blitzblanke Holzboden tauchen die Szenerie in eine fluoreszierende Spiegelfläche, direkt unter den Füßen der beiden Seiten. Gleich geht ein Balletttanz der schädelbrechenden Art los. Es ist an der Zeit, einen Wischmopp zu brechen für den neusten Klon aus der John Wick-Actionfilmfabrik.

Denn Gunpowder Milkshake stellt sich weniger geschickt an, die neuste Mixtur aus handgemachter Action mit Neonfarben und Coolness zu kombinieren. Praktisch hat sich um diese drei Komponenten seit dem ersten „John Wick“-Ableger mit Keanu Reeves in der Hauptrolle eine ganze Reihe weiterer Spielfilme versammelt. Mittlerweile kann man fast von einem eigenen Sub-Genre sprechen. Allein 2021 stießen mit Nobody, dem Netflix-Original Kate und nun auch Navot Papushados Werk drei weitere zu diesem Sammelsurium dazu.

Auch hier kämpft sich eine wortkarge Hauptfigur mit besonders faust- und ballerfreudigen Talenten durch Massen an Gegnerwellen, weil es etwas zu beschützen gilt und sie verfolgt wird. Der Ton ist schon in den ersten Sekunden maßgebend: Die Stimme aus dem Off erzählt von „Der Firma“, einer von Männern geführten Untergrundorganisation der Extraklasse, in der Auftragskiller ihr täglich Brot verdienen.

Eine davon war Samantha – bis jetzt. Sie wird zur Zielscheibe ihrer Arbeitgeber, nachdem sie sich dazu entschieden hat, einen Job nicht auszuführen: Im Kindesalter von ihrer eigenen Mutter beim gemeinsamen Milkshake-Schlürfen verlassen, bringt es Samantha nicht übers Herz, ein elternloses Mädchen dem Tod zu überlassen.

Zu viel der Coolness

So ist das Lagerdenken ebenfalls gleich zu Beginn entfacht. Über Samantha und die kleine Emily (Chloe Coleman) wird die Hölle hereinbrechen, weil sich die weibliche Hauptrolle von ihren ausbeuterischen und gewissenlosen Unterdrückern emanzipieren will. Subtilität geht anders. Im Umkehrschluss würde aber das gleiche für die Gewalt gelten. Touché. Pistolenkugeln werden in die Wunde gelegt. Für visuell festgehaltene Progressivität der filigraneren Sorte interessiert sich Gunpowder Milkshake nicht.

Dass es sich hierbei um keine Charakterstudie handelt, wird auch in den Statuen gleichenden Gesichtszügen und pseudocoolen Dialogen aller Beteiligten nach außen vermittelt. Da geht Samantha sich neue Schießeisen beschaffen, die in Büchern gelagert werden und von den Bibliothekarinnen statt mit Modellnamen lieber nach ihrem Behältnis und ihrer Autorin vorgestellt werden. Was durch den Wortwitz die ersten paar Male noch amüsant ist, verleitet nach minutenlangem Exerzieren aber genau deswegen zum beschämten Wegschauen und nicht zur gewollten Coolness.

Warum also einen Wischmopp für ausgerechnet sowas brechen? Die Kunst der Postproduktion schlägt zu. Denn Gunpowder Milkshake übertrifft seine Genre-Verwandten in einem Aspekt. Etwas, dass in allerlei Filmrezensionen mit der schriftlichen Hervorhebung der Neonfarben nur angedeutet wird. Es ist die Farbkorrektur, welche Papushados feministischen Actionfilm auf ein visuelles Glanzlevel hebt, die mit jedem bisherigen John Wick den Boden aufwischt.

Gewalt in prächtiger Farbenvielfalt

Knackige Kontraste in der zwielichtigen Bowlinghalle treten in Gegensatz zu bläulich sterilen Arztpraxen und dem kastanienbraunen Ambiente der Untergrundorganisation. Dankbar muss man sein. Dafür, dass der Film in Deutschland nicht sofort zum Netflix-Original verdonnert wurde und diese Farbgebung deswegen nicht mit einer furchtbaren Bitrate in Mitleidenschaft gerät.

Gunpowder Milkshake lebt hauptsächlich von seiner Visualität. Von Bildern, mit denen man ganze Wände tapezieren möchte. So bekommt die zu Anfang mit dunkelblauem, schiefem Hut und gleichfarbigem Trenchcoat in die Bibliothek eintretende Samantha mit ihrer purgelben „I <3 Kittens“-Sporttasche Wiedererkennungswert – trotz ihrer Schmollschnute, platten Charaktereigenschaften und der Reminiszenz an Humphrey Bogart oder Clint Eastwood.

Später ziert eine im satten Orange funkelnde Collegejacke die Ex-Auftragskillerin. Das kaltblütige Gewissen schlägt um in fürsorgliche Herzenswärme. Oftmals im dunklen Helligkeitsbereich fixierte Kontraste zeichnen die Konturen der Figuren makellos von den kalten Neonlichtumgebungen ab. Papushado hat die Farblehre anscheinend inhaliert und in der Nachbearbeitung auf Hochglanz poliert.

Auch wenn die Charakterveränderung wie vieles Weitere nur optisch und nicht durch das Zusammenspiel der Figuren oder die Handlung plausibel erscheinen, wird hiermit eine der drei Komponenten in einer Bravour auf die Leinwand projiziert, die erstmal wieder erreicht werden muss. Dazu gesellt sich ein wunderschönes Set-Design aus den Babelsberger Filmstudios. Dieses weiß einen Spagat zwischen 60er Jahre Popkultur und Gegenwart zu vereinen. Die darin ausgetragenen Zerstörungstiraden mit purpurrotem Lebenssaft runden die Lollipop-Ästhetik fabelhaft ab.

Wenn es zum Showdown, der eher dem Leveldesign eines Ego-Shooters gleicht und die Laufzeit zu sehr aufbauscht, oder zur inhaltlichen und ultrafeministischen Substanz kommt, spaltet Gunpowder Milkshake. Vor allem das gewählte Ende besiegelt das Lagerdenken von Geschlechtern, anstatt es zu beenden. Doch die sich durch dunkle Kontraste abhebenden Charaktere, Möbel, Neonlichter oder Spiegelungen sind in ihrer präzisen kolorierten Aufmachung wegweisend. Nicht nur für den Münzwurf, sondern auch für den Stil des Sub-Genres, was ein charmanter Rachefeldzug vor sieben Jahren neu entfacht hat.

Gunpowder Milkshake läuft seit dem 02.12.2021 in den deutschen Kinos

6.0
Punkte