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Im Berlin des Jahres 2052 herrscht Chaos im Konflikt zwischen Immigranten und autochthoner Bevölkerung, sowie zwischen Ost- und West. In dieser Welt begibt sich der stumme Barkeeper Leo Beiler (Alexander Skarsgârd) auf die Suche nach einer verschwundenen Frau, die er liebt, und die für ihn der einzige Grund ist, am Leben zu bleiben. Auf seiner Reise gerät er immer tiefer in die kriminellen Abgründe der Stadt. Immer wieder tauchen zwei amerikanische Chirurgen auf, und Leo weiß nicht, ob er ihnen vertrauen kann.
Regie: Duncan Jones
Drehbuch: Michael Robert Johnson, Duncan Jones, Damon Peoples
Kamera: Gary Shaw
Schnitt: Laura Jennings, Barrett Heathcote
DarstellerInnen: Alexander Skarsgård, Paul Rudd, Justin Theroux
Land: Großbritannien, Deutschland
Sprache: Englisch
Länge: 2h6min
Genre: Science Fiction, Thriller

Verfügbar auf:
Netflix DE

Regisseur Duncan Jones erregte als einer der vielversprechendsten Filmemacher der nächsten Jahre ein frühes Aufsehen. Ursprünglich als sein Regie-Debüt geplant, verfehlte Mute über eine Zeitspanne von mehreren Jahren aufgrund permanenter Produktionsschwierigkeiten und fehlender finanzieller Mittel jedwede Chance, Form und Farbe zu bekommen, bis Netflix es möglich machte. Der Hype um Jones Vision eines Neo-Noir-Krimis, in dem ein stummer Mann seine verschwundene Freundin in einer lärmenden und blitzenden Großstadt finden muss, war nach Bekanntgabe der lang ersehnten, baldigen Veröffentlichung gewaltig. Umso erschlagender war das von Kritikern zerrissene Endresultat, das als langjähriges Passionsprojekt einen noch tragischeren Tiefpunkt in Jones Filmographie darstellte, als die kommerziell und bei Kritikern gescheiterte, auf dem populären MMORPG-Titel von Blizzard Entertainment basierende Videospielverfilmung Warcraft. Mute bleibt für mich eines der Werke, denen ich am meisten hinterhertrauere. Die Geschichte strotzt auf dem Papier nur so vor Potenzial für einen großartigen Genre-Mix, dessen tatsächliche Ausführung nichts weiter als ein verlorenes Meisterwerk zeichnet. Doch worin liegt dieses verlorene Meisterwerk?

Das Cyberpunk-Berlin

Womit Mute die fast einzigen positiven Stimmen über sich vereinen konnte ist sein dystopisches Setting. Inspiriert von Ridley Scotts Sience-Fiction-Klassiker Blade Runner erschuf Duncan Jones ein schmutziges, modernisiertes Zukunfts-Berlin, das die verzweifelte Situation des Protagonisten mit der richtigen Menge Chaos und Wahnsinn aufrüttelt. Tatsächlich kommt Mute mit einer Audiovisualität daher, die schlichtweg beeindruckend und atemberaubend ist. Das neongetränkte Produktionsdesign vermittelt ein begleitendes Unwohlsein, weiß gleichzeitig aber das Interesse an der gezeigten Welt konstant aufrechtzuerhalten. Dennoch zieht Mute aus seiner eigenen Optik keinen starken Mehrwert. Die Bilder stellen unzählige Eindrücke und Ansätze vor, drängen sich sogar regelrecht auf, verschwinden aber wieder in der bizarren Inszenierung eines World-Buildings, das vor lauter Brainstorming an Ideen nicht mehr weiß wohin mit sich. Stattdessen feuert Mute blindlings mit zwielichtigen Gestalten um sich, die mit jedem weiteren Auftritt einen kontraproduktiven Trash-Faktor in den Film injizieren, welcher die ansprechende Dystopie in eine überdrehte Berliner-Freak-Show verwandelt, die so fixiert darauf ist sich von der Menge abzuheben, dass es ihr letztlich komplett misslingt.

©Netflix Inc.

Kein Thriller großer Worte

Man darf sich von der extraordinären Prämisse nicht zu sehr umgarnen lassen, denn inhaltlich ist Mute fern davon ab, extraordinär zu sein. Die Tatsache, dass unser zu Anfang noch interessanter Protagonist nicht sprechen kann und kommunikativ eingeschränkt seine verschollene Freundin aufsuchen will, wird über erzwungene Dialoge in seiner stummen Prämisse schnell ausgeschlachtet und auf eine elanlose Spurensuche degradiert. Hinzu kommt der typische Drang von storytechnischer Überladenheit, dem viele Thriller unterliegen. Die einzelnen Handlungsstränge laufen viel zu lange nebeneinander her, entziehen den anderen Handlungssträngen ihr erarbeitetes Momentum und bilden insgesamt ein wuseliges, überfülltes Gebilde hohler Nebencharaktere, das den Fokus der Geschichte verstellt und mit jeder kleinen Wendung mehr und mehr ernüchtert.
Der Fall schleicht zuerst von einer ungeschickten Einleitung, hastet dann plötzlich über einen nichtssagenden Mittelteil direkt zur Auflösung, in dem der Spannungsbogen fatal erschlafft.

Die unterjochten Darsteller

Doch nicht nur hinter der Kamera hat man sich eine begabte Crew zusammengestaubt und daraus bei weitem nicht alles rausgeholt, was die Oberfläche verspricht. Mit Alexander Skårsgard hat man bereits einen schwierigen Fall. Ein wie ich finde so talentierter Schauspieler, dem um einen ganzen Film zu tragen aber immer noch die große Durchbruchsrolle fehlt. Somit bleibt Protagonist Leo eine sympathische und bemitleidenswerte Figur, der aber vor Farblosigkeit bald der Antrieb ausgeht. Skårsgard liefert bei dem ihm gegebenen Material eine überzeugende Leistung und zeigt sein Können, wird von der unzureichenden Charakterzeichnung aber zurückgehalten, denn über sein Gimmick kommt diese Figur nicht hinaus. Paul Rudd und Justin Theroux erleben das gleiche Schicksal, allerdings nicht im üblen Ausmaß wie Alexander Skårsgard. Ihre Charaktere werden von einer höheren Investitionsbereitschaft der Erzählung zusammengehalten, kranken aber auch an sprunghafter, fragwürdiger Persönlichkeit, je nachdem wie es das Drehbuch gerade verlangt. Regieführung und Schauspiel sind einzeln gesehen lobenswert, die Kombination der beiden Bereiche und die dadurch entstehenden Szenen legen aber einen fehlerhaft befremdlichen Ton in die Geschichte, der ihr in allen Belangen schädigt.

©Netflix Inc.

Fehleinschätzung eigener Qualitäten?

Duncan Jones Stil bewährte sich bereits in seinen vorigen gefeierten Werken: Moon und Source Code. Zwei selbstbewusste Genre-Vertreter der Science-Fiction und mit allen inhaltlichen und optischen Elementen ausgestattet, im Kern jedoch sensibilisiert durch ein kraftvolles und packendes Charakterdrama. Eine funktionstüchtige, individuelle Formel, dessen erneute Benutzung aus Mute einen deutlich besseren Film hätte machen können. Jones gelang mit besagten Vorreitern ein faszinierender und anspruchsvoller Spagat zwischen Realität und Fiktion auf eine derart elegante Weise, die filmisch sowie lebensecht überzeugt. Und Mute ist bedauerlicherweise weder das eine, noch das andere.

Trotz der strahlenden Erscheinung fehlt es Mute an kreativen Sprüngen, um sich merklich zu manifestieren. Das Setting dient lediglich als visuelles Gewand, hat aber weder eine greifbare Identität, noch eine Bewandtnis für die Erzählung und verwelkt als audiovisuell bahnbrechende aber durch und durch leere Hülle. Somit fehlt dem einzigen Alleinstellungsmerkmal, über das Mute verfügt, der grundlegende Aspekt: ein eigenes Alleinstellungsmerkmal. Das unausgeglichene Drehbuch vermisst einen geschickten Umgang mit seiner eigenen Storyline, um dem trägen Thriller Leben einzuhauchen. Mute zeigt für große Teile im Handlungsverlauf keinen Progress und verweilt überwiegend bei narrativem Auf-Der-Stelle-Treten. Die haltgebenden Figuren verlieren sich schnell in inkohärenten, geradlinigen Motivationen und lassen die Erzählung trotz begabter Besetzung kühl und künstlich auftreten. Sicherlich waren hier die Komplikationen in der Produktion ein großer Faktor für die finale Umsetzung von Mute, dem Regisseur und allen Beteiligten wäre hier aber ein weiterer Geniestreich zuzutrauen gewesen, hätte man sich mehr an alten, selbst erprobten Methoden orientiert und das Skript dementsprechend angepasst, sprich mehr erzählerischen Wert auf die Figuren und weniger in die Welt legen.

©Netflix Inc.

Fazit

Überfrachtet mit unzähligen, am Ende oberflächlich zusammenkonstruierten Nebencharakteren und dessen Handlungssträngen, dieser Sci-Fi-Thriller unterfordert sein dystopisches World-Building und kompetente Darsteller wie Alexander Skårsgard und Paul Rudd auf einem langsamen, grob mysteriösen und insgesamt unnötig verworrenem Vermisstenfall. Dabei sind viele Einzelheiten des Filmes so großartig und brillant, dass es an ein Wunder gleicht, wie das Gesamtkonstrukt mit diesen Voraussetzungen derart in sich zusammenfallen konnte.

Duncan Jones hatte gute Intentionen für das nächste große Ding des Cyberpunks, seine Umsetzung hinterlässt jedoch einen spannungsarmen Krimi, der obwohl er sämtliche Anstalten in die Wege leitet genau dagegen anzukämpfen, stereotyper und flacher kaum sein könnte. Weder Atmosphäre noch Eindringlichkeit kommen in der funkelnden Ästhetik auf, die auf schmerzhafteste Weise trotz exquisiter Bilder einfach nichts zur Sache tut und keine Stimmung erzeugt, wo einzig und allein Clint Mansells überragender Score nachhelfen kann. Mit einer bedachtsameren Auslegung seiner Genres hätte man hier einen Meilenstein begutachten können, wer jedoch einen spannenden Thriller erwartet, stellt seinen Fernseher nicht auf Mute, sondern schaltet ihn lieber gleich ab.

4.0
Punkte