Seit es Kameras gibt, die Bewegtbilder aufzeichnen können, gibt es Filme über Kriege. Aus der Kinolandschaft sind sie nicht wegzudenken, die kämpfenden Soldaten, die ruhmreichen Kriegshelden, die blutigen Schlachtfelder. Dabei fungierte das Medium gerade zu Zeiten des zweiten Weltkriegs lediglich als reiner Übermittler propagandistischer Botschaften. Nicht nur in Deutschland produzierte man Spiel- und Dokumentarfilme, um die Motivation, die Kriegslust und den Patriotismus seiner Bevölkerung zu entfachen (z.B. in Sieg im Westen), auch die Amerikaner (z.B. in Why We Fight) oder die Russen (z.B. in Moscow Strikes Back) verstanden das stimmungsmacherische Potential des Mediums.
Unterschieden werden amerikanische und deutsche Propaganda-Filme vor allem aus zwei Gründen: Zum einen waren deutsche Filme nicht nur kriegstreiberisch und programmierten die Landsliebe in die Köpfe der Menschen, sie propagierten auch und vor allem faschistische Theorien im Gegensatz zu den liberalen und demokratischen Ideen der USA. Der zweite Unterschied liegt in einem simplen Grund – die US-Amerikaner waren auf der Siegerseite. Während sich das Bild der Kriegsfilme – 75 Jahre nach dem Ende des letzten Weltkrieges – massiv gewandelt hat, ist diese propagandistische Art des Genres dort deshalb tatsächlich auch heute noch allgegenwärtig. Nicht mehr direkt als Propaganda-Werke der Regierungs-Apparate, sondern mehr als Fortsatz amerikanischer Politik des Patriotismus. Heldenhafte Amerikaner stürmen durch die Reihen der fiesen Gegner und liefern sich actionreiche Sturmgefechte wie in American Sniper, Der Patriot, Fury, Top Gun, Midway, Pearl Harbor – die Liste der Beispiele ist unerschöpflich. Krieg ist cool, Amerikaner sind Helden. Der Krieg ist ein Schauplatz für eben jene Helden, genau wie sich Hollywood stets auf seinen Heroismus besinnt. Kriegsfilme lassen die schrecklichen Konflikte zur Unterhaltung verkommen, grausame Schlachtfelder dienen lediglich als Bühne für möglichst cool inszenierte Action-Szenen. Der gelebte Patriotismus in diesen (Negativ-)Beispielen ist streng genommen immer noch die US-amerikanische Propaganda, wenn auch mit verschiedenen Intentionen. Ich kann mit solchen Filmen nichts anfangen. Action wird mit Unterhaltung konnotiert, Spaß und Adrenalin-Kicks. Sollte man Kriegsschlachten also wirklich als Action-Szenen inszenieren oder benennen? Und muss dieser blind machende Patriotismus sein? Diese Glorifizierung des Krieges? Ich denke nicht.
Um ein wirklich guter Kriegsfilm sein zu können, muss ein Film nach meiner Ansicht genannte Merkmale vermeiden. Glücklicherweise gibt es auch dazu genügend Beispiele und Ansätze. Wie in Hacksaw Ridge, wo sich der Protagonist in den Krieg begibt, mit dem Ideal, keine Waffe einzusetzen und nur Verletzte zu versorgen. Der Fokus liegt also darauf, wie der Krieg Menschenleben zerstört – der Protagonist ist deshalb ein Held, weil er dem, was der Krieg zu Folge hat, entgegenwirken möchte. Oder in Dunkirk, wo es weder zu einer Schlacht noch irgendeinem anderen richtigen Kampf kommt – alles, worum sich Christopher Nolan kümmert, ist die Flucht aus dem Krieg heraus. Die Flucht vor dem Schrecken. Nächstes Beispiel: Schindlers Liste, der dem Prinzip von Hacksaw Ridge ähnelt. Oskar Schindler ist als Figur das Antonym zum Krieg – anstatt Leben zu nehmen, setzt er alles ihm Mögliche in Bewegung, um sie zu retten. Kurz: Ein guter Kriegsfilm ist ein Anti-Kriegs-Film.
Komm und Sieh geht einen etwas anderen, meiner Ansicht nach noch besseren Weg. Der weiß-russische Kriegsfilm aus dem Jahre 1985 folgt einem Jugendlichen in einem von den Deutschen besetzten Teil der Sowjetunion im zweiten Weltkrieg. Zu Beginn des Films gräbt er im Sand nach Waffen, um voller Begeisterung und Vorfreude, ein Held für sein Volk zu werden, den Partisanen beizutreten, den sowjetischen Widerstandskämpfern gegen die deutschen Besatzungskräfte. Er freut sich auf den Krieg, freut sich, zum Kriegsheld zu werden. Doch schnell wird er eines Besseren belehrt. Kurz nach dem Beitritt zu den Partisanen wird er und der Trupp Opfer eines Fallschirmjäger- und Bombenangriffs. Florian, so heißt der Junge, wird dadurch selbst halb taub und das erste Mal traumatisiert. Er flieht zurück in sein Heimatdorf, nur um festzustellen, dass sein komplettes Dorf, inklusive seiner Mutter und seiner Schwestern, von den Deutschen erschossen wurde.
Spätestens in dieser Szene wird einem klar, welchen Ansatz Komm und Sieh verfolgt. Er lässt einen den Krieg hassen. Szene für Szene steigert sich der Film in seiner Grausamkeit und Erbarmungslosigkeit, bis er in Unsäglichem, Unvorstellbaren endet. Ein ehemaliger deutscher Soldat, der bei den Taten der Deutschen im sowjetischen Land dabei war, erzählte bei einer Sichtung des Films, dass das Gezeigte echt sei, in dieser Härte wirklich passiert sei. Und das macht es nur noch schlimmer. Alles in der Inszenierung von Komm und Sieh ist darauf ausgelegt, dass wir den Krieg hassen lernen. Dass wir sein wahres Gesicht sehen. Er lässt uns in die Haut Florians schlüpfen, in die Haut eines Jungen, der Opfer von (gewollter oder ungewollter) Kriegspropaganda geworden ist und innerhalb weniger Tage mit dem Kopf voran in den Matsch fällt, weil er die schlimmsten Dinge erlebt, die man sich vorstellen kann. Und dessen Emotionen bekommen wir auf filmischen Weg ungefiltert mit. Eine Sache löste Komm und Sieh damit zweifellos bei mir aus: Ich hasse diesen Film. Er traumatisiert mich geradezu. Das Erlebnis ist ein Alptraum. Komm und Sieh ist so schrecklich wie kaum ein anderer Film zuvor, den ich gesehen habe. Aber genau das ist der Punkt.
Kriegsfilme sind also dann noch bessere Filme, wenn wir das Erlebnis, sie zu schauen, hassen. Weil wir dann gleichzeitig das hassen und fürchten lernen, was sie darstellen. Der Krieg ist grausam, ungerecht und ohne Erbarmen. Genau so sollten auch seine Filme sein. Komm und Sieh tritt in die Riege der Filme (in der für mich beispielsweise bereits Die Letzten Glühwürmchen eingetreten ist) ein, die diesen Ansatz zur Perfektion hin beherrschen und anwenden. Komm und Sieh ist ein Film, den man zutiefst verachtet, und deshalb ist er so genial.