Später als üblich werden auch dieses Jahr wieder die Academy Awards in Los Angeles verliehen, am Sonntag ist es soweit. Ein von Kino-Schließungen und Ungewissheit geprägtes Jahr lässt eine sehr komplizierte und Kompromiss-lastige Verleihung erahnen. Aber: So bewegt das vergangene Jahr auch war und so viele Blockbuster auch verschoben wurden: Eben jene Filme, die in die Folgejahre gedrückt wurden, passen sowieso nicht wirklich in den Geschmack der Academy-Jury. Aus diesem Grund schien die Filmauswahl trotz der Pandemie kaum eingeschränkt zu sein – wüsste man es nicht besser, würde man die Besonderheit der diesjährigen Verleihung wohl kaum bemerken. Auffällig ist bei der Betrachtung der Nominierungen allerdings, dass sich der Trend, der sich in den letzten Jahren schon angedeutet hat, deutlich schneller fortsetzt als vermutet. Die Nominierungen, die ihre US-Premiere nicht auf einem Streaming-Dienst feierten, sind gefühlt an einer Hand abzuzählen.

Sei es drum, ich möchte in diesem Beitrag einen kleinen Blick auf unsere Meinung zu den acht Filme lenken, die von der Academy zum Besten Film gewählt werden könnten. Was ist euer Favorit, und welcher Film hätte in der Kategorie aus eurer Sicht noch vertreten sein müssen?


The Father

Anne (Olivia Colman) ist in großer Sorge um ihren Vater Anthony (Anthony Hopkins). Als lebenserfahrener, stolzer Mann, lehnt er trotz seines hohen Alters jede Unterstützung durch eine Pflegekraft ab und weigert sich standhaft, seine komfortable Londoner Wohnung zu verlassen. Obwohl ihn sein Gedächtnis immer häufiger im Stich lässt, ist er davon überzeugt, auch weiterhin allein zurechtzukommen.

Das Fazit aus Tims Review: Florian Zeller versetzt uns in The Father so gut es nur geht in den Kopf eines Demenz-Erkrankten und erreicht sein Ziel mit Bravour. Sicherlich ist dies nicht zuletzt deshalb der Fall, weil jede Darsteller*in und jedes Crewmitglied grandiose Arbeit leistet, allen voran Anthony Hopkins als Hauptdarsteller und Yorgos Lamprinos als Editor. The Father ist handwerklich makellos, erzählerisch fesselnd, stilsicher und gleichermaßen innovativ. Ohne Zweifel stellt er schon jetzt einen der besten Filme des Jahres dar.

DE-Start: Der Kinostart war am 22. April 2021 angesetzt, wurde jedoch nicht realisiert. Ein neues Release-Datum steht noch aus.

  • Daniels Wertung: 9 von 10 Punkten
  • Tims Wertung: 10 von 10 Punkten
  • Yarons Wertung: 8 von 10 Punkten
  • Movie Space-Wertung: 9 von 10 Punkten

Judas and the Black Messiah

Der Kleinkriminelle O’Neal (Lakeith Stanfield) wird vom FBI beauftragt, die Black Panther Party und ihren Anführer Fred Hampton (Daniel Kaluuya) zu infiltrieren. O’Neal beginnt, sich Hampton anzunähern, der daran arbeitet, Allianzen mit rivalisierenden Gangs und Milizgruppen zu bilden. Als der Parteivorsitzende Fred Hampton aufsteigt und sich unterwegs in die Mitrevolutionärin Deborah Johnson (Domininque Fishback) verliebt, entbrennt ein Kampf um O’Neals Seele.

Das Fazit aus Tims Review: Besonders Daniel Kaluuya überzeugt in Shaka Kings zweiten Langfilm, welcher ausgiebig Unterdrückung und den Wunsch nach Freiheit thematisiert. Sowohl auditiv als auch visuell lassen sich keinerlei Mängel ausmachen und so ist es allenfalls das nicht immer perfekte Pacing, welches Judas and the Black Messiah Steine in den Weg legt. Dennoch bleibt er ein wichtiger, topaktueller Film und das obwohl die Ereignisse nun bereits über 50 Jahre zurück liegen.

DE-Start: Der Kinostart ist am 24. Juni 2021 angesetzt.

  • Tims Wertung: 8,5 von 10 Punkten
  • Yarons Wertung: 6 von 10 Punkten
  • Movie Space-Wertung: 7,25 von 10 Punkten

Mank

Der Drehbuchautor Herman “Mank” Mankiewicz (Gary Oldman) will es in Hollywood als Schreiber zu etwas bringen. Mank ist durchaus talentiert, doch Spielsucht und Alkohol schaden seiner Produktivität. Manks Ansehen in der Branche schwindet, er wird zum Korrektor und Co-Autoren degradiert. Schließlich bekommt er den Auftrag für ein Drehbuch, aus dem einer der bekanntesten Filme aller Zeiten entsteht: “Citizen Kane”. Doch die Große Depression hat auch Hollywood in ihren Fängen.

Das Fazit aus Daniels Review: Mank ist primär ein Film für Liebhaber des Old Hollywood. Für andere sind die Konflikte des Films häufig schwer zu greifen, die ständigen visuellen und erzählerischen Referenzen schwierig zu durchschauen. Dann driftet Mank irgendwann leider in Langeweile ab – ein Missgriff, der Tarantino mit dem vergleichbaren Once Upon a Time in Hollywood nicht passiert ist. So besteht Mank ausschließlich aus Dialogen, die zwar prägnant und gewitzt geschrieben sind, die aber gleichzeitig nie packend genug inszeniert sind, um einen Nichtkenner am Ball bleiben zu lassen. Genauso wenig schafft er es, die eigentlich interessanten und aktuellen Themen der Kreuzung von Medien, des Reichtums und der Politik auf spannende Weise zu erzählen. Stattdessen schleppen sich die Ereignisse in Mank nur so dahin. Auf dieser Reise sind zwar immer mal wieder kleine filmische Spielereien, brennende Wortgefechte und ein toller Gary Oldman zu bewundern, für ein allumfassend befriedigendes Werk reicht das jedoch nicht.

DE-Start: Deutscher Release war am 04. Dezember 2020 auf Netflix.

  • Daniels Wertung: 6,5 von 10 Punkten
  • Tims Wertung: 7 von 10 Punkten
  • Simons Wertung: 6 von 10 Punkten
  • Movie Space-Wertung: 6,5 von 10 Punkten

Minari – Wo wir Wurzeln schlagen

Der 7-jährige koreanisch-amerikanische Junge David (Alan S. Kim) zieht mit seiner Familie von der Westküste in den ländlichen Süden der USA. Vater Jacob (Steven Yeun) und Mutter Monica (Han Ye-Ri) sind einst als verheiratetes Paar der besseren Zukunftsaussichten wegen aus der koreanischen Heimat in die Vereinigten Staaten immigriert. Jacob ist überzeugt davon, sich mit der Bewirtschaftung einer Farm eine neue Existenz für seine Familie aufbauen zu können. Er möchte das ungenutzte Land kultivieren, koreanisches Gemüse züchten und es an Immigrantenfamilien verkaufen…

Das Fazit aus Daniels Review: Minari ist ein Film, der nahe geht. Der einen mit seinen simplen Sequenzen und seiner oberflächlich simpel anmutenden Erzählung gut fühlen lässt, ohne die schweren, einprägsamen Szenen außer Acht zu lassen. Er bringt universelle, hochaktuelle Themen (Das Träumen und das Rückbesinnen auf das Wesentliche) auf eine zutiefst menschliche Ebene und verdrahtet sie nahtlos miteinander. Minari ist melancholisches Feel-Good-Kino der Extraklasse, ein Film für jedermann, der – ähnlich wie die titelgebende Pflanze – überall wachsen und gedeihen kann.

DE-Start: Nach mehreren Verschiebungen ist der deutsche Kinostart auf den 8. Juli 2021 angesetzt.

  • Daniels Wertung: 8,5 von 10 Punkten
  • Tims Wertung: 8 von 10 Punkten
  • Yarons Wertung: 8 von 10 Punkten
  • Simons Wertung: 8 von 10 Punkten
  • Movie Space-Wertung: 8 von 10 Punkten

Nomadland

Nachdem sie ihren Mann und ihr Haus in Nevada verloren hat, reist die Witwe Fern (Frances McDormand) in ihrem umgebauten Van durch den Westen der Vereinigten Staaten. Unterwegs verdient sie Geld mit verschiedenen Teilzeitjobs und lernt zahlreiche Menschen kennen. Sie ist nicht die einzige Nomadin, die das Leben auf Park- und Campingplätzen einem festen Wohnsitz vorzieht. Die Flexibilität und die Freiheit bringt allerdings auch Herausforderungen mit sich.

Das Fazit aus Daniels Review: Aus Nomadland ist ein Film geworden, der in all der Kälte Nevadas ein unsagbar warmes Gefühl erzeugt. Respektvoll und emphatisch zieht Chloé Zhao den Zuschauer wie in einem Traum in die völlig eigene Welt der Nomads, um ohne inszenatorische Opulenz ein Lebensgefühl zu erzeugen. Ein Gefühl, bei dem eine Introspektion automatisch mitschwingen wird. Wer so etwas schafft, der kann sich sicher sein, einen großartigen Film geschaffen zu haben.

DE-Start: Der Kinostart war am 08. April 2021 angesetzt, wurde jedoch nicht realisiert. Ein neues Release-Datum steht noch aus.

  • Daniels Wertung: 8 von 10 Punkten
  • Tims Wertung: 8 von 10 Punkten
  • Yarons Wertung: 8 von 10 Punkten
  • Simons Wertung: 8 von 10 Punkten
  • Movie Space-Wertung: 8 von 10 Punkten

Promising Young Woman

In Cassies (Carey Mulligan) Leben ist nichts, wie es scheint. Sie ist klug, gerissen und führt bei Nacht, angetrieben von einem Trauma aus ihrer Vergangenheit, ein mörderisches Doppelleben. Abend für Abend besucht sie Bars und Clubs, um sich an Männern zu rächen, die sich an hilflosen Frauen vergehen. Doch eine unerwartete Begegnung könnte ihr schließlich die Möglichkeit bieten, einige ihrer eigenen Fehler aus der Vergangenheit wieder gut zu machen.

Das Fazit aus Yarons Review: Promising Young Woman ist durch den herausragenden Schnitt schnell, lässt sich aber auch genug Zeit für emotionale und stille Momente, technisch erstklassig, besitzt einen abwechslungsreichen Soundtrack rund um Britney Spears, Paris Hilton und Charlie XCX, und bindet hervorragend geschrieben Charaktere in eine aktuelle und wichtige Geschichte ein, die zum Ende hin einen unerwarteten Verlauf nimmt. Hinter der pink-blau zuckersüß aufgezogenen Fassade verbirgt sich so einiges, womit Promising Young Woman ein großartiges Filmerlebnis, ein Hochkaräter des eigenen Genres und ein Denkanstoß ist – und so in allem brilliert, was er zu erzählen versucht.

DE-Start: Nach mehreren Verschiebungen ist der deutsche Kinostart auf den 20. Mai 2021 angesetzt.

  • Tims Wertung: 8 von 10 Punkten
  • Yarons Wertung: 9 von 10 Punkten
  • Movie Space-Wertung: 8,5 von 10 Punkten

Sound of Metal

Eine junge Frau und ein junger Mann widmen ihr ganzes Leben der Heavy-Metal-Musik. Er (Riz Ahmed) ist der Schlagzeuger des Duos und sie steuert den Gesang bei. Es kommt jedoch zu einem verheerenden Zwischenfall, denn der Schlagzeuger verliert nach und nach sein Gehör. Zudem wird er vollkommen überraschend mit seiner Zukunft konfrontiert und er realisiert nach kurzer Zeit, dass diese nur noch Stille enthalten wird.

Das Fazit aus Daniels Review: Sound of Metal fängt die Fragilität der eigenen Identität ein. Darius Marder und Riz Ahmed lassen einen auf physische Weise erleben, wie es ist, einen seiner Sinne und damit seine Identität zu verlieren. Doch während sie den Zuschauer in eine nervenaufreibende und furchteinflößende Situation werfen und diese auch spüren lassen, geben sie gleichzeitig auch Perspektive, Hoffnung und Ruhe. Sound of Metal ist ein selbstbewusster Film über Verlust und Akzeptanz, der ohne Pathos zu den emotionalsten Szenen des Jahres führt und eine simple, aber bloße Botschaft mitgibt. Ein großartiger Film, der seine Aufmerksamkeit verdient.

DE-Start: Deutscher Release war am 04. Dezember 2020 auf Amazon Prime Video.

  • Daniels Wertung 8.5
  • Tims Wertung: 9 von 10 Punkten
  • Yarons Wertung: 9 von 10 Punkten
  • Movie Space-Wertung: 9 von 10 Punkten

The Trial of the Chicago 7

Zeitgleich zur Nationalversammlung der Demokraten, bei der die Partei ihren Kandidaten für die amerikanische Präsidentschaftswahl bestimmen soll, kommt es 1969 zu Protesten in Chicago. Die Demonstrationen richten sich gegen den Vietnamkrieg und die Politik von Präsident Lyndon B. Johnson und werden von der Polizei brutal niedergeschlagen. Die sieben Organisatoren werden von der US-Regierung angeklagt und müssen sich wegen Verschwörung vor Gericht verantworten.

Daniels Fazit: Aaron Sorkin at its best. Das herausragende Drehbuch, das zwischen Gerichtsverhandlung und Protestnacht wechselt, ist flott, scharfsinnig, und holt so ziemlich alles aus der Prämisse heraus und bietet seinen Schauspielern einen immensen Raum, um sich auszutoben und die eingeschworene Gemeinschaft zu verkörpern, die er zuvor auf Papier gebannt hat. Gleichzeitig gab es wohl kaum einen Release, der seine Veröffentlichung thematisch besser timete. Das Thema der Polizeigewalt und der Ungerechtigkeit war im Sommer so groß wie nie, was The Trial of the Chicago 7 eine unabsprechbare Relevanz verleiht.

DE-Start: Deutscher Release war am 04. Dezember 2020 auf Amazon Prime Video.

  • Daniels Wertung: 7 von 10 Punkten
  • Dorians Wertung: 8 von 10 Punkten
  • Tims Wertung: 8 von 10 Punkten
  • Movie Space-Wertung: 8 von 10 Punkten

Um zusammenzufassen: Wäre das Movie Space-Team die alleinige Jury bei den Oscars, würde die Entscheidung wohl auf The Father fallen. Unsere Rangliste:

  1. The Father
  2. Sound of Metal
  3. Promising Young Woman
  4. Minari
  5. Nomadland
  6. The Trial of the Chicago 7
  7. Judas and the Black Messiah
  8. Mank

Bekanntermaßen sind wir aber nicht die Jury, also darf auch bezweifelt werden, dass Florian Zellers Werk wirklich den Preis gewinnt. Die Favoritenrolle liegt da mehr bei Nomadland. Man darf gespannt sein.