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Drehbuch: John Carpenter, Nick Castle
Schnitt: Todd C. Ramsay
Kamera: Dean Cundey
Schauspieler*innen: Kurt Russell, Lee Van Cleef, Ernest Borgnine, Donald Pleasence
Land: USA
Sprache: Englisch
Länge: 1h39min
Genre: Action, Sci-Fi
“Was wäre, wenn…?” — ein kleiner Satz mit gewaltigen Potenzialen. Alternativen werden aufgezeigt, die Imagination angekurbelt und Vorsehungen geboren. Das Jahr 1981 stellte sich ebenjene Frage und gewann daraus eine unschlagbar interessante Prämisse: Was wäre, wenn die Kapazitäten der Gefängnisse nicht mehr genügen, um die Beherbergung krimineller Individuen kompensieren zu können? Was wäre, wenn es eine Möglichkeit gäbe, sämtliche Schwerverbrecher in ihrem Kosmos zu bündeln und für die Zivilisation für immer unschädlich zu machen? Die Antwort auf diese Frage ist simpel: Manhattan Island.
New Yorks Bezirk wird zu einer Hochsicherheitseinrichtung umfunktioniert, die mittels Mauern, verminter Brücken und beaufsichtigter Gewässer vom restlichen Teil der Weltkarte abgeschirmt worden ist. Regeln gibt es in der abgeschotteten Anstalt nur eine: Wer einmal drin ist, kommt nie wieder heraus. Nach ihrer Einweisung sind die Häftlinge sowie ihre Zukunft ihrer Verantwortung überlassen — beziehungsweise der Verantwortung ihres gnadenlosen neuen Zuhauses.
Mehr als 40 Jahre nach ihrer Schöpfung lief John Carpenters dystopische Vision nochmal deutschlandweit in den Kinos und untermalte ihren Status als Kultfilm des Science-Fiction-Genres aufs Neue. Diese Heimkehr auf die große Leinwand dient aber nicht allein dazu, Die Klapperschlange in alter Klasse aufleben zu lassen. Es darf auch als Anlass verstanden werden, einige lobende Worte zu einem der einflussreichsten Genre-Vertreter in der Geschichte zu verlieren.
Hässliche Trümmer in vollkommener Schönheit
Schon nach wenigen Minuten bricht das Skript das einzige Gesetz seiner Welt, schließlich wäre es einer solchen Idee unwürdig, wenn man sie ausschließlich von außerhalb begutachten müsste. Das Privatflugzeug des Präsidenten (Donald Pleasence) wird von Terroristen übernommen und mit der Aussicht auf seinen Tod in das nächstgelegene Gebäude gesteuert. Er kann dem Kamikazeangriff mithilfe einer Rettungskapsel zwar unversehrt entkommen, hat jedoch das Pech im Herzen von Manhattan Island zu landen. Also schickt die Regierung den ehemaligen Militärpiloten Snake Plissken (Kurt Russell) in die Gefahrenzone hinein, um eine sichere Eskorte nach draußen zu gewährleisten. Eine Leistung, welche er als Gegenzug für die eigene Freilassung erbringen soll.
Womit der Film sein Ansehen erlangt hat, ist aber weit mehr als sein einladendes Konzept. Es ist die kreierte Welt, welche rein audiovisuell mit ihrem Handwerk brilliert. Atmosphären zu etablieren verstehen wenige Regisseure derart wie John Carpenter. Schon im bilderlosen Vorspann wird der prägnante Synthesizer-Score abgespielt und man rutscht in die unheilvolle und schleichende Enge hinunter, die die einem noch unbekannte Stadt versprüht. Eine Bedrohung wird bemerkbar, die man noch überhaupt nicht sehen kann.
Sobald die Storyline dann in den optischen Wahnsinn der zerfallenen Metropole absteigt, vermag man aus dem Staunen nicht herauszukommen. Ganze Bauten von brüchigen Betonfragmenten, flammenden Mülltonnen und splittrigen Fahrzeugwracks zeichnen eine Realität, welche in ihrem eigenen Siff zu ertrinken droht. Mittendrin findet sich die Bürgerschaft in ihren entweder zerfetzten Lumpen oder überstigmatisierten Kostümierungen wieder, welche der ansteckenden Geisteskrankheit des Geschehens aus der Seele sprechen.
Fieberhafter Terror
Die Authentizität des Szenarios ist beeindruckend, deren Auswirkung noch viel mehr. Filme mit handgemachten Sets spielen in einer Liga, welche sich im Wohlgefallen des Realismus rühmt. Abgesehen davon, dass dem Team hinter dem Make-up und den Bühnenbildern sämtliche Preise und Zertifikate zustehen, ist die Visualisierung der Welt mehr als eine zweckdienliche Attraktion — sie ist ein empfindsamer Organismus. Die Zuschauerschaft verliert sich in der Inszenierung und wird von der Bildgewalt in die Knie gezwungen. Mit jedem Shot wird man zunehmend in den Konflikt eingesogen und fühlt sich beteiligt, ihm gar zugehörig. Man wird Teil von dieser Welt und fragt sich im Nachhinein: Wie kann eine so abgedrehte Fiktion so unglaublich realistisch wirken?
Deswegen ist die Schrecklichkeit des Settings umso nahbarer, wenn die Handlung anfängt Wurzeln zu schlagen und seine verkorkste Brutalität von der Leine lässt. Auch die schlimmsten Vorstellungen erweisen sich als maßlos untertrieben, wenn der Albtraum beginnt, aus dem es kein Erwachen gibt. Der wortkarge Protagonist bahnt sich seinen Weg durch das demolierte World Trade Center, versteckt sich zwischen Nebelschwaden vor dem omnipräsenten Delinquententum und kann nur erahnen, wie gefährlich ein jeder dieser Menschen tatsächlich ist. Währenddessen sucht er eine Person, von der nicht einmal ein verlässliches Lebenszeichen ausgeht, nur um das eigene zu retten, es aber gleichzeitig zu riskieren.
Optimale Einfachheit
Paranoia macht sich breit, sobald man in ein Umfeld geworfen wird, in dem kein sicherer Rückzugsort existiert. Das Werk atmet seine pausenlose Niedertracht und ekstatisiert nicht allein in graphischen Szenen, wo sich mit Schilden und Stachelknüppeln geprügelt wird. Auch die Szenen, deren wahre Bedeutung für spezifische Figuren ungewiss bleibt, fordern ihren Platz in der Erinnerung. Wenn eine regungslose Frau von Männern angefasst und wie eine Flasche Alkohol weitergereicht oder eine andere Dame von einer Horde hungriger Abtrünniger in den Abgrund gezogen wird, ist die Vorstellung eines Davor beziehungsweise Danach ebenso eindringlich wie der grausige Prozess. Egal ob klar sichtbar oder nicht — die Angst vor dieser Welt bleibt so real wie ihre Erscheinung.
Neben dieser Wirkung sind die Bemühungen zugunsten selbiger angenehm klein gehalten. Konfrontationen verlassen sich auf ihre Rasanz und überleben ohne übertriebenen Bombast. Kein Charakter bekommt eine riesige Hintergrundgeschichte, charismatisch sind sie aber allesamt. Ohne unnötige Handlungsstränge überzeugt der Film mit einer Konsequenz, die seinem Setting ebenbürtig ist. Anbei finden sich technologische Spielereien, welche auch frei von viel Exposition als Spannungselemente funktionieren. Das Phänomen eines Filmes, der mit überbordenden Zusätzen einer Story mehr hinzufügen will, als er letztendlich erzählen kann, ist geschickt umspielt und wirkt dennoch derart voll und komplettiert, als entspringe dieses Werk einem Roman von über dreitausend Seiten. Was wäre also, wenn man die beschriebenen Eigenschaften mit einer unkompliziert gehaltenen Erzählung und bodenständiger Action füllt? Man bekommt das gigantomanische Meisterwerk, welches Die Klapperschlange darstellt.
10.0 Punkte
Dorian
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Die Leidenschaft Filme jeder Art in sich hinein zu pressen, entbrannte bei mir erst während meines 16. Lebensjahres. Seit diesem Zeitraum meines Daseins gebe ich jeder Bewegtbildcollage beim kleinsten Interesse eine Chance, seien es als Pflichtprogramm geltende Klassiker oder unentdeckte Indie-Perlen.