© Searchlight Pictures
©TMDB
Drehbuch: Guillermo del Toro, William Lindsay Gresham, Kim Morgan
Schnitt: Cam McLauchlin
Kamera: Dan Laustsen
Schauspieler*innen: Bradley Cooper, Rooney Mara, Cate Blanchett
Land: USA
Sprache: Englisch
Länge: 2h30min
Genre: Krimi, Thriller
Finstere Straßen, in Zigarettenrauch gehüllte Innenräume sowie ein Rummelplatz mit allerlei sehenswerten Gestalten – Oscarpreisträger Guillermo del Toro erzählt diesmal keine Fabel über entstellte Monster, dafür aber von Menschen, die monströse Absichten haben. Nightmare Alley entführt die Filmschauenden in die 40er Jahre, um dort eine Geschichte im Stile eines Neo-Noirs zu erzählen.
Talent zum Täuschen
Gleich zu Beginn wird klar, dass das attraktive Aussehen des Protagonisten Stanton „Stan“ Carlisle (Bradley Cooper) nicht mit seiner moralischen Unschuld gleichzusetzen ist. Er verbrennt eine Leiche mitsamt Haus auf dem Land, wird kurzerhand von einem Wanderjahrmarkt angeworben. Stan befindet sich mit dem zu alten Gewichtheber Bruno (Ron Perlman), der tricksenden Wahrsagerin Zeena (Toni Collette) und dem verruchten Gruselkabinettbesitzer Clem (Willem Dafoe) unter Gleichgesinnten, die profitorientiert agieren und dafür die Moral ebenso zurückließen wie er.
Mit seiner charmanten Art und gleichzeitigen Heimtücke ist er für das unehrliche Geschäft wie gemacht. Doch Stan ist für mehr bestimmt. Als er den Meistertrick seines Mentors Pete (David Strathairn) erlernt hat, zieht es den Charmeur mit dem Showgirl Molly Cahill (Rooney Mara) hinaus. Die dreckigen wie einladenden Attraktionsbühnen weichen der glamourösen Großstadt und aus Lügen werden Straftaten.
Aber Hochmut kommt vor dem Fall: Stan trifft auf die ebenso perfide Psychiaterin Lilith Ritter (Cate Blanchett), die ihm Informationen über ihre Klienten preisgibt. Mit diesen Einblicken verführt Stan in seinen Shows die High Society – muss aber im Gegenzug einer Psychotherapie bei Lilith zusagen. Spätestens jetzt verschwimmt die Wahrnehmung davon, wer gerade wen eigentlich in die Irre führt.
Aus dem Schatten treten
Für sich steht del Toros Film dabei nicht. Einerseits basiert sein Nightmare Alley auf dem gleichnamigen Kriminalroman von 1946. Andererseits erschien eine Verfilmung im Stil des Film noirs gleich ein Jahr nach dessen Veröffentlichung. Damit reiht sich der Film von 2022 ein in die Schlange von Neuverfilmungen früherer Klassiker der schwarzen Serie. Aber mit einem Unterschied: Hier ist das Remake gelungener als sein Vorgänger.
Im Vergleich zum erzählten Inhalt liegt der Unterschied im Detail bzw. dort, wo früher gar nichts war. Durch die McCarthy-Ära und den vorher verabschiedeten Hays-Code wurden US-amerikanische Filmproduktionen enorm eingeschränkt. Anstößige Themen wie Sex, Gewalt und andere normabweichende Missetaten fielen – falls zu explizit – entweder der Schere zum Opfer oder waren bereits in den Drehbüchern gar nicht mehr enthalten. Prüde Anspielungen mussten reichen.
Konsequenter Neo-Noir
Im Jahr 2022 gehört der Hays-Code längst der Vergangenheit an. Neo-Noirs haben daher einen großen Vorteil gegenüber den Noir-Klassikern: Es darf gezeigt werden, was früher zensiert worden wäre. Das nutzt del Toro. Wurden 1947 die verschiedenen Beziehungen von Stan eher umständlich erwähnt, sind sie nun offensiv abgebildet. Gleiches gilt für die Gewalt, die zwar selten, dafür aber kompromisslos inszeniert wird.
Statt gezwungenermaßen mit Leerstellen arbeiten zu müssen, kann jetzt darauf verzichtet werden. Zum Beiwerk verkommt das Ausspielen und Zeigen von Unmoral daher nicht. Del Toro schafft sogar einen Spagat. Er zeigt so viel, wie er muss, aber nicht mehr als das. Während in einer Badeszene Stans Gemächt durch die transzendente Wasseroberfläche sichtbar ist, geschieht im gesamten Film kein Sex vor der Kamera. Dass er stattgefunden hat, muss der Zuschauer selbst mit eindeutigen Hinweisen oder Schnitten zusammenfügen. Der vollständige Film entsteht erst im Kopf des Zuschauers, weil del Toro die Bildinformationen geschickt einzusetzen weiß. Er nimmt die Filmschauenden auf der Tour durch den Jahrmarkt und die schicken Innenräume an die Hand.
Überall Ambivalenzen
Und so kommt es, dass Nightmare Alley dem Klassiker um ein paar Längen voraus ist. Denn thematisch werden die Film-noir-Elemente gelungener ausgekostet, sowohl visuell als auch dramaturgisch. Moralische Ambivalenzen durchdringen die Szenerien. So erklärt der von Willem Dafoe gespielte Clem, wie er einen Trinker mit nur einem Tropfen Opium pro Schnapsflasche gefügig macht, in Clems Show „Man or Beast“ als Geek aufzutreten. Clem nutzt leichter zu manipulierende Menschen zur eigenen Bereicherung aus.
Ebenso die Psychiaterin Lilith, welche Stan um ihren Finger wickelt. Mithilfe einer Mischung aus gezielten Fragestellungen und äußerem Auftreten löst sie in Stan einen Mutterkomplex aus und geht eine sexuelle Beziehung mit ihm ein. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann der Wahnsinn bei Stan einsetzt und er seinen Fall selbst realisiert.
Del Toro präsentiert damit ein von Chiaroscuro geprägtes Bild der 1940er mit verruchten Persönlichkeiten, welche gerade wegen ihrer Amoral faszinieren. Alles schreit nach der damaligen schwarzen Serie – ästhetisch, thematisch als auch erzählerisch. Der Regisseur, welcher sich sonst auf Creature Features in Märchenästhetik fokussiert, geht mit den Noir-Elementen einen Schritt weiter, inszeniert das Monster in den Menschen. Nightmare Alley führt uns besser als früher in die albtraumhaften Gassen des menschlichen Wesens.