Der in einem Pflegeheim in seinem Rollstuhl sitzende, alternde Frank Sheeran (Robert De Niro) berichtet von seiner langen Zeit als Auftragsmörder der Mafia. Im Pennsylvania der 50er Jahre arbeitet er als Trucker und trifft per Zufall auf den Gangster Russell Bufalino (Joe Pesci). Als Frank zu einem vertrauten Partner des Mafiosos wird, schickt Bufalino ihn nach Chicago, um Jimmy Hoffa (Al Pacino) zu helfen, ein Gewerkschafts-Führer in Verbindungen mit dem organisierten Verbrechen, mit dem Frank schnell eine enge Freundschaft aufbaut…
Wenn drei Legenden des Genres aufeinandertreffen, kann man auf jeden Fall von einer Star-Show sprechen, und genau das ist The Irishman. Robert De Niro, Joe Pesci und Al Pacino haben in verschiedenen Konstellationen schon häufig zusammen gespielt und zumindest die ersten beiden sind auch wahre Lieblinge von Scorsese. Für De Niro ist es bereits die neunte Zusammenarbeit mit dem Halb-Italiener. Und auch sonst kann dieser Hauptcast nur Gangster-Nostalgie wecken, wenn man sich die Filmografie der drei mal anschaut. Der Pate, Goodfellas, Heat, Casino, Es war einmal in Amerika und und und… Die Jungs in ihrer wahrscheinlich letzten großen Kollaboration zusammen zu sehen weckt allein schon Gefühle. Aber nicht nur der Cast steckt voller Nostalgie, auch der Rest von The Irishman wirkt “alt”, wie aus der Zeit gefallen. Das ist aber positiv gemeint. Die Geschichte, die Erzählweise, die Aufmachung – alles holt in einer Weise die großen Gangster-Filme der 90er in unsere Zeit (und dann ausgerechnet auf Netflix), allein dafür könnte man The Irishman schon lieben.
Vieles, was Scorsese schon immer gut konnte, zeigt er auch hier. Er hat diesen gewissen “Sinn für den Epos”, kaum jemand weiß so gut, große Geschichten über Jahrzehnte hinweg zu erzählen wie er. Alles passt zusammen, die Erzählung greift stets ineinander und wird konsequent fortgeführt, der Regisseur erschafft einen ganz eigenen Rythmus, auf dem sich der Film fortbewegt. Dazu haben wir einige klassische Scorsese-Zutaten, die wir gleich wieder erkennen, alleine das Voice-Over von Frank Sheeran, das uns über den Film begleitet, macht gleich deutlich, aus wessen Feder dieser Film stammt. Einiges ist dann aber doch anders. Allen voran nimmt der Regisseur sehr viel Geschwindigkeit aus seinem Epos, zumindest im Vergleich mit seinen vorherigen Genre-Vertretern. Deutlich gemächlicher lässt sich The Irishman Zeit, schaltet eigentlich nie wirklich in einen höheren Gang als in den zweiten und lässt sich niemals aus der Ruhe bringen. Das kann mit der Zeit ganz schön an der Konzentration zehren, klar, wenn man noch bedenkt, dass The Irishman mit einer Monsterlaufzeit von dreieinhalb Stunden daherkommt. Anstrengend also, gerade weil der Vielzahl an nur teilweise wiederkehrenden Charakteren teils nur schwer zu folgen ist. So anstrengend, dass ich sagen würde, dass zumindest eine Begrenzung auf unter drei Stunden Sinn gemacht hätte. Man hat das Gefühl, dass Scorsese nicht immer genau weiß, wann denn nun mal Schluss ist, wann man Sequenzen einfach mal ruhen lassen sollte. Das ist aber Geschmackssache.
Gleichzeitig zeigt das langsame Pacing aber auch den stilistischen Unterschied zu Filmen wie Goodfellas (mit dem ein Vergleich kaum zu vermeiden ist) auf. Denn passend zum Alter aller Beteiligten wirkt The Irishman deutlich erwachsener, reifer, als seine Cousins. Kaum noch zu sehen ist nämlich dieses zwar stets reflektierte, aber auch immer naiv leichte Romantisieren der Mafia, und an deren Stelle tritt Realität und “Weisheit”. Wo wir in Goodfellas noch mit Emotionen vollgepumpt werden, mit den Protagonisten – so verabscheuenswürdig sie auch sind – mitfiebern und bei einem unerwarteten Mord noch laut aufstöhnen, handelt The Irishman die verbrecherischen Aktivitäten und Figuren geradezu trocken ab. Die sowieso schon rar gesäten Höhepunkte sind lange nicht so intensiv und emotional wie wir es kennen. Nichts ist mehr übrig von dem Glanz des coolen Gangsters. An deren Stelle treten letztendlich scheiternde Männer, die zwar über Macht und Geld verfügen, das aber letzten Endes bedeutungslos ist, wenn sie am Ausgang ihres Lebens einsam im Gefängnis oder im Altersheim sterben. So ziemlich keine einzige Figur bekommt vom Skript ein gutes Ende beschert, selbst bei den zahlreichen, kurz auftauchenden Nebenfiguren wird immer wieder das Datum ihrer Ermordung eingeblendet, die früher oder später nahezu jeden in diesen Kreisen ereilt. Es ist diese andere Sicht auf die Dinge, dieses Auseinandernehmen der selbst erschaffenen Stereotypen, die The Irishman so von anderen Filmen dieser Art unterscheidet.
Reden müssen wir aber auch über die Tatsache, dass Netflix sage und schreibe 159 Millionen Dollar investieren musste, damit dieses seit 2005 geplante Herzensprojekt Scorseses in die Wirklichkeit umgesetzt werden konnte. Größter Verantwortlicher dafür ist das CGI, das sehr ausgiebig verwendet werden musste, um den mittlerweile 76 Jahre alten Robert De Niro und seine Kollegen jünger aussehen zu lassen. Das klappt meiner Meinung nach nämlich mehr schlecht als recht. Denn wo es noch gut machbar ist, jüngere Personen älter wirken zu lassen, ist der umgekehrte Weg ein Schwierigerer. Das Problem: Während De Niros Kopf wie der eines 45-jährigen aussieht, bewegt sich sein Körper wie der eines dreißig Jahre älteren Mannes. Häufig wirkt das zu steif und dadurch unnatürlich. Am besten zeigt sich das etwa in der Mitte des Films, als De Niro als junger Frank Sheeran einen Mann verprügelt, der wohl seine Tochter angefasst hat. Die Szene wirkt fast schon ungewollt komisch, und zeigt die Grenzen der digitalen Technik, die hier eingesetzt wurde. Nichtsdestotrotz liegt das natürlich nicht in der Verantwortung der Darsteller. Die sind nämlich gewohnt großartig. Alle drei, De Niro, Pacino und Pesci fühlen sich in ihren Rollen offensichtlich wohl, spielen sich immer wieder zu und sind einfach toll anzusehen. Vor allem De Niro bringt immer noch seine einnehmende Aura auf die Leinwand, die er schon immer hatte. Da sind es gerade die Szenen im Pflegeheim, in denen er mit seinen irgendwie traurigen Blicken die Verzweiflung in einem weckt. Großartig.
Wenn man also mal einen kompletten Abend entbehren kann, dann sollte man den auf jeden Fall nutzen, um sich The Irishman anzuschauen. Macht eine kleine Glühwein-Pause zwischendrin und die Zeit vergeht schneller als man glaubt. Denn mit The Irishman schafft es Scorsese endlich, sein ihm so wichtiges Projekt zu verwirklichen, das sich tatsächlich auch absolut lohnt, anzuschauen. Denn ja, er erreicht nicht die Genialität eines Goodfellas, er ist zu lang und an manchen Stellen vielleicht etwas zu trocken und ja, das CGI-Deagen funktioniert zumindest für mich nicht so gut wie es eigentlich sollte. Aber trotzdem holt Martin Scorsese hier wieder die 90er-Gangster auf den Bildschirm, nur diesmal in erwachsener, ruhiger und mit weniger Glamour. Und das verdient es, geguckt zu werden.
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