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Als die Erde für den Menschen unbewohnbar wurde, besiedelte die herrschende Elite den Planeten Kepler 209. Doch seine Atmosphäre macht die neuen Bewohner unfruchtbar. Zwei Generationen später soll ein Programm feststellen, ob Leben auf der Erde wieder möglich ist: Mission Ulysses II soll Gewissheit bringen.
©TMDB
Regie: Tim Fehlbaum
Drehbuch: Tim Fehlbaum, Tim Trachte
Schnitt: Andreas Menn
Kamera: Markus Förderer
Schauspieler*innen: Nora Arnezeder, Iain Glen, Sarah-Sofie Boussnina
Produktionsjahr: 2021
Land: Deutschland, Schweiz
Sprache: Englisch
Länge: 1h44min
Genre: Sci-Fi

Die Erde wurde als unbewohnbar klassifiziert. Pandemien, Kriege und nicht zuletzt durch Klimawandel bedingte Naturkatastrophen überfluteten wortwörtlich unseren grünen Planeten. Gerade noch rechtzeitig floh die Menschheit in die Weiten des Weltraums, kann sich dort aber nicht fortpflanzen. Jahrzehnte später startet eine zweite Expedition namens Ulysses II in die frühere Heimat, um die Möglichkeit einer Kolonialisierung erneut zu evaluieren.  

Tides’ Beginn zusammenzufassen erweist sich als schwierig, vor allem aufgrund seiner komplizierten Ausgangslage und dem angewendeten „low concept“, ein Gegenkonzept des sonst eher simplen Blockbuster-Genres. Vor dem ersten gesprochenen Wort rekapitulieren Texttafeln das vorangegangene Geschehen in wenigen Sätzen, nur um danach die Crew rund um die Protagonistin Blake (Nora Arnezeder) sofort auf dem Planeten bruchlanden zu lassen.

Der Menschheit letzte Hoffnung

In triefend nassen Bildern präsentiert Regisseur Tim Fehlbaum einen edel aussehenden Endzeitfilm, dessen Ausgang über das Überleben der Menschheit entscheidet. Eine nicht gerade selten verwendete Dramatik im Science-Fiction-Genre. Doch wo bleibt die Dringlichkeit von Blakes Mission, wenn sie gleich nach ihrer Strandung auf Überlebende in der Wasserwelt stößt?

Um das Fortbestehen der Menschheit geht es daher immer weniger. Viel mehr wird daraus ein moralischer Konflikt: Eine hoch technologisierte und wissenschaftsaffine Person trifft auf primitivere Einheimische in der Postapokalypse. Fehlbaum visualisiert Gedankenspiele. Blake ist weiß, schlank, kurzhaarig sowie blond und fast geschlechterneutral in Szene gesetzt, kann fast als androgyn betrachtet werden. Der “Übermensch” betritt unterlegenen Boden.

„Für die Gemeinschaft“ – der Trailer des Films war von diesem Satz geprägt, den die Astronautin auch im Film selbst immer wieder aufsagt und somit ihre Verpflichtung gegenüber ihrer kulturellen Angehörigkeit betont. Dass die Ausführung dieses Mantras nichts für Zartbesaitete ist, wird anhand des verschollen geglaubten Astronauten Gibson (Iain Glen) ersichtlich. Nach seiner Ankunft hat der eine Monarchie errichtet und die restlichen freien Stämme gefangen genommen – alles „für die Gemeinschaft“, für ein zivilisiertes Leben.

Mit Blakes Hilfe wäre es Gibson möglich, die Weltallkolonie zu benachrichtigen und diese vor dem Aussterben zu bewahren. Andererseits könnte damit eine komplette Kultur verdrängt oder unterjocht werden. Was ist moralisch vertretbar?

Visuelle Frechheit

Mit Tides haben wir eine Rarität vor uns, denn der Sci-Fi-Film ist eine schweizer/deutsche Koproduktion. Im Vorspann tauchen gleich mehrere deutsche Filmförderanstalten auf. Nicht nur, dass geförderte Genrefilme an sich hierzulande eine Seltenheit darstellen, nein, Fehlbaum ist nahezu dreist. In Sachen Spezialeffekte wird der visuelle Maßstab eines in Deutschland produzierten Filmes weit übertroffen und auf internationales Niveau gehoben.

Die erste halbe Stunde im Nordseewattenmeer gehört zu den beeindruckendsten Kulissen einer Postapokalypse. Nur am Nebel im Hintergrund lässt sich noch erahnen, dass die meiste Zeit in den Bavaria Studios gedreht wurde. Die Immersion, der Sog in diese Welt durch authentische Ausstattung und Effekte, ist nahezu nie am Bröckeln. Ein internationaler Vergleich muss nicht gescheut werden, die Ausführung ist der Wahnsinn. Und selbst, wenn die schlammige Einöde später rostigen Schiffkojen weicht, wahrscheinlich aus Budgetgründen, so bietet das Setting dadurch genug Raum, auch die moralischen Fragen zu ergründen – zumindest theoretisch.

Verspieltes Potenzial

Während Fehlbaums Endzeitspektakel visuell polierter kaum sein könnte, verlaufen die vielversprechenden Gedankenspiele immer mehr im Sand. Schauwerte stehen im Vordergrund, weswegen offensichtliche Twists und ein lahmer, auf Action getrimmter Showdown ein ernüchterndes Ende einläuten.

Anstatt das Setting als philosophisch fruchtbaren Nährboden konsequent auszukosten, muss letztendlich doch stumpf geballert werden, wodurch die Handlung in der zweiten Hälfte im Nachhinein unnötig erscheint. Zudem entwickelt die Protagonistin in Rekordzeit Muttergefühle, um nahbarer daherzukommen. Damit transformiert die Figur ihrer Erscheinung zum Trotz zur Verkörperung eines konservativen Rollenbilds, wovon man sich zu Anfang doch noch so klar distanzierte. Fehlbaum stützt sich unnötigerweise auf Klischees, worunter die inhaltlichen Diskurse leiden.

Moralische Differenzen bleiben daher offen, Blakes und Gibsons Handeln – die heikle Übermenschenthematik – mit einem müden sowie romantischen Lächeln abgekanzelt. Gerade dadurch, dass die klaustrophobischen Schiffsinnenräume dem hauptsächlichen Konflikt eigentlich genug Zeit zur Entfaltung ermöglichen, wäre das, was nach den Credits erzählt werden könnte, am interessantesten. Da würde es richtig losgehen, da hätte man was Turbulentes zu erzählen. Der Anfang legt daher inhaltlich sowie oberflächlich Sehenswertes vor – das Ende reißt ersteres nur noch an, einiges auch ein. Oder anders: Erst war die Flut, doch dann kam die Ebbe.

7.0
Punkte