Im Jahr 1917 während des Ersten Weltkrieges im Norden der dritten französischen Republik bekommt der britische Soldat Lance Corporal Tom Blake (Dean-Charles Chapman) die Mission, sich mit einem Kameraden auf den Weg zu Colonel Mackenzie (Benedict Cumberbatch) zu begeben, welcher kurz davor ist, einen Angriff auf die Deutschen zu starten, die sich seiner Kenntnis nach an der Westfront zurückziehen. Unterdessen ist aber die britische Heeresführung durch Luftaufklärung darüber im Bilde, dass es sich bei diesem Rückzug um eine Falle des Feindes handelt, da sich das Deutsche Heer nämlich nur bis in die Siegfriedstellung zurückgezogen hat und dort auf den britischen Angriff wartet. Blakes Bruder ist in der Einheit von Mackenzie und daher ist er äußerst motiviert, die Botschaft rechtzeitig zu übermitteln um diesen zu schützen. Er macht sich mit seinem Kameraden Lance Corporal William Schofield (George MacKay) auf dem Weg durch Niemandsland.

Nehmen wir den Kern des Ganzen einmal vorweg: 1917 ist nicht einfach ein normaler Kriegsfilm, wie man ihn sonst schon so häufig gesehen hat. Stattdessen besteht er aus drei großen Plansequenzen, die jeweils scheinbar ohne einen einzigen Schnitt auskommen. Ein Novum oder eine Revolution, wie manche behaupten, ist das nicht: Bereits 1948 hatten wir mit Cocktail für eine Leiche von Thriller-Großmeister Alfred Hitchcock bereits ein Beispiel, wie man dem Zuschauer vermitteln kann, in einem Film würden überhaupt keine Schnitte vorkommen. Auch heute erleben wir das noch ab und zu, siehe Birdman, der sogar den prestigeträchtigen “Best Picture”-Award der Academy gewann. Ein Beispiel, dass es sogar gänzlich ohne Täuschung geht, ist der deutsche (grandiose) Film Victoria, der tatsächlich in einem einzigen Rutsch gedreht wurde. Hätten wir also die Behauptung, 1917 wäre etwas nie dagewesenes aus der Welt geschafft, können wir uns darauf konzentrieren, dass eine solche Art Film trotzdem ein technisches Wunderwerk ist. Egal, ob es vorher schon mal gemacht wurde oder nicht, einen Film so zu drehen, erfordert enormes Planungsgeschick und die größten Talente hinter und vor der Kamera.

Auch in 1917 sind die drei Plansequenzen wahrlich toll zu beobachten. Der legendäre Roger Deakins schafft es hinter der Kamera nicht nur, immer wieder unglaublich geschickt die Blickwinkel zu wechseln, sondern auch immer wieder trotz der scheinbar fehlenden Schnitte Bilder aus 1917 zu kitzeln, die sich wirklich gewaschen haben. Ja, man sieht immer wieder die Gelegenheiten, die Deakins dem Editing-Team einräumt, doch mal einen Cut zu setzen und da wird es auch einige gegeben haben – die Illusion bleibt aber dennoch immer aufrechterhalten, wenn man nicht akribisch am Schnittmöglichkeiten-Suchen ist, und das, ohne kameratechnische Kompromisse einzugehen. Auch abgesehen von Roger Deakins ist es beeindruckend, wie alles ineinander greift, wie teils mehrere hundert Statisten exakt aufeinander abgestimmt aus dem Graben rennen. Es ist der große Verkaufspunkt von Sam Mendez Film, der auch schon für Filme wie Skyfall oder American Beauty einiges an Renommee hat einheimsen können.

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So toll dieser Verkaufspunkt auch sein mag, sorgt er zugleich auch für das wohl größte Problem von 1917. Denn dass der Film ein scheinbarer One-Taker ist, steht über allem anderen. Die Narrative ergibt sich vor der technischen Machart. Dabei ist für mich eines der goldenen Regeln des Kinos immer gewesen, dass es genau anders herum sein soll. Alles technisch-filmische, von Kamera zu Schnitt zu Ton zu der Bildkomposition dient dazu, die Erzählung und ihre Themen und Motive zu unterstützen. Das macht 1917 nicht. Im Gegenteil, man merkt immer und immer wieder, dass der Gedankengang der Macher war “Wir möchten einen One-Taker im ersten Weltkrieg filmen. Wie kriegen wir da eine Geschichte zu erzählt?”. Und nicht anders herum.

So wirkt der gesamte Plot und auch dessen Erzählung wie in einem sehr immersiven Blockbuster-Videospiel. Die beiden Protagonisten nehmen an Punkt A ihre Quest an, laufen durch mehrere Schlauchlevel, um schlussendlich an ihrem Ziel, Punkt B, anzukommen. Man läuft einzelne Stationen ab, die teilweise völlig voneinander losgelöst scheinen: So marschieren die beiden Soldaten am Anfang des Films vorsichtig durch das allseits bekannte “No Mans Land”, um dann, nachdem einige Herausforderungen gemeistert sind, im Level “Deutsche Gräben” anzukommen, wo sie es mit weiteren Herausforderungen zu tun bekommen, nur um dann im Level “Grasland” anzukommen. Nicht nur das, immer wieder fällt allzu sehr auf, wie häufig Sam Mendez den Zufall in seine Karten spielen lässt. Das ist sehr aufgesetztes und wenig kohärentes Storytelling, das eben der große Kompromiss ist, den man eingeht, wenn man sich diesen Film im Kino anschaut.

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Wett gemacht wird das leider auch nicht mit interessanten Charakteren, großen emotionalen Momenten oder extrem intensiven Erlebnissen. Während einen Lance Corporal Schofield und Lance Corporal Blake ziemlich kalt lassen und zu ihnen kaum Bindung entsteht, sind es nur zwei Szenen, die einem wirklich nahe gehen und so intensiv sind, dass sie eine für einen kurzen Moment alle vorangegangen Probleme vergessen lassen. In der einen trifft Schofield in einer zerbombten Stadt eine zurückgebliebene Frau mit ihrem kleinen Baby und in der anderen rennt er völlig verzweifelt inmitten eines startenden Angriffs an den Schützengräben entlang. Es sind die Momente, von denen es mehr gebraucht hätte, die aus 1917 einen wirklich guten Film hätten machen können.

Am Ende des Tages muss man der Wahrheit ins Gesicht sehen und der Crew zwar jeden erdenklichen Respekt für ihre technische Leistung zollen, aber dennoch erkennen, dass 1917 ein ziemlich zahnloses, konstruiertes Werk ist, das sich eben vor allem über sein Verkaufs-Feature definiert und nicht viel mehr. Wer sich Roger Deakins gottgleiche Kamera-Arbeit anschauen möchte, und über all diese Schwächen hinwegsehen kann, der kann sich 1917 auf jeden Fall ansehen – die meisten anderen werden mit Filmen wie Dunkirk oder Saving Privat Ryan besser beraten sein.