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Drehbuch: Baz Luhrmann, Craig Pearce, Jeremy Doner
Schnitt: Matt Villa, Jonathan Redmond
Kamera: Mandy Walker
Schauspieler*innen: Austin Butler, Tom Hanks, Richard Roxburgh
Land: USA
Sprache: Englisch
Länge: 2h40min
Genre: Biopic, Drama
“Sein Einfluss auf die Musik und die Kultur lebt weiter.” Ein Schriftzug eines Gebetes gleich. Wer diesen Satz auf sich selbst beziehen kann, hat Großes geleistet. Ebenjener Satz ist es, der Elvis beendet, ein auf dem Papier unmöglich wirkendes Biopic. Für viele nicht einfach nur ein Sänger, nicht einmal nur der König des Rock & Roll, nein. Für viele gilt Elvis Aaron Presley als der großartigste Musiker, der jemals gelebt hat. Showmaster und Popikone, Volksheld und Sexsymbol. Betrachtet man sein bemerkenswertes Resümee, sollte man vor dem bloßen Versuch erzittern, seine Persona in einem Film zu repräsentieren.
Sowohl als Stage-Charakter wie auch als Individuum war der Mann von Beginn seines Schaffens an eines: Larger than life. Allein in der Szene, die sein Bühnendebüt zeigt, wird seine Macht deutlich. Mit gegelten Haaren, pinkem Anzug und Gitarre erobert er die Halle im Sturm, sogar so sehr, dass ihm die weiblichen Zuschauer in der vordersten Reihe die Gliedmaßen abreißen würden, hätten sie einen festeren Griff bekommen. Eine Intensität sondergleichen, die den Ton für einen Film angibt, der vielen auf den Schlips treten wird: Elvis handelt in erster Linie nicht von Elvis — zumindest in Maßen.
Musik als Protagonist
Ein schmächtiger Träumer sachten Alters schlendert durch die Straßen und sucht etwas Bestimmtes: Musik. In einer von Rassentrennung gespaltenen Gesellschaft zerrinnt die Rationalität im politischen Hass. Dennoch trauen sich vereinzelte Kandidaten über den Tellerrand hinauszuschauen. Schwingungen werden geformt, die verbinden. Als Musikfilm spielt Elvis die richtigen Tasten, denn er transzendiert die Ekstase von Leidenschaft und Herzensblut für Musik makellos. Hier ist Musik neben der Kunstform auch Lifestyle. Ob sich die Hauptfigur gerade vor abertausenden von Leuten im Rampenlicht die Seele aus dem Leib singt oder in den komprimierten Kreisen von Bekannten und sonstigen Musikliebhabern — der Rhythmus regiert.
Herkunft, Hauttyp und Glauben spielen keine Rolle, wenn die Melodie das Zepter in ihren Händen hält. Elvis Presley war in seinem Werdegang nicht ausschließlich ein Entertainer, denn er verfügte über Kräfte, die kaum jemandem geschenkt worden sind. Er hat Menschen geprägt und zusammengeführt. Manchmal weniger durch die Person, die er war, sondern eher durch das, was er tat. Wenn etwas zum Aussprechen zu gefährlich sei, solle er singen, hat ihm ein Pfarrer in Kindheitstagen sinngemäß gepredigt. Und genau das tat er. Also tut er es auch in Baz Luhrmanns gewaltigem Passionsepos, welches aus seinem Leben weitere Nuancen herausfiltert, die wesentlich weiter reichen als ein Steckbrief.
Dementsprechend wird in sämtliche Musikszenen, seien es Live-Auftritte, Studioaufnahmen oder Clubfeiern, besonders viel Power investiert. Lichtquellen brodeln, schrille Kostüme konkurrieren und Stimmen werden zelebriert. Wie will man dem Spirit von Elvis Presley gerecht werden, wenn alle Performances kräftiger erscheinen als jeder filmische Ansatz? Der Film selbst ist eine Performance und hat sie zu sein. Dieses Werk lebt in Extrema. Ein Mittelweg existiert nicht. Austin Butler brüllt unter verschwitzter Visage die Songtexte hinaus und eleviert die Inbrunst der Titelfigur zur Spitze des Eisbergs, während die kreischende und tobende Audienz kurz vor dem hormonellen Kollaps steht. Zusätzlich wird mächtig Alkohol und Zigarrenqualm verteilt, um den Geldrausch und die monumentale Stimmung zu würdigen. Die Inszenierung entlockt dem Charakter sein volles Potenzial. Elvis ist pompös, hektisch und laut.
Hetzjagd durch die Biografie
Für ein Biopic über eine Person dieser Schwere verläuft der Film extrem rasch. Wilde Schnitte und Zeitsprünge durch das Leben Presleys werden gezeigt, Schlüsselmomente vielmehr strichlistenartig angekreuzt. Elvis kreiert eine Faszination für die Rolle, welche der Sänger einnahm, ohne ihn wirklich zu charakterisieren. Wie auch seine Frau Priscilla (Olivia DeJonge) in einem späteren Streitgespräch äußert, scheint Elvis einzig und allein auf der Bühne wahrlich zu existieren. Als läge durch den Glamour ein Smog über der Gestalt, so dass nur Konturen davon zu erkennen sind, was diese Gestalt hinter dem Schleier fabriziert. Eine wahrheitsgemäße Metapher auf das Leben der Titelfigur? Erzählt aus der Perspektive von Presleys kontrovers angesehenem Manager, Colonel Tom Parker – gespielt von einem bedauerlich fehlgeleiten Tom Hanks -, wird der Fokus von Sekunde Eins von Elvis als Protagonist abgezogen.
Dabei stört es plötzlich erschreckend selten, wie wenig man tatsächlich von Elvis Presley erfährt, denn der Film sieht ihn als das, was ihn für andere definierte und trifft auf Basis dessen eine pauschalisierte Aussage — Karrieren verändern Menschen. Karrieren übertünchen ein Leben, gelegentlich ersetzen sie es sogar. Im Zustand unfassbarer Popularität klagt oft der Anschein, als gehöre dein Leben jeder Person außer dir selbst. Viele Leute sehen nur das, was sie sehen wollen. Warum sich ihnen also nicht einfach anpassen? Elvis tritt wie ein wandernder Mythos auf. Eine Legende, die nie wirklich greifbar zu sein scheint — nicht einmal für Elvis selbst. Wenn er vor dem demolierten Hollywood-Logo kniet und aus dessen zerrütteten Antlitz Parallelen zu sich selbst zieht, driftet das Werk beinahe schon in ein philosophisches Psychodrama ab. Einerseits denkt er über die Höhen und Tiefen seines Erfolges nach, andererseits sucht er erneut nach dem kleinen Jungen, der vor einer gefühlten Ewigkeit während eines Gottesdienstes zwischen Fremden tanzte, sang und somit sein Schicksal fand.
Unwirklich wird die Geschichte präsentiert, als geschehe nichts von dem, was man sieht tatsächlich. Baz Luhrmann ist bekannt dafür, sich eines Quellenmaterials anzunehmen und sich dieses zu eigen zu machen, es förmlich auszusaugen. Entschieden hat er sich für eine plastische Ästhetik, die Elvis als surrealistischen Fiebertraum porträtiert. Verschwommene CGI-Tribünen, eine sich um sich selbst drehende Kamera und gesättigte Farben konkretisieren eine Atmosphäre, die wie ein Wirbelsturm über den prunkvollen Stil von Reichtum fegt.
Ein Bruch in der Stimme
Im Endeffekt ist Elvis erst dann die Maske abzunehmen, wenn sich das Drehbuch zum Ende hin doch dazu entscheidet, Elvis Presley als Menschen zu beleuchten. Vulgär und obszön in seiner Eigendarstellung auf der Bühne, will der Film plötzlich die privaten Probleme des Sängers thematisieren. Hier schlägt die bewusst ausgelassene Charakterarbeit zurück und verwehrt der Figur trotz einer Oscar-würdigen Darbietung von Austin Butler einen Zugang, der sich zum Ende der Show noch lohnt. Prägnante Konflikte wie sein krankhafter Drogenkonsum und die Beziehung zu seinem Elternhaus und der eigenen Ehefrau und Tochter erblassen neben der kontextualen Ausdrucksweise des Elvis, den alle sehen können.
Letzteres überschattet dennoch die erzählerischen Schwächen, die einem auf dem Walk of Fame begegnen. Elvis ist kein klassisches Biopic, versagt in der Hinsicht praktisch auf ganzer Linie. Als Präzedenzfall, dass ein Biopic nicht unbedingt ein Biopic sein muss, um einen Einblick in eine Persönlichkeit zu gewinnen, gefällt dadurch sogar doppelt so stark. Elvis wird die Massen spalten und sich in hemmungslosem Applaus und unaufhörlichen Buhrufen wälzen müssen. Mag man von der unkonventionellen Biographiearbeit halten, was man will, schafft es Elvis aber wie sein Frontmann das Publikum zu einigen und zu verbinden. Am Ende bleibt nichts übrig als Dankbarkeit. Hinter diesen Zeilen sitzt niemand, der mit Elvis Presley als Künstler und seiner Musik aufgewachsen ist und seine Persona kennt. Daran ändert auch Baz Luhrmanns Film nicht viel. Dennoch sieht diese Person einen Helden.
ELVIS LÄUFT SEIT DEM 22. JUNI 2022 IN DEN DEUTSCHEN KINOS
8.0 Punkte
Dorian
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Die Leidenschaft Filme jeder Art in sich hinein zu pressen, entbrannte bei mir erst während meines 16. Lebensjahres. Seit diesem Zeitraum meines Daseins gebe ich jeder Bewegtbildcollage beim kleinsten Interesse eine Chance, seien es als Pflichtprogramm geltende Klassiker oder unentdeckte Indie-Perlen.