Auf einer abgelegenen Bergspitze bewachen acht bewaffnete Kinder als Einheit einer paramilitärischen Organisation eine Geisel. Von einem Kommandanten der Organisation, der sie kurzzeitig besucht, bekommen sie außerdem den Auftrag, auf eine Milchkuh namens Shakira aufzupassen und sie regelmäßig zu melken. Die Kinder verbringen zusammen Zeit, während ihre Gruppe immer dysfunktionaler wird…

Die meisten von euch werden William Gouldings Roman Herr der Fliegen kennen, in dem eine Gruppe Kinder auf eine einsame Insel abstürzen, sie sich immer weiter von den zivilisatorischen Normen entfernen und in eine Art Anarchismus verfallen, der das schlimmst mögliche Ende findet. Stellt euch Monos als sehr lose Adaption dieses Romans vor. Acht Kinder, den Großteil der Zeit ohne jegliche Autoritätsperson, alleine, auf einem Berg, dessen Lokalisierung wir nicht ausmachen können, ohne uns extern über den Film zu belesen. Auch in Monos schauen wir dabei zu, wie sich die Organisationsstruktur und das Verhalten dieser Gruppe verändert, sie sich immer mehr von der namenlosen Organisation, der sie eigentlich angehören, entfernen und in anarchistische Züge verfallen. Wie sie sich gleichzeitig selbst entdecken, ihren Charakter, ihre Sexualität, ihre Skrupel(-losigkeit) und ihre Grenzen – sie erleben ihre Adoleszenz. Tatsächlich lässt Regisseur Alejandro Landes es sehr vage, was außerhalb des direkten Umfeldes der Kids passiert. Was ist die “Organization” für eine Organisation? Wo befinden wir uns eigentlich? Wer ist die amerikanische Geißel, über die sie wachen müssen und warum zur Hölle müssen sie auf eine einzelne Milchkuh aufpassen? Es sind Fragen, die uns nicht beantwortet werden, und das ganz intentional. Unter anderem dadurch wirkt Monos ständig völlig surreal, als würde es auf einer einsamen Insel irgendwo auf dem Planeten spielen, ganz weit weg von irgendeiner wirklichen Welt. Das ist keine Schwäche, sondern eine große Stärke von Monos, denn genauso wenig wie wir wissen auch die Kinder nicht, wofür und warum sie eigentlich kämpfen, weshalb und wo sie eigentlich sind. Sie sehen keine komplexen sozial-kulturellen Hintergründe, also werden wir als Zuschauer dessen auch beraubt.

Inszeniert wird das monumental, dreckig und berauschend. Anstatt die Natur als etwas schönes, zur Ruhe kommen lassendes zu zeigen, wirkt sie hier wie eine monströse, unaufhaltsame Gewalt, die einem geradezu Angst einjagt. Die Kamera wechselt gerade in der ersten Hälfte immer wieder zu Panorama-Aufnahmen der Gebirge, die genau das ausstrahlen – Bilder, die einen immer wieder den Mund aufsperren lassen. Dazu der dröhnende Score von Mica Levi und die intensive Geräuschkulisse, die einen ständig umgibt, und es kommt einem vor, als hätte man eine ganze Menge Pilze genommen und würde sich jetzt auf einem surrealen Trip befinden. In diesem Modus schauen wir dann Heranwachsenden zu, wie sie langsam in die Anarchie verfallen und immer “ungezähmter” werden. Jedes Kind hat dabei seine eigene Art, damit umzugehen, seine eigene Art, sich selbst zu entdecken, sich zu verhalten und sich seine Grenzen zu setzen. Schnell hat man das Gefühl, die Kids zu kennen und sie durch ihre gewalttätige, blutige und eigentlich definitiv nicht für Kinder geeignete, surreale Reise durch die Berge und den Dschungel zu begleiten. Die Darsteller (fast alles Laien) machen das durch die Bank großartig und glaubhaft.

Als düstere, träumerische Mischung aus Survival- und abstraktem Kriegsfilm ist Monos also eine cinematische Wucht, die jeder, der sich für große Bilder, intensive Filmerfahrungen oder Herr-der-Fliegen-Parallelen interessiert, gesehen haben muss. Wenn ihr die Chance habt, ihn im Kino zu sehen, tut es, bei wenigen Filmen lohnt sich die große Leinwand mehr als hier. Gerade, wenn ihr das Gefühl habt, zu häufig Ähnliches und Generisches zu sehen, schaut euch Monos an. Denn der kolumbianische Film ist definitiv eine ziemlich eigene Erfahrung und verdient einen Versuch von euch allen.

2019 AUF FESTIVALS ZU SEHEN UND AB 2020 IN AUSGEWÄHLTEN DEUTSCHEN KINOS