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Zumindest nach dem Titel des neuen Thor-Films zu urteilen, ist das Kino wieder ein Ort des Bombasts und der ganz starken Gefühle. Regisseur Taika Waititi führt den Gott und Superhelden Thor in dessen viertes Solo-Abenteuer. Mitten in der Selbstfindungsphase spaziert ein Gegner ins Blickfeld des Helden und bedroht nicht nur ihn, sondern alle Götter. Zusammen mit seiner Ex-Freundin Jane Foster und der Königin des Königreichs Asgard zieht Thor in den Kampf.
Regie: Taika Waititi
Drehbuch: Taika Waititi, Jennifer Kaytin Robinson
Schnitt: Peter S. Elliot, Matthew Schmidt, Tim Roche
Kamera: Barry Idoine
Schauspieler*innen: Chris Hemsworth, Christian Bale, Tessa Thompson, Natalie Portman
Produktionsjahr: 2022
Land: USA
Sprache: Englisch
Länge: 1h59min
Genre: Action, Abenteuer

Das MCU auf Selbstsuche

Meistens handeln Superheldenfilme von einem tugendhaften Helden des Rechts, der einen Gegner mit revolutionären wie amoralischen Ideen Einhalt gebietet. Im Marvel Cinematic Universe sind die Thor-Filme dahingehend eine Ausnahme. Hier wird der Status quo zwar verteidigt, Thor (Chris Hemsworth) scheitert aber daran. Deswegen ist der Gott hinter all dem Humor eine der wenigen tragischen Figuren, die das Filmuniversum mit der Zeit entwickelt hat.

Seine Niederlagen sähen Selbstzweifel. Mit Thor: Love and Thunder lockt Taika Waititi den Gott des Donners jedoch aus seiner Trauerphase heraus, schickt ihn auf Weltraum- und somit zugleich überdimensional große Selbstfindungsreise – auch für das MCU. Denn wenn Thor kundtut, dass er herausfinden muss, wer er wirklich ist, kann das unfreiwillig auf das MCU übertragen werden. Denn langsam hat es den Anschein, als wüssten die Köpfe hinter dem Filmstudio seit dem Ende von Avengers: Endgame nicht mehr so recht, wohin die Reise für ihr Filmuniversum gehen soll. Oftmals wird sich ins Multiversum geflüchtet, um von alternativen Welten zu erzählen, die aber nur zur Durchreise gedacht sind.

Ein liebender Rebell

Wenigstens offenbart sich Thors Selbstfindung als bunt und humorvoll. Der lange Haare und rote Nietenlederjacke tragende Held springt zu anklingenden Guns N‘ Roses-Hardrockriffs in die Schlacht. Er ist ein Rockstar. In der ersten Hälfte des Films prasseln farbenfrohe Bilderwelten auf die Netzhaut. Hält Waititis Film inne, dann nur in Einstellungen, die durch Zeitlupe Bewegungen elastisch auf die Leinwand bannen. Von Funken und Blitzen sind diese durchzogen, sodass fantastische Planeten und Götter wie Albumcover von Hardrock und Metalbands visualisiert sind.

Es funkt aber auch in Thor selbst: Exfreundin Jane Foster (Natalie Portman) mischt die Gefühlswelt des Helden wieder auf, trägt nun Thors demolierten Hammer Mjölnir und besitzt ebenfalls Kräfte. Das ergibt eine kognitiv überwältigende Gefühlswelt, mit der Waititi es besser als im Vorgänger schafft, seinen Stil mit dem Gemüt der albernen Hauptfigur zu verknüpfen. Die nächste farbenfrohe Bilderwelt oder das nächste Albumcover ist nur einen Wimpernschlag entfernt.

Gott gegen Mensch

Bunte Einstellungen setzen sich in Kontrast zu dem von Christian Bale gespielten Gorr. Der schwört nach ausbleibender Hilfe der Götter auf Rache. Damit teilt der Bösewicht die Welt klar in Mensch und Gott ein. Nicht nur die Selbstfindung einer einzelnen Figur wird thematisiert, sondern indirekt eine über den Platz und Sinn von Religion beziehungsweise Fankulturen in unserer Welt. Waititi stellt Götter als in Saus und Braus lebende, sich für ihre Gefolgschaft/Fans gar nicht interessierende, Wesen dar.

Vor allem in der Götterhauptstadt ist Heinrich Heines Deutschland. Ein Wintermärchen Programm. Sie predigen von Wasser, aber heimlich trinken sie Wein. Sie sind eine Karikatur, die durch Waititis eingefädelten Humor offenbart wird. Götter fuchteln lieber für eine halbe Ewigkeit mit ihren schicken Waffen und schwingen nur unterhaltsame Reden. Von Hilfsbereitschaft fehlt in dieser Exzentrik jede Spur.

Hellblaue Grauzonen

Wenn Bösewicht und Protagonist aufeinanderprallen, bezwingt Gorr daher die Waititi-Bilderwelt. Auf einmal ist das Bild Schwarzweiß. Gesichter werden in Kontraste getaucht und die Ambiguität der Figuren stülpt sich nach außen. Gorr kleidet sich in weißes Leinen und möchte als Heilsbringer der Gesellschaft gefeiert werden und sich selbst durch das Töten von Göttern einen Dienst erweisen. Thor möchte durch den Kampf gegen ihn jedoch wieder im großen Maße für die Gesellschaft einstehen, nachdem er sich vorher aus dieser fast vollends zurückgezogen hatte.

Die darin stattfindende Farbbearbeitung misst der Szene besonderen Wert bei: Nur die göttlichen Waffen der Helden erhellen mit gelben und hellblauen Funken Gorrs binär strukturierte Schwarzweißwelt. Statt stets eine Grenze zwischen Mensch und Gott zu ziehen, werden Jane und Thor mit ihren sowieso schon ähnlichen Anzügen in den Kontrasten noch mehr gleichgesetzt. Sie beide sind es, die Farbe auf dem Schlachtfeld entfesseln können – Mensch und Gott gleichermaßen. Das Schwarzweiß besiegelt es. Wenn Mensch und Gott gleiche Fähigkeiten besitzen, die Welt um sich zu formen, ist dann statt einer klaren Trennung nicht eher eine Gleichstellung zutreffender?

Seele und Herz

Diese Parallele bleibt über den Kampf hinaus erhalten. Thor: Love and Thunder ist einer der wenigen Filme des MCU, der nicht durch göttliche Schläge, sondern das mächtigste Wort den Konflikt letztendlich beilegt. Wenn sich Thor und Jane in den Armen liegen, Großaufnahmen ihre Gesichter abwechselnd monumental/göttlich und zugleich intim/nahbar einfangen, wird es noch eindeutiger: Ob Gott oder Mensch spielt keine Rolle. Die Taten und Gefühle von Personen sind gleichwertig.

Waititis zweiter Thor-Film beweist hinter all dem Gagfeuerwerk in seiner farbenfrohen Welt, dem rockigen Soundtrack und den Momenten zwischen Thor und Jane mehr Seele in der dargestellten Gefühls- und Attraktionswelt als so einige andere Filme aus der momentanen Disney-Filmmanufaktur. Vor allem, wenn Action in Schwarzweiß über die Leinwand strahlt und sich somit die bisher gezwungen wirkende Komik mit Sinn auflädt, macht das den aktuellen Thor-Film zu einem, der das Herz, wie die göttliche Titelfigur, am rechten Fleck trägt. Dass bei all dem Hardrock aber nicht „Raining Rock“ von Jettblack gespielt wurde, kann wirklich als verpasste Chance angesehen werden.

7.0
Punkte