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Drehbuch: David Lowery
Schnitt: David Lowery
Kamera: Andrew Droz Palermo
Schauspieler*innen: Dev Patel, Alicia Vikander, Joel Edgerton, Sarita Choudhury, Sean Harris, Kate Dickie, Barry Keoghan
Land: USA
Sprache: Englisch
Länge: 2h10min
Genre: Fantasy, Mystery
Seit zwei Wochen drücke ich mich nun schon davor, meinen Eindruck zu David Lowerys The Green Knight zu Papier zu bringen. Zu persönlich schien mir zum einen meine Freude auf einen lang ersehnten erwachsenen, düsteren und anspruchsvollen Fantasyfilm, der ich mit Worten kaum gerecht werden kann. Zu sehr schien The Green Knight zunächst mehr als eine intime Sinnesreise zu verstehen denn als rational zu jurierendes Filmhandwerk. Ich möchte es nun dennoch versuchen, das auszuformulieren, was ich empfinde und was ich über das Werk denke.
The Green Knight ist eine Erfahrung, die mit keinem anderen Kinoerlebnis zu vergleichen ist. Seine hypnotische Wirkung wird bereits in der Eröffnungsszene vermittelt: Vielstimmige Chorale, eine nur mit einzelnen Lichtquellen geflutete Kapelle, eine Christusähnliche Kronsfigur im exakten Zentrum. Die Kamera zoomt weich, aber immer schneller auf die Figur hin, die Chöre werden lauter und lauter, bis kurz vor Abschluss des Zooms der Kopf des Königs plötzlich in Flammen aufgeht und brennend versengt. Schnitt – Wir sehen eine einfache Farm am Rande der Burg Camelot. Schnee, Nebel und Asche vermischen sich zu der Kälte, die dem tiefen Winter, in dem wir uns befinden, gerecht wird. Wir verbleiben für eine Minute in dieser Szene. Ohne Schnitt, ohne Kamerabewegung, alles was wir sehen, sind vereinzelte Tiere, die sich langsam bewegen, eine Bäuerin, die ihrem Dienst nachgeht. Nur im Hintergrund hört man den von hier aus gedämpften Trubel der königlichen Burg.
Eine Minute Kino. Eine Minute, und die Atmosphäre für die nächsten zwei Stunden ist etabliert, die Welt um einen herum vergessen, die Sorgen aus der alltäglichen Welt zur Seite geschoben. Die Anfangsszene, die beileibe nicht die beste oder eindrucksvollste Szene ist, steht für die zwei Attribute, die The Green Knight auszeichnen. Zum einen die brechend dichte und hypnotische Atmosphäre, die – auf eine völlig andere Weise als gewohnt – reinförmigen Eskapismus vermittelt. Zum anderen die surreale Mystik, die die 130 Minuten umspannt, die dem Film etwas Geheimnisvolles und Kryptisches, gleichzeitig aber auch ein wenig Unnahbarkeit verleiht.
Es gibt zwei Wege, auf denen man sich The Green Knight annähern kann. Entweder man gibt sich dem erstgenannten Merkmal hin und versinkt in der sogwirkenden Atmosphäre, gibt sich der eindrucksvollen Sinnesreise hin und bestaunt die wundervollen langen, dynamischen Shots der malerischen Landschaften; die bestechende Farbgebung; die zu der Epoche passende, spielerische oder bedrohliche musikalische Untermalung; und die fantastischen, mystischen Elemente, denen Gawain auf seiner Reise begegnet. Im Zusammenspiel vereinen sich diese visuellen Fragmente zu einer prophetischen Traumerfahrung, die für die meisten die erste Seherfahrung darstellen wird. Sie allein ist schon großartig, wenngleich die Kryptik, die David Lowery an den Tag legt, dafür sorgt, dass man nach dem Verlassen des Kinosaals irgendwie beeindruckt, irgendwie aber auch verwirrt ist. Doch hier gilt wie für viele andere surrealistische Werke auch: Man muss nicht immer alles verstehen.
Oder aber man versucht sich an einer analytischeren Seherfahrung. Achtet auf die Details, auf die Doppelrollen von Schauspielerinnen, auf die Bedeutung einzelner Handlungsstränge, auf die übergeordnete Thematik der Legenden-Verfilmung. Auf die Bedeutung von Farben, von Musik, von Figuren und Visionen. Immer wieder stößt man zwar auf dicke und harte Wände, wenn es um die Interpretation des obskuren Werks geht, jedes Mal hat man jedoch das Gefühl, dass etwas dahinter steckt, man nur einfach noch nicht darauf gekommen ist.
Eines kann ich – ohne die bereits jetzt zu hunderten erschienenen Erklärungstexte und -videos gesehen zu haben – jedoch bereits entschlüsseln. The Green Knight ist eine moderne Dekonstruktion des mittelalterlichen Heroismus und Ehrkonzeptes, was bereits dann angedeutet, wenn er von seinem Königsonkel Arthur um das Erzählen einer Geschichte gebeten wird. Gawains bittere Antwort: Er habe keine Geschichten zu erzählen. Eine Antwort, die in dieser von Helden besessenen Welt kaum schlechter sein könnte, eine Antwort, ihm bis zum Ende des Films im Kopf bleiben und Katalysator seiner Handlungen sein wird.
Gawains Reise selbst, die als Roadtrip den größten Teil des Films füllt, ist in diesem Kontext eigentlich von Absurdität geprägt, bedenkt man die Hirnrissigkeit und Aussichtslosigkeit, der er sich hingibt, nur um zum Helden aufsteigen zu können. Die innere Reflektion dessen geschieht erst in einer langen, meisterhaften Sequenz, die die Charakterentwicklung Gawains und auch den gesamten Film beendet.
Diese Reflektion, die Lowery der mittelalterlichen Legende hinzudichtet, ist auch deshalb so genial, weil sie auch heute noch auf die Gesellschaft zu übertragen ist. Nicht nur im mittelalterlichen Kontext funktioniert das Thema, es werden Parallelen zu der kontemporären Gier nach Heldentum und einer toxisch anmutenden Männerrolle gesponnen: Lowery fordert uns auf, zu dem zu werden, was sich für uns richtig anfühlt, er fordert zu selbstgerichteter Ehrlichkeit auf, und zur Verdammung des Urteils von Größe und Vermächtnis durch andere.
Die Verschmelzung der unterhaltsamen Heldenreise mit der Zergliederung der komplexen Verhältnisse der arthurianischen Gesellschaft resultieren in The Green Knight in einer einzigartigen und eindrucksvollen Erfahrung. Denn anders als so viele andere Filme spukt mir dieser auch jetzt noch täglich im Kopf herum. Ich denke noch immer darüber nach, reflektiere darüber, versuche zu entschlüsseln und träume davon. Es ist ein Film, der verweilt und nachklingt. Ein Film, bei dem selbst Szenen, die zunächst überraschend “sinnlos” wirken, in den Folgewochen immer mehr an Bedeutung zu gewinnen scheinen.
The Green Knight ist eine opernhafte Arthusreise, die entgegen der gängigen Genreerwartungen mehr mystisches Traumwerk als abenteuerliches Unterhaltungskino geworden ist – zum Glück. Sein Spiel baut sich langsam auf, bleibt aber in seinem Crescendo immer harmonisch und gipfelt in einer der am besten getroffenen Schlussnoten des Jahres. Seine kryptische Erzählung wirkt zunächst wie ein instinktives Sinnesfest, wächst im Kopf aber immer mehr zu einem komplexen Kollektiv an Bedeutungen und Emotionen. Damit ist The Green Knight alles, worauf ich gewartet habe und noch so viel mehr. Gawains selbstzerstörerischer Weg ist gerade dank seiner moralischen Widersprüche zu einer Geschichte geworden, die es wert ist zu erzählen.