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Der Polizist Asger Holm erhält in der Notrufzentrale einen Anruf von einer entführten Frau. Als die Verbindung plötzlich abbricht, beginnt die Suche nach der Anruferin und ihrem Entführer. Asgers einzige Waffe ist das Telefon, mit dem er ein noch größeres Verbrechen aufdeckt als zunächst angenommen.
© TMDB
Regie: Gustav Möller
Drehbuch: Emil Nygaard Albertsen, Gustav Möller
Schnitt: Carla Luffe Heintzelmann
Kamera: Jasper Spanning
Schauspieler*innen: Jakob Cedergren, Jessica Dinnage, Omar Shargawi
Produktionsjahr: 2018
Land: Dänemark
Sprache: Dänisch
Länge: 1h26min
Genre: Thriller

Mit Stress im Alltag kennt sich Asger Holm (Jakob Cedergren) bestens aus, dafür sorgt sein Beruf. Eigentlich als Streifenpolizist im hautnahen Außeneinsatz tätig, wurde er aufgrund eines Zwischenfalls bei der Arbeit zum Dienst in der Notrufzentrale verdonnert. Während er auf den Fortlauf des seinen Fall behandelnden Gerichtsverfahrens wartet, nimmt er dort die Anrufe panischer Menschen entgegen, welche auf ihrem Telefon die 112 gewählt haben. Für die meisten eine unheimlich nervenaufreibende Angelegenheit, für Asger aber ein Klacks.

Auch wenn er seinem Bekannten am anderen Ende der Leitung versichert, dass er den Job am Schreibtisch mag, kann er die chronische Unterforderung durch seine Mimik nicht verbergen. Jedoch nimmt die Nacht eine unerwartete Wendung und stellt sogar den abgebrühten Polizisten auf die Probe, als eine Frau namens Iben Østergård (Jessica Dinnage) während ihres Notrufgespräches behauptet, sie sei entführt worden. Erschwert wird die Situation dadurch, dass der Kontakt zu Iben aus diversen Gründen öfters unterbrochen wird, während weitere Personen die Leitung blockieren.

Eine Verbeugung vor der Notrufzentrale

Aus dieser Ausgangslage entspinnt sich ein filmisches Erlebnis, welches auf vielerlei Ebenen besonders ein Gefühl beim Publikum auslöst: Stress. Dies beginnt bereits bei dem Nachempfinden der präsentierten Profession, welche in ihrem hohen Anforderungsbereich fabelhaft dargestellt wird. Asgers anfängliches Verhalten in der Behörde kontrastiert die Vorstellung davon, wie man sich selbst in dessen Position fühlen würde. Seine dargestellte Arbeitsweise schafft Respekt vor dem Beruf, welcher jeden Tag unzählige Leben rettet.

Gelegentlich im Umgang mit anderen etwas arrogant und impulsiv, versteht Asger seinen Gesprächspartner mit einer Balance aus kalmierenden und auf Fehler bewusst machenden Phrasen zu konfrontieren. Damit gilt es abzuwägen, wie weit die Leistungen der Notfallversorgung tatsächlich benötigt werden oder überhaupt beansprucht werden können. Schließlich verlangt nicht jeder blaue Fleck direkt nach einem Pflaster, wie er vor seinem Erstkontakt mit Iben einem verwirrten jungen Mann vermittelt, der Asger ums Biegen und Brechen keinen Standort nennen kann. Auch wenn der Mann ausfallend wird und sich herausstellt, dass er sich unter dem Einfluss von Drogen befindet, bleibt Asger ruhig.

Letztlich kann die Zentrale nur so weit helfen, wie der Anrufer es ihr ermöglicht. Mit diesem Verständnis bekommt das Gezeigte eine einfühlsame Komponente, welche die Schwierigkeit dieser Arbeit für das Publikum transparent gestaltet. The Guilty gewährt ihm einen empathischen Einblick in einen Alltag, den man nie erlebt hat beziehungsweise erleben wird. 

Tell, don’t show

Bei Gustav Möllers Spielfilm handelt es sich aber nicht ausschließlich um eine respektvolle Illustration der Arbeit als Telefonist, denn das Drehbuch entwickelt in nur wenigen Minuten ein Thrillererlebnis sondergleichen. Auch hier spielt das Konzept des Notrufes dem Film in die Karten, weil die Unberechenbarkeit des Szenarios stark zur Geltung kommt. Einerseits beweist The Guilty einen bewanderten Umgang mit der Perspektive des Protagonisten, dessen einzige Waffe sein Telefonsystem darstellt. Asgers Wahrnehmung des Geschehens ist auditiver Natur, also geht es der Zuschauerschaft nicht anders. Wie er müssen wir uns auf das stützen, was wir hören. Abhängig von dem, was Asgers Gesprächspartner uns erzählen, können wir den aufkommenden Fall nur über einen Sinn erforschen.

So hören wir von der sechsjährigen Mathilde (Katinka Evers-Jahnsen) – Ibens kleiner Tochter – zwar, dass sie wohlauf und putzmunter ist, von dem Blut an ihren Händen und Klamotten erfahren wir jedoch erst, wenn die von der Polizeizentrale georderte Streife bei ihrem Zuhause aufschlägt und es uns telefonisch mitteilt. Auch die Erkenntnis, dass Iben ihren Entführer effektiv mit einem Ziegelstein niederschlägt, beruht auf Einseitigkeit. Es gibt keine Garantie, dass irgendeine Information zu einhundert Prozent dem entspricht, wie wir sie in unserem Kopf verarbeitet haben. Dadurch wird The Guilty zu einem schmerzhaft psychologischen Erlebnis.

Stress ohne Ende

Besagtes Erlebnis wird durch die Mentalität der Hauptfigur nur umso interessanter. Asger operiert abgeschottet – ab einem gewissen Zeitpunkt im Entführungsfall physisch in einem separaten Raum, aber insbesondere emotional. Schon bald entfacht die Unwissenheit eine Besessenheit in ihm. Der Fall fängt an, ihm auf persönlicher Basis nahe zu gehen. Die ursprüngliche Kälte weicht der Obsession, wie es auch visuell veranschaulicht wird. In den wenigsten Einstellungen wendet sich die Kamera von dem Gesicht des Hauptcharakters ab. Wir kleben an seinen Emotionen – dieselben Emotionen, mit denen er mehr und mehr an dem Fall klebt. 

Dies beeinträchtigt sein Denken und Handeln extrem, wenn er beispielsweise eine mit dem Fahrrad gestürzte, verletzte Dame am Telefon in Sekundenschnelle abwimmelt, um sich wieder auf den Zustand der schwer erreichbaren Iben zu fokussieren. Auch seinen Freund und Arbeitskollegen Rashid (Omar Shargawi) mit der gesetzeswidrigen Instruktion zu beauftragen, bei dem Hauptverdächtigen einzubrechen und nach Spuren bezüglich dessen Verbleibens zu suchen, fällt ihm erstaunlich leicht.

The Guilty beeindruckt mit der Intensität seines Vorgehens. Das beeindruckendste an dieser Mischung aus Drama und Thriller bleibt trotz alldem dieser Moment, in dem man bemerkt, dass man für eine volle Stunde und 25 Minuten die Luft angehalten hat, denn ohne einen Einschnitt in die Handlungsabfolge bildet The Guilty einen Absturz in Echtzeit.

9.0
Punkte