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Kühn, sexy, glamourös und einzigartig: Nach seinen Welterfolgen „La La Land“ und „Whiplash“ erzählt Damien Chazelle in BABYLON – RAUSCH DER EKSTASE von der Seele Hollywoods und vom Aufstieg und Fall all derjenigen, die sich dem Leben im Scheinwerferlicht verschrieben haben. Es ist die Geschichte von überbordendem Ehrgeiz, ausgelassener Dekadenz und ausschweifender Verderbtheit.
© TMDB
Regie: Damien Chazelle
Drehbuch: Damien Chazelle
Schnitt: Tom Cross
Kamera: Linus Sandgren
Schauspieler*innen: Brad Pitt, Margot Robbie, Diego Calva
Produktionsjahr: 2022
Land: USA
Sprache: Englisch
Länge: 189min
Genre: Drama, Comedy

Aufkeimend wie eine Virenkultur ist der schmale Grat, welcher die Grenze zwischen Leidenschaft und Verpflichtung bildet. Passioniertes Schaffen und zweckdienlicher Profit geben sich schnell die Staffel und lassen nur noch vage vermuten, ob man eine bestimmte Aktivität aus intrinsischer Motivation oder Zwanghaftigkeit ausübt. Diese Diskrepanz macht auch Jack Conrad (Brad Pitt), Nellie LaRoy (Margot Robbie) und Manuel “Manny” Torres (Diego Calva) zu schaffen. Während ersterer bereits als Hollywood-A-Lister etabliert ist, zeichnen die anderen beiden die Rolle des Nachzüglers und müssen in der Filmlandschaft noch Fuß fassen.

Verbinden tut sie alle jedoch eines: Sie sind Träumer, die sich zu Höherem berufen sehen. Jack hat genug von seinen Paraderollen und möchte den “Film neu erfinden”, Nellie ihr Können als Schauspielerin unter Beweis stellen und Manny in riesigen Produktionen mitwirken. Dass aber nicht alles, was glitzert, auch aus Gold ist, lernen die drei in einem bilderbuchhaften Zerfall, denn das Business ist so erbarmungslos wie eine Raubkatze — und genau so präsentiert es uns Babylon.

Ein Liebesbrief an den Film

Dass sich ihre Mühen trotz gewisser Schwierigkeiten durchaus bezahlt machen, stellt ein Kernelement von Damien Chazelles neuestem Werk dar. Jacks inhaltliche Ideen zu einem Mittelalterepos schlagen Wurzeln, Nellie wird durch einen spontanen Gastauftritt zur gefragtesten Darstellerin in ganz Hollywood und Manny rettet durch krankhaften Einsatz die Schlüsselszene eines Filmes, womit er sich jede Tür zu Angeboten öffnet. Dementsprechend dominant ist ihre Glückseligkeit, da sich ihre aktuelle Berufung mit ihren Interessen deckt.

Babylon präsentiert jenen Durchbruch wie den Urknall und scheut produktionstechnisch weder Kosten noch Aufwand, um diesen gebührend in Szene zu setzen. So gibt es eine erstaunlich flüssige Plansequenz durch zahlreiche Filmsets, welche auf einem Gelände aufgebaut worden sind. Die Kamera fährt an pöbelnden Produzenten vorbei, bahnt sich ihren Weg durch kratzige Choreographien bis hin zu rostigen Requisiten und haucht dem Prozess Leben ein. Filmdrehs mögen ausnahmslos stressig und chaotisch sein, bergen allerdings emotionale Tiefe und Schönheit in sich.

Wer wäre nicht von Bildern beeindruckt, in denen aberhunderte in Rüstungen gestopfte und bis an die Zähne bewaffnete Statisten eine Schlacht auf Leben und Tod führen? Wen rührt die Erschütterung einer jungen Dame, die ihren Körper als Werkzeug zur Bespaßung windschnittiger Männer benutzt, nicht zu Tränen? Babylon verneigt sich vor der Macht, welche das Medium ausüben kann.

Zeremoniell wird die Begeisterung an der Arbeit vorgestellt, die in ihrer Reinheit manchmal jede Anstrengung wert scheint. Feiernde Regisseure strecken die Arme triumphal in die Luft, nachdem sie eine Szene abgeschlossen haben und alle Mitwirkenden um sie herum brechen in Freudentränen und Siegesgeheul aus — ein Stück Unschuld, welches mitten aus der Realität gegriffen und vollkommen wirkt. Diese Momente strahlen vor Magie und manifestieren Babylon als eine Ode an das Kino, bei der einem warm ums Herz wird.

Eine Hasserklärung an die Industrie

Ebenso ist der Film in der Lage, einem das Herz mit der Zurschaustellung der Umstände des Filmbusiness und deren Auswirkungen zu zerreißen, denn ein bekanntes Sprichwort regiert den zweiten und dritten Akt der Geschichte: je höher der Aufstieg, desto tiefer der Fall. Dies bezieht sich gleichermaßen auf die Charaktere, wie auch auf die Weiterentwicklung der Technik und die damit wachsenden Anforderungen an das Team. Als Erzählung eher episodisch, vermag Babylon doch als informativer Crashkurs zum Wandel des Mediums fungieren.

Beispielsweise schildert er die Innovationen des Tonfilmes und zeigt in einer nervenaufreibenden Szene, wie sich die Persönlichkeiten mit ihren Aufgaben an die Neuheiten anpassen müssen. Nellie muss auf szeneninterne Regieanweisungen verzichten, ihre Tonlage monoton halten und an der exakten Markierung ihre Position einnehmen, damit die Mikrofone nicht übersteuern. Als nach dem fünften Take ein Produzent mit Gewalt droht, wenn noch irgendjemand niest oder einen Schritt geht, droht die Stimmung zu eskalieren. In diesem Moment sucht man nach der Magie, welche die Anwesenden suchen. Finden kann man sie nicht.

Optimierung steht im Vordergrund und erfährt Priorisierung, für Hingabe bleibt kein Raum mehr. Frustration macht sich breit und der Zauber an dem, was einst geliebt war, verfliegt. Ab diesem Umschwung des Glamourösen und Erfolgreichen verkommt Babylon zu einer klassischen Tragödie, welche in ihrem Extremen lebt. Die heiteren und wilden Partys schwinden und die Atmosphäre wird immer düsterer. Mit dieser Tristesse schafft Chazelle es, dass man – wenn auch nur kurz – die Zuneigung zum Medium verdrängt und sich vor Augen führt, dass die Grausamkeit der eigenen Sehnsucht in speziellen Maßen unerreicht und nicht kompensierbar sein kann.

Jack spielt in Filmen mit, deren niederer Qualität er sich bewusst ist und wird Zeuge seines abtrünnigsten Albtraums: Das Publikum lacht ihn aus. In einer anderen Szene wird der aufopferungsvolle Jazz-Musiker Sidney Palmer (Jovan Adepo) in eine Schauspielposition gezwungen und mit der Bitte konfrontiert, sich mit einem Stück Kohle schwarz zu färben, damit der Kontrast zu seinen dunkelhäutigen Kollegen nicht zu stark ausfällt. Was einst ein Karneval künstlerischer Kreativität und Leidenschaft gewesen ist, richtet sich ausschließlich nach einem Fließbandprinzip. Hauptsache ist, dass ein Ergebnis erreicht wird.

Eine Kritik an das Drumherum

In seiner Differenzierung klingt Babylon wie der ausgewogenste Film seiner Art. Vielleicht würde dies zutreffen, gäbe es nicht dieses fulminante, viel zu präsente Drumherum an Aspekten, die seinem Subtext die Kraft entziehen. Angefangen bei dem Humor, welcher sich doch relativ selten in die finstere Behandlung der Thematik einfügen möchte. Für ein Schmunzeln reicht die verrückte Vulgarität von Schimpfwörtern gelegentlich, hat in ihrer Dichte allerdings etwas Enervierendes an sich.

Die Situationskomik der Dreharbeiten hat zu Beginn noch ihren Charme, mündet aber flott in konstantes Geschrei und erzielt lediglich durch das Engagement der auf Hochtouren laufenden Performances eine heilsame Wirkung. Außerdem ist Babylon mit seiner dreistündigen Laufzeit trotz der vielschichtig vorgetragenen Substanz nicht gegen Wiederholungserscheinungen resistent und wirkt in seinen Szenen von Schmerz, Schmach und Problemen repetitiv.

Wenn Manny Torres zum x-ten Mal auf Spanisch flucht oder Nellie LaRoy einen fünfminütigen Tobsuchtsanfall erleidet, zehrt das an dem treffsicher errichteten Tiefgang. Hinzu kommt, dass das Tempo im letzten Akt ein Maximum erlangt, was die zwar zerstreute, aber gleichzeitig gemächlich erzählte Handlung auskontert. Motivationen verschwimmen und lassen dramaturgische Höhepunkte wahllos erscheinen. Babylon stellt viele zerrüttete Leben von vielen Individuen vor, deren allgemeines Potenzial vom Finale nicht aufgefangen werden kann.

Dennoch ist Babylon als Abstrich des hollywoodschen Größenwahnsinns genauso pompös, übertrieben und krakeleend, wie er sein muss. Seine Dechiffrierung dessen, was seit über einem Jahrhundert für einen Großteil der Bevölkerung an Bedeutung gewonnen hat, ist bemerkenswert. Und dass wir noch nicht einmal auf die anderen Inhalte von Eskapismus und Voyeurismus, Talente, sich ändernde Sehgewohnheiten, Angebot-Nachfrage-Verhältnisse und plagende Selbstzweifel zu sprechen gekommen sind, zeigt nur, wie gewaltig er als filmische Errungenschaft doch eigentlich ist. Der Beititel könnte nicht treffender gewählt sein: Babylon ist ein wahr gewordener “Rausch der Ekstase” und als solcher zu würdigen.

BABYLON LÄUFT SEIT DEM 19. JANUAR 2023 IM KINO

7.0
Punkte