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In der Zukunft unterziehen sich sieben Freiwillige an der Kanadischen Akademie für Erotische Forschung einer Gehirnoperation, die ihnen die Sprache nimmt, aber sie telepathisch kommunizieren lässt. Unter den Augen einer unsichtbaren Gruppe von Studenten werden den Probanden Aphrodisiaka verabreicht.
© MUBI
Regie: David Cronenberg
Drehbuch: David Cronenberg
Schnitt: David Cronenberg
Kamera: David Cronenberg
Schauspieler*innen: Ronald Mlodzik, Jack Messinger, Arlene Mlodzik
Produktionsjahr: 1969
Land: Kanada
Sprache: Englisch
Länge: 63min
Genre: Sci-Fi

Lehrvideos verfolgen die Intention, angeeignetes Wissen an andere weiterzugeben, weswegen sie sich als eine beliebte Variation der Klausurersatzleistung im Schulsystem manifestiert haben. Lehrkräfte werden von der Verantwortung entlastet den Unterricht zu gestalten und können zudem auf simple aber effektive Art eine Note verteilen. David Cronenberg hat sich in seinem Spielfilmdebüt wohl an diese Methode erinnert und tarnt es als wissenschaftliche Studie in Form von Bewegtbildaufnahmen, deren Inhalt mit seinem thematischen Ansatz Parallelen zu weiteren Filmen seiner Galerie aufweist.

Stereo präsentiert ein Experiment, bei dem sieben Probanden sich einer Gehirnoperation unterzogen haben, welche ihnen die Fähigkeit zu sprechen nimmt und durch telepathische Kommunikation ersetzt. Durchgeführt wird das Ganze von einer Fakultät mit dem Schwerpunkt auf erotische Forschung, die den Testsubjekten Aphrodisiaka – Wirkstoffe zur Anregung sexueller Prozesse – verabreicht. Auch wenn die Ambitionen Cronenbergs klar ersichtlich werden, missversteht er in seinem Lehrvideo ein Schlupfloch schulischer Arbeiten: den Unterschied zwischen Soll und Muss.

Fehlende Begeisterung

Vielleicht hat Cronenberg mit dieser provokanten Stilistik eine Parodie auf Exploitationsfilme hetzen wollen, schaden tut es aber letztendlich nur der Wirkung seiner Ideen. So jagen zwei der menschlichen Forschungsobjekte einander über Tische eines Vorlesungssaals, behaftet von Begierde und sexueller Lust. Stereo macht es sich zur Aufgabe zu zeigen, wie weit sexuelles Verlangen Individuen beeinflussen, wenn nicht gar verändern kann. Ein Wunsch nach Freiheit wird bebildert, der allerdings ohne konstante Abhängigkeit von den Sexualpartnern nie existieren würde.

Dass die Ausgangslage interessant und als Nährboden für soziodiagnostische Theorien taugt, steht im kompletten Kontrast zu der Herangehensweise auf erzählerischer Ebene. Stereo schaut sich in der Tat wie ein wissenschaftlicher Befund, nur ohne jede Form von Faszination dem Thema gegenüber. Cronenberg füttert seinen Experimentalfilm mit Fachtermini und Grundsätzen, inszeniert die biochemischen Entwicklungsstrukturen aber frei von Spannung. Anstatt zu wollen oder gar zu sollen, sieht sich das Drehbuch gezwungen, jeden Aspekt der Untersuchung peinlich genau abzuhaken. Dieses Werk fühlt sich wie eine Vorgabe des Bildungsministeriums an, welche von jemandem verkauft und vermittelt werden muss — im Kern wissenswerter Stoff wird motivationslos weitergegeben.

Womit sich Stereo zusätzlich aber völlig disqualifiziert, ist seine Erzählweise und deren Auswirkungen auf das visuelle Medium als solches. Es handelt sich hierbei nämlich um einen Pseudo-Stummfilm, dessen einzige Verbalisierung mittels vieler Monologe aus dem Off erfolgt. Die forschenden Persönlichkeiten hinter den Kulissen schildern sachkontextuale Zusammenhänge, definieren Begriffe und den Ablauf des Projektes und erklären sogar die Wesen der teilnehmenden Freiwilligen. Klingt zwar logisch, das Ergebnis davon ist jedoch problematisch.

Mangelndes Vertrauen

Der Film denunziert sein ästhetisches Potenzial und lässt die gezeigten Bilder irrelevant erscheinen. Beispielsweise sitzen sich zwei Testsubjekte in einer Szene gegenüber, wobei instinktive Spannungen auf körperlicher Basis entstehen und an der Mimik und Körpersprache jener ablesbar sind. Gleichzeitig trägt ein Moderator des Experiments diesen Prozess fachlich korrekt vor, beschreibt ihn fast Bild für Bild. Vorgänge werden ständig erläutert, während man sie sieht. Wofür sollte man da noch auf den Bildschirm schauen? Den Bildern wird kein Vertrauen geschenkt. Schade daran ist insbesondere, dass die in Schwarzweiß getunkte Optik an Intensität und Atmosphäre verliert. Stereo hat einen ansehnlichen Schauplatz und einige stimmungsvolle Einstellungen, wirft diese mit seiner Narration aber komplett über Bord.

Der noch viel schlimmere Punkt ist die inhaltliche Reproduktion sämtlicher zerebraler Erträge, welche Stereo einem theoretisch bieten könnte. Jeder Konflikt wird vor Ort analysiert und auserzählt, zu allem Überfluss von Charakteren, die alles Geschehene bereits kennen. Dem Publikum wird kein einziger souveräner Gedanke gewährt und das Werk fühlt sich damit wie ein Auditing an, dessen Interpretation man teilen muss. Es wird der Zuschauerschaft das Recht zu erleben abgesprochen, ein Erlebnis zu sein spricht sich der Film dadurch indirekt mit ab. Am Ende scheint David Cronenberg schlichtweg seine Recherchen abgetippt und abgegeben zu haben, siegessicher die beste Note mit Sternchen zu kassieren. Im Zeugnis wäre Stereo aber eher als Versuch vermerkt, mit einem alles sagenden Randkommentar: Er war stets bemüht.

STEREO IST AKTUELL (STAND: 09. FEBRUAR 2023) BEI MUBI VERFÜGBAR

3.0
Punkte