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Drehbuch: Ti West
Schnitt: Ti West, David Kashevaroff
Kamera: Eliot Rockett
Schauspieler*innen: Mia Goth, Jenna Ortega, Brittany Snow
Land: USA
Sprache: Englisch
Länge: 1h46min
Genre: Mystery, Thriller, Horror
Eine abgelegene Gegend, ein von der Zivilisation abgeschottetes Landgut und merkwürdige Besitzer? Klingelt da nicht irgendetwas? Bekannte Szenarien diverser Horrorfilme gehen einem durch den Kopf, während Ti West einen auf den zwielichtigen Bauernhof entführt und den Schauplatz des potenziellen Schreckens als eine für sich alleinstehende Ikone zelebriert. Zumindest als Hommage versprüht X früh eine Menge Charme, in diesem Slasher geht es jedoch alles andere als charmant zu, als die Koexistenz zwischen einer Filmcrew und ihren Gastgebern zu bröckeln beginnt.
Bedrohliche Begierde
Interessanterweise wählt Ti West für den Kick-off seiner Trilogie in spe einen bodenständigen Ansatz, dem als kleiner Bonus noch eine eher unerforschte Thematik hinzugefügt wird. Lange spielt das Drehbuch mit der Frage, ob bei den Gegebenheiten überhaupt von einer tatsächlichen Gefahr auszugehen ist und bleibt in seiner Szenenabfolge sehr ruhig. Immerhin sind Verhaltensauffälligkeiten schnell mit Instabilität zu verwechseln, wenn sie einem befremdlich oder unheimlich vorkommen.
Doch ist es denn wirklich so befremdlich, dass ein älteres Pärchen Frustration aufgrund sexueller Inaktivität erfährt? Es handelt sich um ein Subjekt, welches in dieser Form selten die Leinwände berührt. Im Kern zeichnet die Geschichte das Dasein einer Frau, deren Gatte ihren Bedürfnissen nicht mehr gerecht werden kann; laut eigener Aussage aus gesundheitlichen Gründen. Dabei zieht sie sich extra ihr grünes Kleid an, bindet sich die Haare und nähert sich ihm körperlich. Er hingegen schiebt sie davon, seine Distanz ist ihr Abgrund. Ständig wird sie zurückgewiesen, ihr körperliches und mentales Verlangen bleiben unbefriedigt.
Als dann zu allem Überfluss diese jungen, ausnahmslos attraktiven Menschen auf ihrem Anwesen einen Erwachsenenfilm drehen und ihre Sexualität nach Lust und Laune ausleben, erklimmt die emotionale Verbitterung einen Höhepunkt. Sie bewegt die Frau dazu, einfach das zu nehmen, was ihr ihrer Ansicht nach zusteht. In der Theorie ist dieser Ansatz wahnsinnig spannend, insbesondere durch den sensiblen Umgang mit der Figur. Sie wird ernst genommen und bekommt auf sehr amoralische Weise Bestätigung, tilgt den geforderten Zoll durch radikal-physische Schuldscheine. In der Praxis liegt jedoch der Hund begraben, da X zu den Filmen gehört, bei denen die Idee ansprechender als die Umsetzung bleibt.
Von Libido zu literweise Lebenselixier
Bei genauerer Betrachtung ist der Ansatz nämlich eben nur das: ein Ansatz. Vielmehr versteckt sich selbiger hinter den skurrilen Momenten, welche letztendlich zum Horror umfunktioniert werden. Wenn sich die ältere Dame entkleidet und zur Protagonistin ins Bett legt, ist ihre erschrockene Reaktion und die daraus resultierende Flucht nachvollziehbar, bricht aber in ihrer Auslegung mit der Dramaturgie. Mit der Handlung offenbart sich gleichermaßen, dass X mehr Horrorfilm sprich Slasher sein möchte, als Sexploitation.
Ärgerlich ist diese Erkenntnis, da der Ersteindruck noch so frisch und umgarnend wirkt. Während der Dreharbeiten diskutieren die Charaktere über Pornographie als Kunstform, den schmalen Grat zwischen leidenschaftlichem und lieblosem Geschlechtsverkehr oder der Ent- beziehungsweise Aufwertung einer Beziehung durch Sex (mit anderen). Lose Gedanken, die immer mal wieder eingestreut werden, in ihrer Erwähnung aber lediglich kaschieren, dass dieser Film bis zur Eskalation auch eine übersättigende Portion Aufbau und Leerlauf hat. Zu durchsichtig ist die Atmosphäre, zu unausweichlich die genretypische Gewaltspirale im Abgang.
Wenn man nach einem blutigen Slasher sucht, ist man hier definitiv richtig aufgehoben. Die Kills sind plötzlich, brutal und dermaßen konsequent, dass es fast schon schmerzt, wie redundant die Figuren in Wahrheit sind. Auch die komplette Aufmachung und das spaßige Ensemble befinden sich in ihrem Element. Hat einem jedoch der angesprochene Diskurs gefallen, hinterlässt X nur ein paar lobenswerte Paraphrasierungen. So wird der altbekannte Grusel auf dem Landgut doch wesentlich generischer, als es anfänglich den Anschein macht – brennende Empfindungen weichen einem spontanen Trieb.
6.0 Punkte
Dorian
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Die Leidenschaft Filme jeder Art in sich hinein zu pressen, entbrannte bei mir erst während meines 16. Lebensjahres. Seit diesem Zeitraum meines Daseins gebe ich jeder Bewegtbildcollage beim kleinsten Interesse eine Chance, seien es als Pflichtprogramm geltende Klassiker oder unentdeckte Indie-Perlen.