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Drehbuch: Jeff Loveness
Schnitt: Adam Gerstel, Laura Jennings
Kamera: Bill Pope
Schauspieler*innen: Paul Rudd, Evangeline Lilly, Jonathan Majors, Kathryn Newton, Michelle Pfeiffer, Michael Douglas
Land: USA
Sprache: Englisch
Länge: 125min
Genre: Adventure, Science-Fiction, Comedy
Man muss es sich nochmal auf der Zunge zergehen lassen, um es tatsächlich zu glauben: Das Marvel Cinematic Universe befindet sich nun offiziell in Phase V. 15 Jahre sind vergangen, seit der allererste Film des kolossalen Franchise die Kinoleinwand berührte und ein Vermächtnis aufgebaut hat, dessen exponentielles Wachstum im damaligen Verständnis wahnsinnig irreal scheint.
Comicfiguren erwachten zum Leben, Bildgewalten krachten und die Kassen klingelten. “Aus großer Kraft folgt große Verantwortung” lautet eines der berühmtesten Zitate des Comicverlages und lässt sich ideal auf den Fortbestand seiner filmischen Superheldengeschichten transferieren. Die Fanbase explodierte, dürstete nach mehr. Eine Verantwortung, die dem Team hinter den zahlreichen Produktionen nach 15 Jahren bedauerlicherweise über den Kopf gestiegen ist und zur eigenen Verblendung geführt hat.
Wandel und Wirkung
Ant-Man and the Wasp: Quantumania bietet den lebenden Beweis dafür, dass dieses Universum der Kontrolle eines Nachfrage-Angebot-Verhältnisses unterliegt, gar von jenem missbraucht wird. Es hat Zeiten gegeben, in denen die Filme mittels gemeinsamer Stärke auf ein übergeordnetes Ziel hingearbeitet haben — schließlich macht das eine Gruppe von zusammenhängenden Werken erst zu einem wahren Universum. Storylines entwickelten ihre Charaktere und mündeten in Konflikte, welche einen Einfluss über das zu ihnen gehörige Drehbuch hinaus trugen, funktionierten gleichzeitig aber als souveräne Erzählung.
Alleinstellungsmerkmale – seien es nur die titelgebenden Charaktere – verliehen den Filmen trotz einer sich ähnelnden Struktur in Aufbau und Tonalität Ausstrahlung, Charme und individuellen Flair. Wie aber im neuesten Abenteuer des Ameisenmannes ist der Zeitpunkt dessen, wann die Normalität aus den Fugen geraten ist, nicht mehr auf dem Zeitstrahl abzulesen. Irgendwann ist der Zauber verflogen und die Filme haben einander in Grund und Boden kopiert, schlichtweg aus einer profitablen Zwangsneurose heraus ihr Ding durchgezogen und begonnen etwas aufzubauen, das möglicherweise niemals einzutreten vermag.
Ant-Man and the Wasp: Quantumania leidet unter dieser Misskonzeption wie bisher keines seiner Geschwisterkinder. Er lädt sich die Bürde auf, den die Phase dominierenden Bösewicht einzuführen und auf seinem Antlitz zukünftiges Schießpulver zu verstreuen. Hierbei ist ein großes Problem bereits im Namen auffindbar, nämlich Ant-Man alias Scott Lang (Paul Rudd).
Eine Figur, welche per geschmeidiger Art und sorgloser Herangehensweise nicht nur die am meisten fehlinterpretrierte “Superkraft”, sondern sich selbst als profillosestes Mitglied der Avengers etabliert hat. Seine Fallhöhe wird anhand der Charaktere um ihn herum definiert, weswegen weitestgehend auf eine Entwicklung seinerseits verzichtet wird. Dass dieses clevere Kerlchen seine wunden Punkte und liebreizenden Macken hat, weiß man seit dem ersten Teil seiner Reise. Macht ihn das automatisch zu einer tragfähigen Identifikationsfigur? Keineswegs.
Brüchige Universen
Da das Skript von ihm also keine Unterstützung erwarten darf, stützt es sich auf die abgedroschene Formelhaftigkeit der künstlichen Epik, welche das MCU zuweilen wie ein satanistisches Brandmahl gezeichnet und verflucht hat. Special-Effects dienen als Katalysator gigantischer Welten, denen eine Macht zugetraut wird, die jedoch nie kommt. In wichtigen Momenten wummert die orchestrale Musik vor sich hin, damit das Publikum nicht vergisst, wie ernst das Ganze doch eigentlich sein soll. Wem das während des Schauens entfällt, muss sich nicht schämen. Offensichtlich hat das MCU die Fähigkeit verlernt, solche Situationen organisch wirken zu lassen.
Beispielsweise ist Scott auf Rettungsmission, seine in der Quantenebene verschollene und sich in den Fängen des Antagonisten befindende Tochter Cassie (Kathryn Newton) zu suchen. Während ersteres eine unberechenbare Gefahrenzone voller aggressiver, territorial agierender Kreaturen bildet, ist zweiterer eine regelrechte, von Empathie befreite Naturgewalt. Eigentlich müsste der Bildschirm vor Spannung zerbersten, Bange um das Wohlergehen Cassies einsetzen und mit Scott mitgefiebert werden.
Woran liegt es also, dass bei dieser Schlüsselszene keine Emotionen empfunden werden? Weil die filmische Welt Marvels ihre Strategie inzwischen auserzählt hat und die Mystik eines solchen Momentes durch Perspektivwechsel, schlecht getimte Gags und die spröde Aktteilung an Boshaftigkeit einbüßt und im Gegenzug Vorhersehbarkeit gewinnt — nicht etwa deswegen, dass die Geschichte in jedem Aspekt erahnt werden kann. Vielmehr setzt das Wissen ein, dass Marvel Studios an exakt dieser Stelle operieren wird, wie sie es inzwischen immer tun.
Aufschub nach Aufschub
Innerfilmische Konsequenzen sind im MCU mittlerweile rar gesät. Heutzutage sind die Filme wie besessen den Fokus darauf zu richten, was eines schönen Tages mal passieren soll. Handlungen existieren nicht mehr für sich selbst, sie werden im Sinne des nächsten Projektes geleitet. Ant-Man and the Wasp: Quantumania vollführt kein Element, das nicht der Selbstverantwortung entflieht. Entweder werden vergangene Inhalte recycelt – im Falle dieses Filmes sogar auf wortwörtlich gruselige und verstörende Art und Weise – oder hohle Versprechungen gegeben, dass es beim nächsten Film unter identischen Voraussetzungen dann aber mal so richtig losgeht.
Beste Metapher für diese Argumentation ist der neue, als große Bedrohung angedachte Bösewicht: Kang, der Eroberer (Jonathan Majors). Schwerwiegend ist die Ironie, dass sämtliche Motivationen der Figur bestenfalls angedeutet und nur zum Zweck eines filmübergreifenden Cliffhangers unter Verschlag gehalten werden. Dabei sollte des Filmes Priorität Nummer Eins sein, den Charakter in seinen Facetten zu demontieren und der Zuschauerschaft einen Grund zu geben, sich auf seine miesen Machenschaften zu freuen. Was treibt ihn an? Wieso ist er böse? Viele Fragen, denen keine Antworten geschenkt werden. Verkommen tut diese im Kern spannende Figur zum Werkzeug, um den Kinogang in den nächsten MCU-Ableger zu garantieren.
Somit ist dieser Text gleichermaßen als Kritik an den spezifischen Film sowie das ganze Produkt zu verstehen. Einst eine traurige Theorie, welche mit jedem weiteren Film mehr und mehr Stimmen gewinnt und schon längst bittere Realität darstellt: Quantität steht im Marvel Cinematic Universe über Qualität. Schick anzusehen und unterhaltsam sind alle Filme des Franchise, somit perfekt für einen anspruchslosen Abend, an dem man sich von einem bedeutungslosen Spektakel berieseln lassen möchte.
In der Hinsicht steht Ant-Man and the Wasp: Quantumania den Werken seiner Legion in nichts nach. Wenn sich aber nicht bald etwas an dieser Taktik ändert, wird auch die unantastbar geglaubte Fähre von Superhelden, Superschurken und Superentertainment eines Tages Schiffbruch erleiden und untergehen. Vielleicht ist Phase V schon vorbei, bevor sie begonnen hat. Man darf sich von den hellen Farben, stimmungsvollen Launen der Persönlichkeiten und vorgegaukelten Epik nicht täuschen lassen. Uns stehen finstere Zeiten bevor.
ANT-MAN AND THE WASP: QUANTUMANIA LÄUFT SEIT DEM 15. FEBRUAR 2023 IM KINO
4.0 Punkte
Dorian
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Die Leidenschaft Filme jeder Art in sich hinein zu pressen, entbrannte bei mir erst während meines 16. Lebensjahres. Seit diesem Zeitraum meines Daseins gebe ich jeder Bewegtbildcollage beim kleinsten Interesse eine Chance, seien es als Pflichtprogramm geltende Klassiker oder unentdeckte Indie-Perlen.