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Drehbuch: Thomas Vinterberg, Tobias Lindholm
Kamera: Sturla Brandth Grøvlen
Schnitt: Janus Billeskov Jansen, Anne Østerud
DarstellerInnen: Mads Mikkelsen, Thomas Bo Larsen, Lars Ranthe, Magnus Millang
OT: Druk
Sprache: Dänisch
Länge: 1h57min
Genre: Comedy, Drama
Martin (Mads Mikkelsen) steckt in einer tiefen Krise. Er hat jegliche Lust an seinem Geschichtslehrerdasein verloren, fühlt sich von seiner Familie distanziert und ist permanent antriebslos. Doch eine Studie bringt ihn und drei befreundete Lehrer auf eine Idee: Jeder der vier soll seinen Alkoholspiegel auf einem permanenten Level von 0,5 Promille halten – laut der Arbeit soll den Menschen ein konstantes Rauschgefühl Stress und Spannungen abbauen. Ein soziales Experiment einer, wenn man die wahren Hintergründe recherchiert, natürlich pseudowissenschaftlichen Studie: Das scheint der Kern von Der Rausch zu sein.
Denn der Selbstversuch scheint zu funktionieren. Der Musiklehrer ermutigt seine Schüler, mehr mit Herz und Seele zu singen; der Philosophielehrer fängt die Ängste eines seiner Schüler auf eine Art und Weise auf, wie er es vielleicht nicht getan hätte und Martin selbst verwickelt seine Schüler in lebhafte Gespräche und zeigt ihnen Geschichte begeisternd aus einer völlig neuen Perspektive. Es sind Szenen, die von der großartigen Regie Thomas Vinterbergs ganz besonders profitieren: Er unterlegt gemeinsam mit seinem Kameramann gerade Szenen von Martins wiederbelebtem Unterricht mit Bildern, die einen stets leicht schwankend anmutenden Bewegungstrieb aufweisen. Er lässt die Szenen zum leicht schwankenden Leben erwecken, so wie Martin zum Leben erweckt.
Gerade das erste Drittel des Films wirkt dann zunächst wie eine blinde Glorifizierung der wohl populärsten Droge des Kontinents. Und tatsächlich liegt das nicht allzu fern. Denn als Ganzes betrachtet wirkt Der Rausch wie eine Antithese auf die in Hollywood immer wieder auftauchenden abschreckenden Beispiele von gescheiterten und gequälten Alkoholikern. Statt als schwarzweißer Erziehungsfilm aufzutreten, traut sich Thomas Vinterberg, eine neue Perspektive einzunehmen. Sich übermäßig einzuschränken ist genau wie permanentes und exzessives Trinken nichts per se Gutes. Scheuen tut der Regisseur die negative Seite des Fusels nicht, doch gleichzeitig zeigt er das Freiheitsgefühl, das Selbstbewusstsein und die Energie, die Alkohol einem verleihen kann. Er zeichnet beide Bilder. Es gibt Zeit für Nüchternheit, für Mäßigung, aber auch für den Exzess. Diese Momente zu erkennen und nicht übermäßig einschränkend oder nachgiebig zu sein, ist wichtig.
Schaut man genauer hin, geht es Vinterberg in Der Rausch nicht mal um den Alkohol an sich, wenngleich er sich zweifellos auch mit der Trinkkultur von Jugendlichen (und Erwachsenen) beschäftigt. Stattdessen plädiert er in seinem Film dafür, aus dem eigenen Trott und der eigenen Komfort-Zone (wieder) herauszutreten. Martin muss seine Dynamik wiederfinden, seine Passion und seine Gefühle. Er muss wieder vorwärts gehen. In diesem Fall scheint der Antrieb dafür tatsächlich stellenweise der Alkohol zu sein – doch was für Martin funktionieren mag, funktioniert für andere nicht. Auch das zeigt Vinterberg. Der Rausch ist eine Zelebrierung des Lebens.
Diese Zelebrierung spürt man inszenatorisch zu jeder Sekunde. Der Rausch ist ein Film, der wie kaum ein anderer Spaß macht. Die Balance zwischen nachdenklicher Tragik und schrägem Blödsinn trifft Vinterberg fast immer perfekt, das Pacing könnte nicht besser sein und gleichzeitig zeigt der Film, warum Mads Mikkelsen ein Filmstar ist. Seine Darstellung trifft in jeder einzelnen Szene perfekt den Ton, wechselt zwischen Depression und Rauschgefühl, und zieht unsere Blicke ständig auf sich. Dazu bekommt er ohne übertreiben zu wollen eine der entzückendsten Schlussszenen spendiert, die das Kino wohl jemals hervorgebracht haben mag. Es geht nicht anders als nach dieser Szene mit dem breitesten Grinsen, das einem die Mundwinkel erlauben, das Kino oder Wohnzimmer zu verlassen.
Der Rausch ist eine Erzählung von dem, was in uns schlummert und wie man es ausgraben kann; von dem, zu was uns Alkohol verhelfen kann und zu welcher verführerischen Selbstzerstörung uns die Droge gleichzeitig leiten kann; von der anfänglichen Heiterkeit, dem plötzlichen Kontrollverlust und dem brummenden Kopf am nächsten Morgen. Thomas Vinterberg befreit sich von Klischees und erzählt eine vielfältige Geschichte, die Mitdenken erfordert und gleichzeitig zum Genuss einlädt. Auf den Punkt genau inszeniert ist er damit jetzt schon für einen der wohl besten Filme des Jahres verantwortlich. Nach dem großartigen Die Jagd scheint die Vinterberg-Mikkelsen-Kombination eine mehr als verlässliche zu sein.