©RocketJump
Fast neun Jahre ist es schon her, da übertrafen die kreativen Köpfe hinter dem amerikanischen YouTube-Kanal RocketJump mit einem sehr originellen Konzept meilenweit ihre eigenen Erwartungen. In nur drei Jahren war eine Sage geboren, die ein bisher und danach unerreichtes Level an hochqualitativen Videoinhalten erreichte und gleich zu Beginn das Internet im Sturm eroberte, zudem Kultstatus entwickelte. Die Rede ist von der preisgekrönten Serie Video Game High School (VGHS), der erfolgreichsten und einzigartigsten Webserie auf ganz YouTube. Warum sie auch nach so langer Zeit weiterhin als eines der faszinierendsten Phänomene der gesamten Plattform bestehen bleibt und trotz ihres Alters mindestens einen Blick wert ist, könnt ihr hier nachlesen!
Die geniale Prämisse
Irgendwann in einer nicht allzu weit entfernten Zukunft in den USA sind Videospiele ein anerkannter Sport und ein essenzieller Bestandteil von Talent und Bildung geworden. In einer solchen Ära der audiovisuellen, interaktiven Kunstform eilt der Teenager Brian völlig außer Atem und mit einer kochend heißen Frühlingsrolle an seinen Computer. Dort angekommen, begibt er sich wieder in sein pausiertes Online-Multiplayer-Spiel Field of Fire und besiegt den einzig verbliebenen Gegner. Was Brian da angestellt hat, realisiert er erst ein paar Augenblicke später. Er hat den Spieler The Law – das Aushängeschild einer High School für Pro-Gamer – abgeschossen. Die Demütigung verbreitet sich weltweit im Nu und der Schulleiter jener Schule – der Video Game High School – ist gezwungen, Brian auf seiner Schule aufzunehmen. Somit beginnt für den Teenager eine Zeit, gespickt von Siegen und Niederlagen, Liebe und Trauer, Freundschaft und Feindschaft, wobei die innewohnende, eskapistische Narration von Videospielen der Realität gegenübergestellt wird. Ab jetzt sollen Wettkämpfe im E-Sport gewonnen, Highscores geknackt und nach der Aussage des Schulleiters Biologie im Blut erschossener Feinde studiert werden.
Der lodernde Raketenstart
75 Tausend US-Dollar. Diese läppische Summe wollte RocketJump über Kickstarter von Spendern zusammentragen, um die erste Staffel von VGHS zu realisieren. Durch die Reputation des Kanals, der 2011 mit seinen damals schon populären Kurzfilmen Bekanntheit auf der noch jungen Plattform genoss, wurde dieses Ziel meilenweit überschritten. Nach der 30-tägigen Kampagne ging RocketJump mit dem nahezu vierfachen Budget an die Arbeit und veröffentlichte im Sommer 2012 die Pilotfolge. Der Erfolg war immens. Heute vereint sie über 19 Millionen Aufrufe allein auf YouTube. Schnell konnte während der nächsten Kickstarter-Kampagnen für die zweite und dritte Staffel erneut das Grundbudget geknackt werden. Die Folgen stiegen deswegen von den anfänglichen 15 Minuten Laufzeit auf satte 40. Man näherte sich im Verlauf der Serie immer mehr den etablierten Serien im Fernsehen an und filmte später sogar in 4K UHD. VGHS glich somit auch förmlich immer mehr den größten Produktionen.
Die Spezialeffekte
Geschuldet ist das auch der optischen Pracht, die den ZuschauerInnen über die Netzhaut tanzt. Freddie Wong und dessen Team von RocketJump sind vor allem für eines in ihren Videos bekannt: ihre überragenden Spezialeffekte. Und davon liefern sie eine bisher noch nie dagewesene Flut in VGHS. Gealtert sind diese auch heute noch durch die grandiose Welt der Serie bestens, denn man entschied sich dafür, die Geschehnisse innerhalb der Videospiele trotzdem als Realfilm zu drehen. Virtuelle Autorennen werden so zu tatsächlichen Autorennen, die auf tatsächlichen Straßen gefilmt wurden. Da die DarstellerInnen nicht nur ihre Figuren, sondern auch deren Spiel-Charaktere selbst verkörpern, entsteht eine herrliche Dynamik in den Actionszenen. Wenn Brian an seinem Computer sitzt und anfängt zu daddeln, dann werden zwischen dem realen Geschehen und den spielinternen Szenen Parallelmontagen kreiert. Eine von CGI überwucherte Videospielwelt wie im Film Ready Player One bleibt somit aus, zum Glück. Riesige Mündungsfeuer stoßen aus den wirklichkeitsnahen Waffen hervor, brandheiße Detonationen räuchern ZuschauerInnen das Trommelfell mit bestem Sounddesign aus der Ohrmuschel und voluminöse Hologramme deformieren sich gegenseitig die astrein sitzende Kauleiste. Durch die Montagen gliedern sich die echt ausgeführten Stunts nahtlos in die Sequenzen der Bildbearbeitung ein. All jene Blickfänge, seien sie praktisch umgesetzt oder digital eingefügt, halten immer noch bedenkenlos die Standards von Fernsehserien ein, gerade wenn die vergleichsweise niedrigen Produktionskosten berücksichtigt werden. Dieser Trend setzt sich bis in die finale Folge der letzten Staffel fort, endet dort obendrein mit einer praktischen und wirklich gigantischen Explosion, welche direkt aus Mission Impossible stammen könnte.
Die beste Coming-of-Age-Story
Jedoch wäre es viel zu kurz gegriffen, wenn sich der Kultstatus von VGHS an der reinen optischen Oberfläche bemessen ließe, denn die Serie steht für so viel mehr als nur gelungene Spezialeffekte. VGHS entstand für eine Generation, die sich im Internet freier entfalten konnte als zuvor, die einfach tat, worauf sie Lust hatte: selbst Hand an die Kamera zu legen. Früher, als Webvideo noch belächelt, Minecraft gerade erst von Gronkh entdeckt wurde, beheimatete sich die von außen ausgelachte Gamingszene im Internet. Die dadurch neugewonnene Fantasie gipfelt in der Kernidee von VGHS. Wer hätte sich als Jugendlicher Anfang der 2010er nicht gewünscht, eine Schule zu besuchen, deren oberstes Steckenpferd die Entwicklung und kompetitive Auseinandersetzung von Videospielen darstellt?
RocketJump gibt der Generation ihre Wunschvorstellung und eine Stimme, die sagt: Hey, wir finden genau das Gleiche cool wie ihr und stehen dazu. Dem Skript ist jenes zu verdanken, dessen humorvolle und nerdige Brillanz nahezu in jeder Dialogzeile von aufmerksamen ZuschauerInnen entdeckt werden kann. Auch wenn die Wettkampfarena der Video Game High School „Grand Theft Auditorium“ heißt oder Figuren absurde Namen tragen wie „Games Dean“, verläuft sich die Handlung nie zu sehr in selbstreferenziellen Sümpfen der Nostalgie.
Letztendlich sorgt diese Mischung für eine einzigartige, serielle Erzählform des Coming-of-Age-Dramas. Und wie schon bei den Harry Potter-Filmen identifiziert sich die Zielgruppe zunehmend mit ihren Helden, fühlt deren Sorgen und Probleme, aber auch Erfolge. Selbst wenn der Humor damals den Nagel auf den Kopf traf, könnte er heute in den ersten gewöhnungsbedürftigen Folgen für Neulinge abstoßende Reaktionen hervorrufen. Dennoch ist es praktisch unmöglich für die ZuschauerInnen, nicht zu wollen, dass Brian den Tyrannen „The Law“ virtuell in Fetzen sprengt und endlich mit dessen Freundin zusammenkommt. Oder dass Brians Freund Ted endlich für sich selbst einsteht und das spielt, wofür er brennt und nicht sein Vater.
Das Sinnbild einer Ära
Hinter den Dialogen – seien sie teils noch so karikiert – steckt doch immer etwas tief Menschliches und noch weit mehr. Es ist der eingefangene Zeitgeist der allerersten Webvideogeneration, der seitdem nie wieder so umfangreich dargestellt wurde. Wortwitzige Schlagabtausche wechseln sich mit gefühlvollen Momenten und kinetisch brachialen Feuersalven ab, sodass Nostalgieherzen bis zum Hals schlagen. Oder wie RocketJump es selbst einmal ausdrückte: „VGHS is a show about best friends, first loves and landing that perfect head shot“. All diese Punkte wurden mit der herzlichsten Hingabe eines jeden Beteiligten verwirklicht, das ist in jeglichen Einstellungen, Stunts, Effekten und Skriptentscheidungen klar zu erkennen. Die Liebe für Nuancen, Details und Actionchoreografien nimmt schlicht nie vorher dagewesene Ausmaße an.
Besonders ist an VGHS, was sie symbolisiert: Eine vergangene Ära, die sich vor YouTubes fester Etablierung in der Medienlandschaft manifestierte. Diese Ära mag nie perfekt gewesen sein, aber RocketJump ist grandios darin, sie in einer atemberaubenden Qualität im Webvideobereich perfekt aussehend umzusetzen und obendrein noch mit filmischen Stilmitteln aus unterschiedlichsten Genres zu ergänzen.
An dieser Stelle kann ich nur jedem dazu raten, egal ob er oder sie die Serie schonmal geschaut hat oder nicht, den eingestaubten Folgen nochmal einen Besuch abzustatten – wenn auch nur für einen kurzen Moment – und sich vor dieser Meisterleistung der Webvideokunst zu verneigen. Was hier aus purer Überzeugung und Leidenschaft realisiert wurde, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Geschenk.