Eine abgetrennte Hand erwacht in einem Pariser Labor zum Leben. Angetrieben von einem unergründlichen Willen, sich wieder mit ihrem Träger zu vereinen, macht sie sich auf die Suche nach dem jungen Pizzaboten Naoufel und muss sich bei ihrem aberwitzigen Gekrabbel durch Paris Schwänen, Ratten und Tauben ausweichen, um ans Ziel zu kommen. Immer wieder erinnert sich die Hand dabei an Naoufel und seine Liebe zur Bibliothekarin Gabrielle und klärt dabei Stück für Stück das Rätsel der eigenen Abtrennung auf. Gibt es für Gabrielle, Naoufel und seine Hand ein Wiedersehen?

Dass Netflix es immer mehr darauf abgesehen hat, auch von der Kritik gefeierte Filme zu vertreiben und somit bei international verliehenen Awards mitzumischen, ist allerspätestens seit Roma klar geworden. Dass Netflix zu einem Türöffner für kreative, gewagte Animationsprojekte werden kann, wissen wir seit Love, Death & Robots. Der französische Film J’ai perdu mon corps, auf deutsch Ich habe meinen Körper verloren, schlägt ein wenig in beide Kerben. Als erster Animationsfilm überhaupt gelang es dem Film dieses Jahr den Kritikerpreis Grand Prix in Cannes abzuräumen. Ob ich dem großen Lob zustimme, seht ihr hier.

Zunächst vorweg: Ich habe meinen Körper verloren ist besonders genug, um nicht der Kindlichkeit, die Animationsfilmen leider noch immer nachgelegt werden, zu entsprechen. Stattdessen handelt es sich um eine kreative, teils fast schon makabere Tragödie, die Regisseur Jérémy Clapin hier erzählt. Die ist dann tatsächlich auch deutlich weniger positiv, als die skurrile Prämisse suggerieren würde. Weder fängt die Hand an zu tanzen noch verlieben Naoufel und Gabrielle sich Hals über Kopf ineinander und zeugen vier Kinder. Nein, Ich habe meinen Körper verloren bleibt am Boden, erzählt in einer Art fantastischen Realismus eine zwar unterhaltsame, aber im Kern doch recht harte Geschichte, die mal verspielt, mal melancholisch, mal herzlich, mal kalt ist. Die Idee mit der Hand mag zu Beginn desorientierend wirken, schafft aber eine schöne Metapher, die die Botschaft der Geschichte auf ziemlich originelle Art und Weise transportiert. Tatsächlich empfinde ich die Hand mit ihren Abenteuern, die sie auf der Suche nach Naoufel erlebt, und während derer sie immer wieder Stellen Naoufels Vergangenheit besucht, als den kleinen Star des Films. Wie sie mit ihren Fingern tappelnd durch die Stadt flitzt und dabei allen möglichen Herausforderungen trotzen muss, ist durch die größtenteils bizarren, faszinierenden Szenen machen den Film zu etwas Besonderem.

Damit möchte ich nicht sagen, dass Naoufel als Protagonist schwach geschrieben wäre oder nicht liebenswert wäre. Nein, seine verzweifelte Suche nach dem Glück und nach dem Ausbruch aus einer schwierigen Zeit verfolgt man gerne. Die Schwermut, die der Film mit seinen ständig wieder auftretenden makabren Bildern ausstrahlt, ist in ihm zentriert. Clapin schafft es mit seinen Mitteln als Regisseur, die Komponenten seines Films so auszurichten, dass wir uns in Naoufel sogar hineinversetzen können, wenn wir die Puzzleteile seiner Vergangenheit noch gar nicht zusammengesetzt bekommen haben. Wo mich Ich habe meinen Körper verloren aber mitunter etwas verlässt, sind die (zahlreichen) Momente, die die Beziehung zwischen ihm und Gabrielle besprechen. Was enorm vielversprechend mit einem toll geschriebenen Dialog über die Freisprechanlage an der Pforte eines Hotels beginnt, wird ab dem ersten Zusammentreffen der beiden von Szene zu Szene uninteressanter, da Gabrielle eigentlich stets nur als Vehikel für ihn dient. Da hätte man mehr draus machen können.

Man sollte sich von der abstrusen Prämisse von Ich habe meinen Körper verloren nicht abschrecken lassen und schleunigst seinen Fernseher anwerfen. Denn dieser Film ist ein richtig guter. Zu den oben genannten Dingen gesellen sich nämlich noch ein großartiger Score und ein hochemotionales Finale der Geschichte. Man muss hier mit einem überraschend schwermütigen, fast schon tragischen Grundton zurechtkommen, wird dafür aber belohnt mit einem zeitweise wirklich magischen Animationserlebnis. Hätte mich die Liebesgeschichte der Beiden etwas mehr gepackt, wäre der Sprung zum großartigen Film wahrscheinlich geschafft.

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