Anfänge. Wo beginnen sie, wo enden sie? Ist der Anfang von etwas nicht auch immer das Ende von etwas anderem? Gibt es womöglich nur einen Anfang und ein Ende im Leben? Die Geburt und der Tod sind die einzigen Konstanten in einem Universum, durch das wir treiben wie Fische durch den Fluss.

Für den einen mögen diese Worte leeres, bedeutungsschwangeres Geschwätz sein, für den anderen jedoch eine tief in der Natur verwurzelte Wahrheit, die es zu erkunden gilt.

So oder so veranschaulichen sie recht gut die Quintessenz aller Werke des äußerst eigenwilligen Filmemachers. Terrence Malick entzieht sich nicht nur fast gänzlich der Öffentlichkeit, er entzieht sich auch sämtlichen Konventionen, wenn es um das Filmemachen geht. Wieso das trotzdem funktioniert, wenn auch nicht für jeden, und warum es sich lohnt, seinen Filmen eine Chance zu geben, werde ich euch im Folgenden erklären.

The Tree of Life ©EuroVideo

Inhalt

Um zu verstehen, wie Terrence Malick seine Filme konzipiert, ist es wichtig, sich zunächst die zugrunde liegenden Themen und Motive anzuschauen. Malick hegt eine starke Verbundenheit mit der Natur, nicht nur im Sinne von Flora und Fauna, sondern hauptsächlich in Bezug auf das Leben an sich. Seine Figuren grübeln über elementare Fragen wie den Sinn ihrer Existenz, die allgemeingültige Wahrheit und was gut und was böse ist. Dabei suchen sie nach Antworten im Glauben, in der Spiritualität und im Inneren ihres Selbst. Ihre Gedankengänge und Aussagen bleiben allerdings zumeist vage und versuchen den Zuschauer zum Nachdenken anzuregen, etwas in ihm auszulösen, anstatt ihm alles vorzukauen und eindeutige Antworten, die es schlichtweg nicht gibt, zu liefern.

Malicks Figuren, so grandios sie auch besetzt sein mögen, sind häufig nicht viel mehr als bloße Platzhalter, Stellvertreter oder Mittel zum Zweck. Sie nehmen kaum Einfluss auf ihr Umfeld, treiben gedankenversunken von einem Ort zum nächsten und durchlaufen eine sehr unscheinbare Entwicklung. Für den einen mag dieser minimalistische Ansatz funktionieren, dem anderen wiederum fehlt es an emotionalen Ankerpunkten, um sich mit der Figur und ihren Problemen identifizieren zu können.

Gute Filme sollten aber in meinen Augen auch den Zuschauer mit einbeziehen und ihn aus seiner Rolle des passiven Beobachtens und Konsumierens herausholen.

Der schmale Grat ©20th Century Fox

Machart

Während man über inhaltliche Schwächen oder das Fehlen einer klassischen Narrative diskutieren kann, bewegt sich die Präsentationen fast durchwegs an der Grenze zur Perfektion. Es ist bekannt, dass Malick teils mehrere Jahre mit dem Schnitt zubringt und die Abfolge der Szenen unzählige Male abändert. Daraus resultiert eine eindrucksvoll fließende Bewegung wunderschöner Bilder, welche einen immer wieder in einen regelrechten Trancezustand versetzt. Apropos Bilder: Malick hat bei der neueren Hälfte seiner Filme mit dem mehrfach oscarprämierten Kameramann Emmanuel Lubezki zusammengearbeitet. Ganz im Sinne von The Revenant (auch von Lubezki) setzen die beiden viel auf natürliches Licht. Außerdem wird so gut wie alles aus der Hand gefilmt und die Einstellungsgrößen wechseln häufig zwischen Nahaufnahmen von Gesichtern und Totalen von wunderschönen Landschaften hin und her. Kleiner Funfact: The Tree of Life wurde laut IMDb mit neun (!) unterschiedlichen Kameras gedreht.

Unterlegt wird das Ganze zumeist von einem fast schon geflüsterten Voiceover, in dem die Figuren ihre Gedanken zu den oben genannten Themen teilen. Ein Stilmittel, welches eigentlich vorwiegend in der Literatur Verwendung findet, wo es in der Regel auch besser funktioniert. Ich persönlich störe mich nicht an dem verträumten Flüstern, merke allerdings nach ein paar Filmen, wie es sich zunehmend abnutzt. An den Aufnahmen kann ich mich allerdings nie sattsehen.

Badlands ©Warner Media

Filme

Malick hat bei insgesamt neun Spielfilmen Regie geführt, angefangen hat er bereits 1973 mit Badlands, welcher sogleich als einer der besten Debütfilme eines amerikanischen Regisseurs gehandelt wurde. Martin Sheen und Sissy Spacek spielen darin ein junges Paar, welches das alte Leben hinter sich lässt, um nach eigenen Regeln und Ansichten zu leben. Als geistiges Vorbild diente unter anderem Bonnie und Clyde, der meiner Meinung nach bessere Film.

Fünf Jahre später folgte dann mein persönlicher Lieblingsfilm von Malick, Days of Heaven (im Deutschen gibt es übrigens zwei Titel, In der Glut des Südens und Tage des Himmels). Angefangen bei der Tatsache, dass der Kameramann Néstor Almendros während der Dreharbeiten langsam erblindete und sein Assistent ihm im Vorfeld ein Polaroid der Einstellung angefertigt hat, welches Almendros dann unter einer Lupe betrachten konnte, über die Entscheidung Malicks, nur während der “goldenen Stunde” zu filmen, bis hin zur Musik von Ennio Morricone ist dieser Film ein audiovisuelles Meisterwerk.

Es dauerte ganze 20 Jahre, bis Malick auf den Regiestuhl zurückkehrte und mit dem Kriegsfilm Der schmale Grat sogleich einen großen Erfolg landete. Sieben Oscarnominierungen und den Goldenen Bären konnte er einheimsen, musste sich allerdings Der Soldat James Ryan geschlagen geben. Vor allem zeigt Malick hier, dass er es auch beherrscht, Filme zu inszenieren, die einer klassischen Dramaturgie folgen.

The Tree of Life ©EuroVideo

2005 verfilmte er die den meisten wahrscheinlich aus dem Disneyfilm bekannte Geschichte rund um John Smith und Pocahontas und setzte wie zuvor auch auf eine konventionellere Form der Handlung, bis er 2011 mit seinem vielleicht bekanntesten Film The Tree of Life eine neue stilistische Phase einläutete. In kurzen Abständen von nur einigen Jahren folgte gleich eine Handvoll weiterer Filme, die sogar teilweise Rücken an Rücken gedreht wurden und mit schier unfassbarem Cast aufwarten. Knight of Cups und Song to Song sind im Vergleich zu seinen alten Filmen in der Moderne angesiedelt und befassen sich mit der Film- und Musikindustrie.

Sein aktuellster Film Ein verborgenes Leben hingegen spielt zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und erzählt die auf wahren Begebenheiten basierende Geschichte des österreichischen Bauern Franz Jägerstätter, der sich dem Kriegsdienst verweigert.

Wer nun Lust bekommen hat, sich den einen oder anderen Terrence-Malick-Film anzuschauen, dem sei noch gesagt, dass man in jedem Fall ordentlich Sitzfleisch und Geduld mitbringen sollte. Legt das Handy zur Seite, denkt nicht schon über den nächsten Film, die Wertung auf Letterboxd oder was ihr sonst noch erledigen müsstet, nach. Erst dann könnt ihr wirklich beurteilen, ob euch Malicks eigensinnige, minimalistische und rohe Form des Filmemachens zusagt.