Das SARS-CoV-2-Virus hat die ganze Welt über Monate hinweg auf Pause verweilen lassen und wird auch in Zukunft wohl noch lange Zeit Thema bleiben. Auch wenn immer noch unsicher ist, wie sich die Lage weltweit entwickeln wird, steht doch eines fest. Der verursachte Schaden ist enorm und so wird an allen Fronten gekämpft, um weitere Verluste zu verhindern. Auch in der Filmbranche regt sich langsam etwas. Produktionen sind wieder angelaufen und verschiedene Staaten in den USA hoffen auf eine baldige Wiedereröffnung der Kinos – zumindest ab Ende des Jahres. Abgesehen von den hohen Hygienevorschriften werden die Lichtspielhäuser aber wie auch im Sommer mit einem weiteren Problem konfrontiert werden. Es fehlt der Nachschub an neuen Filmen, selbst die zurzeit rekordverdächtig profitierenden Streamingplattformen stoßen mit ihrer riesigen Auswahl irgendwann an Grenzen. Gerade im Blockbuster-Segment mussten die Studio-Starts, wie den 25. Ableger der Bond-Reihe No Time to Die oder Warners Dune weit nach hinten verschoben werden, oftmals sogar auf unbestimmte Zeit. Für die großen Kassenschlager kann man sagen, dass das Kinojahr 2020 regelrecht übersprungen wird.

Aber genug der Schwarzmalerei! Denn diese frustrierende Flaute birgt in meinen Augen sogar eine Chance. Egal ob Gelegenheitszuschauer, langjähriger Cineast oder Neueinsteiger: Jeder hat nun die Möglichkeit Filme für sich zu entdecken, ganz ungestört von der normalerweise vorherrschenden Flut an neuen Releases. Und die Auswahl ist riesig, letztes Jahr wurden alleine in den USA und Kanada an die 800 Spielfilme veröffentlicht, weltweit um ein Vielfaches mehr. Ganz zu schweigen von all den Kurzfilmen und Serien.

Wem von dieser unübersichtlichen Auswahl der Kopf schmerzt, dem helfen womöglich die folgenden Zeilen, in denen ich meinen persönlichen Filmkonsum und die damit verbundenen Erfahrungen aus den letzten Jahren schildere. Es sei aber natürlich gesagt, dass das hier keine allgemeingültige Anleitung sein soll, jeder kann und sollte das anschauen, was er möchte und wie er es möchte.

Was soll ich anschauen?

Und das ist auch schon ein gutes Sichtwort, denn im Internet finden sich unzählige Listen von bekannten Filmkritikern wie Roger Ebert oder Filmemachern, z.B. Edgar Wright, die sogar teilweise “XY Filme, die du gesehen haben musst” heißen. Das mag in vielen Fällen einfach nur ein griffiger und einprägsamer Titel sein, dem man nur wenig Beachtung schenken sollte, oder es kann wie in meinem Fall einen gewissen Druck erzeugen. Der Glaube, Der Pate, Pulp Fiction oder ganz neu Parasite müsste man unbedingt gesehen haben und am besten für genauso grandios befinden wie alle anderen, macht sich breit. An dieser Stelle muss ich etwas abschweifen, da der vorherige Satz zweigeteilt ist:

Auf der einen Seite geht es um den subjektiven Geschmack. Dieser wird im Groben von vorherigen Sehgewohnheiten und Erfahrungen geprägt und kann sich somit auch sehr schnell ändern. Hat man beispielsweise Ratatouille in seiner Kindheit gesehen, so wird man ihn auch als Erwachsener noch lieben, da man mit ihm Nostalgie verbindet. Schaut man ihn allerdings im Erwachsenenalter zum ersten Mal, ist die Erfahrung eine völlig andere. Daher sollte man sich selbst oder andere nicht verurteilen, wenn das hochgepriesene Meisterwerk nicht die übliche Reaktion hervorruft. Filme spiegeln zudem oftmals den jeweiligen Zeitgeist wider und funktionieren schlichtweg für spätere Generationen nicht mehr. Für meine Mutter ist der rebellierende James Dean aus Rebel Without a Cause noch eine Art Vorbild gewesen, obwohl sie erst ein paar Jahre später auf die Welt kam. Für mich war der Film zwar interessant, aber gleichzeitig auch irgendwie albern und kindisch.

Eng mit dem Geschmack verknüpft ist außerdem der eigentliche Grund des Filmeschauens. Ist es einfach nur bloßer Zeitvertreib, ein Hobby oder gar eine brennende Leidenschaft? Nutzt man Filme, um für kurze Zeit das Leben hinter sich zu lassen oder um etwas fürs eigene Leben zu lernen? Oder möchte man dieses Medium sogar zu seinem Lebensinhalt machen, vielleicht als Kritiker, vielleicht als Filmemacher? Abhängig davon kann man meines Erachtens durchaus von einem Muss sprechen, wenn es darum geht, gewisse Filme gesehen zu haben. Sei es aufgrund der filmhistorischen Bedeutung des Werkes oder einfach nur um sich eine eigene Meinung bilden zu können.

Zusammenfassend kann man sagen, dass natürlich zu großen Teilen der eigene Geschmack vorgeben wird, welche Filme einem gefallen werden und welche nicht. Allerdings kann man mit Offenheit und Neugierde gerade gegenüber älteren Werken deutlich mehr herausholen, als man es vielleicht für möglich gehalten hätte. Das gilt selbstverständlich nicht für Filme, sondern kann einem auch im eigenen Leben helfen.

Wie finde ich neue Filme?

Wenn also die Frage nach dem Wieso geklärt wurde, dann ist es an der Zeit, sich einen Überblick von der Filmlandschaft zu verschaffen. Aber wonach soll man suchen? Die beste Methode ist es, wer hätte es gedacht, Empfehlungen von anderen Leuten zu folgen. Freunde, Kritiker und andere Filmenthusiasten im Internet oder sogar die eigenen Eltern können gute Anlaufstellen sein.

Um darüber hinaus ein ungefähres Bild davon zu bekommen, welche Genres den eigenen Geschmack treffen, könnte man sich aus jedem Genre und Land den ein oder anderen Vertreter anschauen. Einen nervenaufreibenden Thriller aus Südkorea, einen bombastischen Actionfilm aus Übersee, eine gefühlvolle Romanze aus Frankreich oder vielleicht eine philosophische Geschichte aus Schweden. So als würde man bei einer Eisdiele nach und nach jede Geschmacksrichtung durchprobieren und am Ende feststellen, dass die Kombination aus Schokolade, Pistazie und Zitrone am besten schmeckt.

Für welche Filme man sich dabei entscheiden sollte, wäre ein gutes Thema für ein anderes Mal.

Wer bereits deutlich weiter in die Tiefen unzähliger Filmografien vorgedrungen ist und mehrere hundert, wenn nicht sogar tausende Filme gesehen hat, der wird vermutlich feststellen, dass es noch viel mehr zu sehen gibt, als man ursprünglich dachte. Denn mit jeder neuen Entdeckung offenbart sich einem mindestens eine weitere. Schnell türmen sich etliche neue Filme auf der eigenen “Watchlist” und man fühlt sich ein wenig wie zu Beginn, ähnlich dem sogenannten “Dunning-Kruger-Effekt“. Hat man also einmal einen gewissen Punkt erreicht, geht es schier endlos weiter, wenn auch nicht mehr im selben Tempo.

Wie soll ich Filme anschauen?

Diese Frage mag auf den ersten Blick recht albern klingen, ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass es äußerst wichtig ist, sich darüber Gedanken zu machen. Denn während manche Filme einem unter so gut wie jeder Bedingung gleich viel Freude bereiten können, müssen für andere gewisse Voraussetzungen gegeben sein. Bildgewaltige Filme à la Avengers, Star Wars oder 1917 verlieren außerhalb des Kinosaals massiv an Strahlkraft, wohingegen ruhige Dramen besser bei Ruhe und nach Geschmack sogar alleine ihr volles Potenzial entfalten können. Aber mindestens genauso wichtig ist es, sich nach der Sichtung mit anderen auszutauschen. Denn so kann sich ein Film am besten entfalten und womöglich noch Tage lang nachwirken. Wo wir bei einem anderen äußerst wichtigen Punkt sind. Als ich Ende 2017 angefangen habe, meinen Filmkonsum mithilfe von Letterboxd zu dokumentieren, habe ich mich schnell von den ganzen Zahlen vereinnahmen lassen. Wie viel Prozent habe ich von dieser Liste oder von diesem Regisseur gesehen, wie viele Filme sind noch auf meiner Watchlist und wann erreiche ich endlich die magische Marke von 1000 geschauten Filmen? Ich habe mich auf dieser regelrechten Jagd zwischenzeitlich im Dschungel der Zahlen verloren. Jeder Tag musste “genutzt” werden, um mindestens einen Film anzuschauen, egal ob ich Lust hatte oder nicht.

Dass das meinem Filmkonsum nicht sonderlich gutgetan hat, dürfte wohl wenig überraschen. Ohne die “Tagebuchfunktion” von Letterboxd wüsste ich teilweise gar nicht mehr, dass ich diesen oder jenen Film überhaupt gesehen habe. An die Handlung erinnere ich mich nur noch wage, selbst bei Filmen, die ich sehr mochte. Und das ärgert mich. Für eine zweite Sichtung kann ich mich dann allerdings nicht wirklich aufraffen, weil der Reiz einen komplett neuen Film zu schauen einfach größer ist.

Die Strategie

Ich habe schon immer dazu geneigt, mir über alles mögliche den Kopf zu zerbrechen. So habe ich auch aus dem Filmeschauen eine Wissenschaft gemacht, um mir einen möglichst guten und effektiven Überblick über alle Genres, Länder und Jahre hinweg zu verschaffen. Fertig bin ich noch nicht und werde es vermutlich auch nie ganz sein. Und das ist völlig in Ordnung. Inzwischen versuche ich die sehr analytische Seite meines Filmkonsums etwas zu reduzieren und mich bei der Auswahl mehr auf mein Bauchgefühl zu verlassen.

Das funktioniert recht gut, aber so ganz kann ich einfach nicht aus meiner Haut.

Denn schon seit einer Weile geht mir eine Zahl nicht mehr aus dem Kopf: 1500. Diese Anzahl an Filmen, plus minus eine Handvoll, könnte für mich persönlich eine Art Idealwert darstellen und jeder weitere Film wäre sozusagen Bonus. Die Basis machen dabei zwei Drittel, also 1000 Filme aus, hauptsächlich bekannte, angepriesene und prämierte Werke aus allen Winkeln der Filmgeschichte. Die anderen 500 Filme sind dafür da, um dem eigenen Geschmack noch etwas mehr Freiraum zu geben. Ich habe beispielsweise ein Faible für südkoreanische Thriller entwickelt, weshalb ich hin und wieder einen Abstecher in diese Gefilde unternehme. Es gibt aber auch genügend Filme, die ich mir trotz einer großen Fangemeinde zumindest in naher Zukunft nicht anschauen werde. Das liegt zudem daran, dass ich Filme zusätzlich nach einer gewissen Priorität anordne, wodurch sich wiederum eine grobe Reihenfolge ergibt.

Wie beim MCU lässt sich mein Filmkonsum darüber hinaus in die folgenden vier Phasen einteilen: Orientierungsphase, Hauptphase, Vertiefungsphase und zu guter Letzt die freie Phase. Aktuell befinde ich mich im letzten Drittel der Vertiefungsphase, welche wohl vorerst bei ungefähr 1500 Filmen enden wird. Vorerst, weil die Übergänge recht fließend sind und ich wohl hin und wieder eine Auffrischungsphase oder eine weitere Vertiefungsphase anhängen werde.

Fazit

Womöglich ist es besser, wenn ihr euch nicht so viele Gedanken über euren Filmkonsum macht, wie ich es tue. Ich bin mir aber sicher, dass viele sich trotzdem von einer ganz bestimmten Sorte an Zahlen beeinflussen lassen: den Bewertungen. Seien es Sterne, Prozente oder Punkte. Auch wenn viele es verteufeln, die Komplexität eines Filmes auf einen simplen Wert herunterzubrechen, so neigen wir doch schnell dazu, uns dadurch von vornherein eine bestimmte Meinung zu bilden.

Wenn wir ehrlich zu uns sind, dann hatten wir als Kinder die vielleicht besten oder zumindest ehrlichsten Seherlebnisse. Ganz ohne verfälschende Erwartungen, jegliches Vorwissen oder eine anschließende Analyse der Charakterentwicklungen und Symboliken.

Viele Jahre später haben wir allerdings die Chance, unser Seherlebnis auf eine gänzlich andere Stufe zu heben. Der Schlüssel dazu liegt in der richtigen Balance zwischen Bauchgefühl und Kopfstimme.

Wenn ihr euch also einmal nicht sicher seid, ob ihr einen bestimmten Film anschauen sollt oder nicht, dann macht es einfach. Was soll schon passieren?