SynopsisCrewDetailsVerfügbarkeit
Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau schickt den Immobilienmakler Thomas Hutter in die Tiefen der transsilvanischen Karpaten zu dem berüchtigten Grafen Orlok. Der Graf entpuppt sich als blutsaugende Kreatur, die beim Anblick einer Lithografie von Thomas‘ Verlobten in Wallung gerät: Eine Symphonie des Grauens wird entfacht. Bei dieser Verfilmung handelt es sich um eine der ersten, die den Vampirmythos auf der Leinwand entfalteten und um die erste erhaltene Bewegtbild-Adaption von Bram Stokers Dracula-Roman.
Regie: Friedrich Wilhelm Murnau
Drehbuch: Henrik Galeen
Kamera: Fritz Arno Wagner, Günther Krampf
DarstellerInnen: Max Schreck, Gustav von Wangenheim, Greta Schröder
Land: Deutschland
Sprache: Keine
Länge: 1h34min
Genre: Horror, Drama
YouTube

“Schatten sind im Kino wichtiger als Licht. Das Kino ist die Sprache der Schatten. Mit dem Schatten werden die unsichtbaren und dunklen Kräfte sichtbar, die andere Seite.”

Albin Grau

Egal wen man fragt, sie kennen alle diese eine Einstellung. Es ist die Einstellung eines Horrorfilms schlechthin, die so viele Filmschaffende seit fast einem Jahrhundert wiederverwerten. Die Rede ist von Max Schrecks Silhouette als hagerer Vampir – wie sie diese eine Treppe hinaufsteigt. Wohin die führt, wissen die meisten nicht, viele werden den Film nie gesehen haben. Es wird also allerhöchste Zeit, Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens ein paar Zeilen zu widmen und Licht ins Dunkel zu bringen. 

Särge werden die Straßen Wisborgs entlanggetragen. Die Pest hat 1835 Einzug in die Stadt gehalten. Alle Bewohner leben in Angst. Lange Kameraeinstellungen halten den Stillstand des öffentlichen Lebens in Wisborg fest, während die vor Sorge todkranke, schlafwandelnde Ellen um ihren Verlobten Thomas bangt, der vor einigen Wochen nach Transsilvanien aufbrach. Seinem Beruf als Immobilienmakler nachkommend, soll er den Kauf eines Hauses für den unheimlichen Grafen Orlok (Max Schreck) dort abschließen. Was Ellen nicht weiß: Graf Orlok, in Wahrheit ein Vampir, befindet sich längst vor ihrer Haustür und hat es auf niemand Geringeres als sie abgesehen.

Fünf Akte hält diese vor 99 Jahren erstaufgeführte und erste Literaturverfilmung des Horrorklassikers Dracula bereit. Andere Adaptionen sind entweder verschollen oder später produziert worden. Beeindruckend bleibt es bis heute, wie tadellos der Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau die Pentatonik der angsteinflößenden Filmstilmittel mühelos rauf- und runterklimperte, somit als Geschenk für spätere Filmschaffende hinterließ. 

Die unheilvolle Finsternis spielt dabei die wahrscheinlich wichtigste Rolle. Schon die ersten Einstellungen und Perspektiven kündigen schleichend die baldigen Folgen für die Figuren an. Auch wenn Thomas und Ellen sich zu Beginn freudestrahlend in die Augen schauen, einander Zuwendung und Sehnsucht demonstrieren, so hüllen die Schattierungen an den Bildrändern – Vignettierung genannt – die Figuren bereits in einen dunklen Schleier. Thomas und Ellen werden von einem schwarzen Kreis eingeschlossen, ihr Schicksal und das sie bald heimsuchende Unglück stehen längst fest. Und die Zuschauer:innen sind sich im Unterbewusstsein dessen gewiss.  Subtil, aber effektiv. Von solchen feinsinnigen Stilmitteln macht Murnau oft Gebrauch, abnutzen tun sie sich zu keiner Sekunde.

Trotz der Eigenschaften eines Stummfilms nagen die Texttafeln und das Bildformat kaum an der heutigen Konsumierbarkeit von Nosferatu. Dafür werden sie schlicht zu passgenau eingesetzt. Durch das 4:3 Bildformat erscheint Max Schreck als hagerer Vampir mit aufgeplustertem Kopf eben ein ganzes Stückchen monumentaler und mächtiger in jeder Einstellung, schließlich engen keine oberen und unteren Filmbalken den Schauspieler ein. Übrigens verwendet genau diese Argumentation der Regisseur Zack Snyder in seiner demnächst erscheinenden 4:3-Schnittfassung zum Superheldenfilm Justice League

Vor allem der letzte Akt profitiert von dieser Herangehensweise. Murnau zeigt mit schlichten Mitteln, wie diese mit dem richtigen Feingefühl für visuell bahnbrechende Höhepunkte sorgen können. Szenen werden teils nur mit einer einzigen Lichtquelle beleuchtet, die auch später ein Kernmerkmal des Film noirs abbildet. Dadurch entsteht die furchteinflößende Silhouette von Orlok, welche die Treppe zu Ellens Gemach emporsteigt, um sie anzuzapfen. Wäre der Vampir einfach so in fester Gestalt die Treppe hochgekraxelt, hätte dies ganz sicher nicht für eine ikonische Einstellung gesorgt. Wie der Okkultist und Filmproduzent Albin Grau von Nosferatu schon sagte: “Schatten sind im Kino wichtiger als Licht.”

Einzig die Authentizität stellt für die heutigen Sehgewohnheiten ein unvermeidliches Dilemma dar. 1922 hatte sich das junge Medium Film noch nicht gänzlich vom – damals noch als großen Bruder angesehenen – Theater emanzipieren können. Die gesamte Schauspielriege von Nosferatu fand ihren Ursprung auf der Bühne – und so spielt sie auch. Übertriebene Pausen und Gestik sind die einzigen Gründe, weshalb man Nosferatu sein hohes Alter anmerkt, denn die weiteren audiovisuellen Mittel sind eher gereift als verschimmelt. 

Nahezu in jedem Auftritt Nosferatus sind schon damals sprunghafte Schnitte – Jump Cuts genannt und heute eher in YouTube-Videos wiederzufinden – eingesetzt worden, welche die Zeit innerhalb des Films abrupt aufbrechen, somit das Fantastische in Nosferatu herauskristallisieren. Nichts wirkt daran veraltet. Von den restlichen Spezialeffekten ganz zu schweigen. Oder der musikalischen Begleitung von Hans Erdmann, welche mit heiteren Flötenklängen die Aufbruchstimmung von Thomas noch bis zum Reiseantritt in die Karpaten beibehält, darunter aber dröhnend schwere Streichinstrumente schwelgen lässt. 

Max Schrecks verkörperter Vampir ist dabei keine vom Liebeskummer verwelkte Figur wie Dracula. Dieser Nosferatu ist die Pest, eine lebende Krankheit, die alles dahinrafft und ganze Städte lahmlegt – der Auswirkung eines Krieges gleich. Sich gegen diese Plage zu wehren, das versuchen die Figuren kaum, in ihren Augen manifestiert sich die Kriegsmüdigkeit des Publikums während und nach dem ersten Weltkrieg. 

Herrlich effektiv bereitete Murnau mit Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens eine filmkünstlerische Festspeise für die nachkommenden Generationen junger Regisseur:innen vor, welche dem Horrorgenre maßgebliche Geschmacksrichtungen in den Mund legte. Durch den auf Zelluloid gebannten Schrecken bleibt Murnaus Werk auch knapp hundert Jahre nach seiner Erstaufführung eine visuell bahnbrechende Erfahrung, was einzig das theatralische Schauspiel fest in der längst überholten Zeit verortet.

8.0
Punkte