Von Trüffelschweinen, Lamm-Mensch-Hybriden und Zeitschleifen – in Deutschland gibt es für abgefahrene, außergewöhnliche, gruselige und packende Filme das Fantasy Filmfest. Hier werden Filme vorgestellt, die Grenzen sprengen. Thriller, Horrorschocker und Sci-Fi-Streifen. Oder in einem Wort: Genrefilme. Auch dieses Jahr wurden in sieben Städten knapp 40 Filme gezeigt. Dieses Jahr war auch ich dabei und möchte über meine Auswahl eine Übersicht geben.
Beyond the Infinite Two Minutes
Cafébesitzer Kato entdeckt, dass der Monitor in seiner Wohnung zeigt, was zwei Minuten in der Zukunft passiert. Und der Fernseher in seinem Café darunter gibt die Vergangenheit wieder. Mit dieser Entdeckung beginnt eine verrückte Reise von Kato und seinen Freunden durch Zeittunnel, Raum-Zeit-Kontinuen, temporale Verbindungen und abgefahrener Experimente. Beyond the Infinite Two Minutes lebt von seiner Idee, die in den knackigen 70 Minuten durchgehend frisch und einfallsreich erforscht wird – gleichzeitig aber auch von seinem Charme. Die Schauspieler-Riege ist eine eingespielt Theatergruppe in Japan, die sich teils improvisiert und völlig überdreht die Bälle zuwirft; der Film selbst ist lediglich mit einem iPhone gedreht – und zwar in einem einzigen Lauf. Beyond the Infinite Two Minutes ist die nächste Low-Budget-Überraschung aus Japan. Witzig, irrsinnig und kreativ.
After Blue (Dirty Paradise)
Eine Friseurin und ihre jugendliche Tochter (Paula Luna) jagen Kate Bush, eine berüchtigte Hexe, in einer weit entfernten, toxischen Zukunft. Bertrand Mandico versucht sich nach seinem als großartig geltenden Debüt-Film The Wild Boys an einem Sci-Fi-Western ganz im Stile der 80er Fantasy-Filmwelle. Als eine Art fantastische und hochgradig erotische Märchenreise inszeniert – die von der narrativen Struktur stark an The Green Knight erinnert – gibt sich Mandico voll seiner Idee hin und geht mit Kostümierungen, Set Designs, World Building und Farbschemata einen ganz eigenen Weg. In der Theorie klingt das alles wunderbar, in der Praxis ist die Geschichte nahezu hirnrissig, der ideenreiche Look nach einer Stunde ermüdend und die Laufzeit viel zu lang, um After Blue nicht öde werden zu lassen.
Lamb
Ein Paar entdeckt auf seiner Farm in Island ein mysteriöses Neugeborenes, halb Lamm, halb Mensch. Die unerwartete Aussicht auf ein Familienleben bereitet ihnen viel Freude, bevor sie es schließlich zerstört. Kaum zu glauben, dass Lamb ein Regiedebüt ist. Ist es doch gerade die tolle Inszenierung, die den neusten A24-Film so besonders macht. Regisseur Valdimar Jóhannsson lässt über die isländischen, kalten Landschaften gleiten, koordiniert Schafe auf bestimmte Szenen und Reaktionen und weiß gleichzeitig, ihnen mit seiner Inszenierung sichtbare Emotionen einzuhauchen.
Mit dem Lamm-Mensch-Hybrid fährt er unterdessen eine sonderbare, aber nahbare Geschichte über Elternliebe, Verlust und Trauer. Die Verstrickung mit Elementen des Folk Horror (versteht Lamb dennoch als reines Drama denn als Horrorfilm) machen aus der eigentlich nicht gerade komplexen Geschichte etwas Besonderes. Lamb ist langsam und reflektiv, gleichzeitig aber menschlich und berührend. Ein isländisches Juwel.
The Innocents
Vier Kinder freunden sich in den Sommerferien an und entdecken vor den Augen der Erwachsenen, dass sie verborgene Kräfte haben. Während sie in den nahegelegenen Wäldern und auf Spielplätzen ihre neu entdeckten Fähigkeiten erforschen, nimmt ihr unschuldiges Spiel eine dunkle Wendung und seltsame Dinge beginnen zu geschehen…
The Innocents ist ein Eintauchen in die naive Welt von Kindern. Wenn sie mit Holzstöcken in Ameisenbauten herumstochern tun sie das schlichtweg, um die Folge ihrer Handlung zu entdecken. Ein Experiment. Was das für einen Schaden anrichtet, kommt in ihrer naiven Weltsicht kaum vor. Wenn ein Kind ihre autistische Schwester ärgert und sabotiert, liegt das vor allem daran, dass diese aufgrund ihres Zustands weitaus mehr mütterliche Aufmerksamkeit bekommt. Was das für ein Schaden anrichtet, kommt in ihrer Welt kaum vor. Ereignisse wie diese häufen sich in The Innocents und zeigen beeindruckend geschickt eine Weltsicht porträtieren, für deren Verständnis man als Erwachsene*r eine ziemliche Anstrengung vornehmen muss. Man muss es als Zuschauer*in schaffen, seinen Blickpunkt zu verändern.
Wenn das gelingt, offenbart sich ein Meisterwerk von einem Film. Ein Meisterwerk, das voll von Details ist und fantastisch geschrieben ist. Ein Beispiel: Wie die Welt der Kinder vollends auf die Wohnsiedlung beschränkt ist und sie wie ein völlig isolierter Ort inszeniert ist. Die Stadt, in der sie eigentlich leben, bekommt man nie zu Gesicht. Eskil Vogt, der bereits als Auto bekannt wurde für großartige Filme wie Thelma, inszeniert The Innocents dabei verhältnismäßig nüchtern. Nahezu ohne Musik schafft er so eine realistische und echte Atmosphäre, die die fantastischen Elemente, die er einbaut, noch mehr Tragweite verleihen. Ein Meisterwerk.
Are You Lonesome Tonight?
In einer dunklen Nacht überfährt Xueming mit seinem Auto einen Fußgänger und flieht vom Tatort. Um seinen Schuldgefühlen zu entkommen, beschließt er, die Frau des Toten, Frau Liang, anzusprechen. In der Zwischenzeit wird die Leiche entdeckt – durchlöchert von Kugeln…
Anders als die Synopsis und die Bewerbung vermuten lassen, ist Are You Lonesome Tonight kein klassischer chinesischer Crime-Thriller, der vor allem von Schusswechseln chinesischer Mafiabanden bestimmt wird. Stattdessen ist Wen Shipeis Regiedebüt ein ruhiges und besonnenes Arthouse-Drama über Erinnerungen und Schuldgefühle. Wirft man ihm das vor, kann es gut sein, dass das Werk einen nicht erreicht. Ist man jedoch offen für diese Art von Film, bleibt ein großartig inszeniertes, neongetränktes Drama, das seine Nähe zu Regie-Legende Wong Kar-Wai nicht zu verheimlichen versucht.