Vorgestern hat die Academy of Motion Picture Arts and Scienes (kompakter Name…) ihre Nominierungen für die Oscar-Preisverleihungen 2020 bekanntgegeben. Wenn ihr es verpasst habt, schaut einfach auf Wikipedia nach. Wie jedes Jahr wurden diese Nominierungen des renommiertesten Preises der Filmlandschaft online höchst kontrovers aufgenommen. Schauen wir uns mal an, wer glücklich über die Nominierungen sein kann und wer eher traurig dreinschauen sollte.

Gewinner: Netflix

Obwohl Netflix immer wieder Gegenwind von Regie-Größen, Filmfestivals etc. bekommen hat, landete der Streaming-Gigant im Vorjahr mit Roma einen großen Clou, sahnte 10 Nominierungen und 3 Preise für das semibiographische Werk von Alfonso Cuarón ab, hat jetzt sozusagen einen ziemlich dicken Braten gerochen und seine Strategie offensichtlich darauf ausgelegt, so viele Awards wie möglich zu verfolgen. Allein in The Irishman wurden 150 Millionen US-Dollar investiert. Gelohnt haben sich die ganzen finanziellen Mühen allemal. Ganze 24 Nominierungen. Vierundzwanzig! So viel wie kein anderes Studio. Mit Marriage Story und The Irishman zwei Möglichkeiten, den wichtigsten “Bester Film”-Preis mitzunehmen, sieben Darsteller-Nominierungen und mit Klaus und I Lost My Body gleich zwei Mal vertreten bei den Animierten Filmen. Ob sich das jetzt auch in tatsächlichen Preisen auszahlen wird, ist noch nicht klar, im Endeffekt aber auch ziemlich egal. Die Nominierungen alleine sind ein Zeichen, dass Netflix-Produktionen selbst bei den größten Preisverleihungen nicht mehr tabuisiert werden. Ein ganz großes Jahr für den Streaming-Service.

Verlierer: A24

So sehr man sich für die “Beste Kamera”-Nominierung für Der Leuchtturm auch freuen mag, ist diese Freude doch eher ein “Na wenigstens irgendwas”-Ausdruck von Fans des Studios A24. Das ist nicht nur bei uns Filmgeeks enorm beliebt, sondern hat mit Krachern wie Lady Bird oder Moonlight auch im Mainstream und vor allem eben bei den Oscars viel an Popularität eingeheimst. Schaut man sich dann mal die ganzen Produktionen an (Uncut Gems, Waves, Der Leuchtturm, The Farewell, Midsommar, The Last Black Man in San Francisco…), sollte man sich sicher sein, dass da auch dieses Jahr einiges drin sein wird. Aber naja, es ist tatsächlich nur diese eine Nominierung für die Beste Kamera. Uff. Ziemlich bittere Pille.

Gewinner: Parasite

Parasite ist wie ein Hurricane durch 2019 gefegt. Weniger wie das zerstörerische Naturphänomen, sondern mehr wie das riesige Festival-Event, das jedes Jahr irgendwo in Norddeutschland stattfindet. Jeder liebt Parasite. Parasite ist überall. Sogar auf der Nummer 1 der Letterboxd-Top-Movies-of-all-Time-Liste. Und das will schon was heißen. Gerade weil es kein amerikanischer, sondern ein südkoreanischer Film ist, was es Parasite automatisch schwerer gemacht hat, bei den Leuten anzukommen. Und genau daher kam auch die Sorge vieler Fans, dass die Academy Bong Joon-Hos Film nicht ausreichend beachten würde. Nun, glücklicherweise falsch gedacht. Es ist die erste “Bester Film”-Nominierung für einen koreanischen Film. Dazu noch fünf weitere Nominierungen. Ein Riesenerfolg für eine koreanische Produktion, den man nicht missachten sollte. Klar, kein Darsteller hat was abbekommen, aber dafür eben die Regie, das Drehbuch, das Szenenbild und der Schnitt. Absolut verdient und hoffentlich ein Wegebner dafür, dass mehr Leute über die Sprachbarriere hinwegschauen und sich aus ihrer US-Film-Bubble herausbewegen. Oder wie Bong Joon-Ho es sagen würde: “Once you overcome the one-inch tall barrier of subtitles, you will be introduced to so many more amazing films”

Verlierer: Uncut Gems und The Farewell

Beide dieser Filme stehen stellvertetend für die Filme, die ziemlich überraschend völlig ausgeklammert wurden. Vor allem The Farewell hinterlässt so einige Fragezeichen. Eine Drama-Komödie, basierend auf einer wahren Geschichte? Ist das nicht genau das Ding der Academy? Scheinbar nicht. Keine einzige Nominierung. Keine Lulu Wang, keine Awkwafina, kein Drehbuch. Genauso Uncut Gems: Seit Kritiker den Netflix-Streifen mit Adam Sandler zu Gesicht bekommen haben, überschütten sie es mit Lob. Im Mainstream kommt er zwar nur mittelmäßig an, aber sollte das ein ausschlaggebender Faktor sein? Wohl kaum. Beiden dieser Filme wurden fast schon sicher zumindest ein bis zwei Nominierungen zugerechnet, aber weit gefehlt.

Gewinner: Joker, 1917, The Irishman, Once Upon a Time…

Hier gibt es nicht all zu viel zu schreiben. Jeweils 10 beziehungsweise 11 Nominierungen für all diese vier Filme. Großartig überraschend ist das nicht. Joker wurde das ganze Jahr über zuerst auf Festivals und dann vom Publikum gefeiert und stellt eine der ersten Brücken zwischen dem Mainstream und Arthouse dar. Dass es da Nominierungen hageln würde, war zu erwarten. 1917 ist nicht nur ein Kriegsfilm – die Academy liebt neben Biopics auch Kriegsfilme – sondern eben auch eine technische Meisterleistung. Da sind es eben vor allem die technischen Kategorien, in denen 1917 alles mitnehmen kann, was geht. The Irishman und Once Upon a Time sind auch ziemlich einfach zu erklären: Es sind große, lange Werke von zwei renommierten Größen in Hollywood. Scorsese und Tarantino sind wohl bekannt und allzu beliebt bei den Preisverleihern in Hollywood… Dass die mehr Chancen auf begehrte Kategorien wie die Beste Regie haben als weibliche Frischlinge wie Greta Gerwig mit Little Women ist ein Fakt, den man hinnehmen muss.

Verlierer: Diversity

Packen wir die letzten Gewinner und Verlierer mal zusammen. Üblicherweise halte ich mich bei diesem Thema etwas zurück, hier ist es aber schon ziemlich auffällig. Nur weiße, alte Männer beim Regie-Preis. Cynthia Erivo die einzige Schwarze Person in der Darsteller-Kategorie. Fast alle Best-Picture-Nominierten handeln abgesehen von Parasite irgendwie von den Herausforderungen, ein weißer Amerikaner in der Gesellschaft zu sein. Wenn das aber nun mal wirklich die besten Filme darstellen, dann sei es so. Das Problem: Gerade dieses Jahre gab es so einige Nichtweiße Nichtamerikaner, die qualitativ ganz oben mitspielen. Jennifer Lopez? Lupita Nyong’o? Song Kang-ho? Awkwafina? Ich möchte den tatsächlich Nominierten auf gar keinen Fall ihre Leistung absprechen, im Gegenteil, aber dennoch hat so etwas immer einen faden Beigeschmack. Man könnte meinen, dass die Academy sich mit der “Best Picture”-Verleihung an Moonlight dachte, sie wären jetzt für ein paar Jahre safe mit dem Nominieren von Schwarzen Personen.


Obwohl es natürlich wieder einiges zum Quengeln gibt, bin ich recht zufrieden mit den Nominierungen. Es gibt wenige Überraschungen und das, was ich sehe, ist zumindest meistens nachvollziehbar. Was haltet ihr von den Oscar-Nominierungen 2020?