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In dem ungewöhnlichen Psychothriller des gefeierten Regisseurs Edgar Wright gelingt es der jungen Modedesignerin Eloise, in ihren Träumen in die 1960er Jahre zurückzureisen, wo sie der schillernden Sängerin Sandie begegnet. Doch der Glamour ist trügerisch, und die Träume der Vergangenheit bekommen Risse …
©: Universal Pictures
Regie: Edgar Wright
Drehbuch: Edgar Wright, Krysty Wilson-Cairns
Schnitt: Paul Machliss
Kamera: Jeong Jeong-hun
Schauspieler*innen: Thomasin McKenzie, Anya Taylor-Joy, Matt Smith, Michael Ajao, Diana Rigg
Produktionsjahr: 2021
Land: UK
Sprache: Englisch
Länge: 1h57min
Genre: Horror, Thriller, Mystery

Es plagt ein Gefühl. Das Gefühl, in der falschen Zeit geboren zu sein. Nicht mit dem Hier und Jetzt akklimatisieren zu können und es noch viel mehr nicht zu wollen. Alle Eigenschaften, welche es repräsentieren und definieren abzulehnen. Anstatt sich der zeitgenössischen Struktur anzupassen, ihr lieber auszuweichen. So verhält es sich im neuen Studentenalltag der verträumten Eloise (Thomasin McKenzie). Als zukünftige Modedesignerin unter ihren versnobten MitschülerInnen verpönt, wendet sie sich vom Wohnheim ab. Ein Unterfangen, das von Mut und Charakter zeugt, denn sinngemäß trotzt und entsagt sie ihrer Generation. Die Konsequenzen ihres Vorhabens lassen aber ungeahnte Folgen nach sich ziehen, als Eloise plötzlich eines Nachts in den 1960ern erwacht. Die Garderobe eines jeden ist wie sie es sich ersehnt hat und der Zeitgeist entspricht ganz ihren Bedürfnissen. Doch als sich ihre Wege mit der bildschönen Sängerin Sandy (Anya Taylor-Joy) kreuzen, verschwinden die Barrieren zwischen Damals und Heute.

Gegensätze ziehen sich an

Mut und Charakter sind die zwei Aspekte, die in Edgar Wrights aktuellem Werk zueinander finden. Von der satirischen Horrorkomödie Shaun of the Dead über das technische Feuerwerk Baby Driver bis hin zum völlig abgedrehten Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt ist seine Filmographie bereits jetzt äußerst facettenreich und etabliert ihn als einen der kreativsten und abwechslungsreichsten Köpfe der Moderne. Kein Wunder, dass seine Werke zu Publikumslieblingen wurden. Deswegen bestand im Vorfeld auch keine große Sorge, dass das Regie-Wunderkind aus England just erneut seinen markanten Stil einem neuen Genre-Mix beipflichtet — und zwar mit heiteren Aussichten auf Erfolg.

Last Night in Soho verbindet eine Kombination aus Coming-of-Age, Mystery, Psychodrama und -thriller sowie dem Horror. Keine leichte aber ebenso wenig unmögliche Aufgabe, insbesondere nach den strahlenden Eindrücken der Trailer und dem einladenden Gimmick der unter mysteriösen Umständen ineinander überlaufenden Epochen. Abermals traut sich der Regisseur an etwas Neues heran. Das Verlassen seiner Komfortzone bildet eine Brücke zu dem Hauptthema des Filmes: Kontraste. Alles in Last Night in Soho spielt mit der Gewitztheit des Kontrastes. Blau wird vor der Kamera zu Rot und umgekehrt. Vergangenheit und Gegenwart erfahren eine Gegenüberstellung und werden in ihrer Verschiedenheit verwoben. Eine Hauptfigur am Rande der Verzweiflung, da sie komplett gegensätzlich zu ihrem gleichaltrigen Umfeld auftritt. Unter diesem Schwerpunkt offenbart der Film eine bemerkenswerte Stilistik: Die Optik nimmt konstanten Bezug zum Storytelling der Geschichte. Schon früh werden potenzielle Befürchtungen revidiert, es handle sich um einen erstklassig aufgegossenen aber zweitklassig geschmolzenen Supernatural-Horrorfilm. Nein, Last Night in Soho schaut durchaus über den Tellerrand hinaus und ist mehr als die typische Spukgeschichte, verweilt dabei aber dennoch auf den bekannten Mustern des Porzellans.

Ein Film, zwei Gedanken

So ergeben sich zwei Geschichten mit demselben Ziel. Die eine ist ein verschachtelter, unheimlich intensiv aufgearbeiteter Geheimnisträger mit fantastisch konzipierten Pässen zwischen dem Leiden der einen Protagonistin und dessen Parallelen zu dem der anderen Protagonistin — interpretiert als faszinierender Throwback in die Swinging Sixties mit tollen Farbkompositionen, atemberaubenden Spiegelungen und mitreißenden Ständchen im glamourösen Untergrund des Londoner Showbusiness. Last Night in Soho porträtiert in seinen besten Momenten – wovon es mehr als eine Handvoll gibt – einen spannenden, psychedelischen Abstieg in den immer lauter werdenden Fiebertraum. Geplatzte Vorstellungen, geschändete Talente und eine Atmosphäre sondergleichen. Prickelnd wirft das Bühnenlicht seinen Schatten und konsumiert alles unter ihm. Wrights Inszenierung ist meisterhaft, sei sie audiovisueller oder narrativer Natur. Somit ist die eine der zwei Geschichten ohne beigemogelte Hyperbolik fehlerfrei. Die erste Hälfte ist perfekt.

Dann wäre da aber noch die zweite der beiden Geschichten. Diese kontrastiert das Bild, das bisher die Leinwand gestrichen hat. Sie ist nämlich eine vorhersehbare, relativ überschaubare Plaudertasche mit weniger fantastisch konzipierten Pässen zwischen dem Leid der einen Protagonistin und dessen Parallelen zu dem der anderen Protagonistin — vorgeführt als wenig erwähnenswerte Geisterbahn mit mäßiger Auflösung des türmenden Mysteriums. Mehr und mehr zerfällt das Drehbuch in seine Einzelteile und lässt Spannungselemente ersichtlich erscheinen. Der Grusel schaltet auf Autopilot und drängt durch seine dominante Anwesenheit die Brillanz der Geschichte in den Hintergrund. Schlecht ist an dem Part des Filmes überhaupt nichts. Last Night in Soho bleibt alles in allem ein cleveres Konstrukt. Die Ausdrucksstärke und Metaphorik verlieren weder an Ehrlichkeit, noch an erzählerischer Feinheit. Im Vergleich mit sich selbst kann die zweite Hälfte lediglich nicht mit dem Rest des Filmes mithalten und ist proportional betrachtet etwas enttäuschend. Scares zerrinnen ihre Wirkung in repetitiver Manier und bleiben leider zu präsent. Der Plot verliert sich in manischem Geschrei und voluminösen Geräuschen. 

Die größte Rettung dabei ist aber noch, dass sich Edgar Wright trotz der Diskrepanz seiner Akte wenig zu Schulden kommen lässt. Es mangelt nicht an Expertise und erst recht nicht an der Mannigfaltigkeit in Wrights Trickkiste, die Story auf den Bildschirm zu transferieren. Zu kompetent produziert und inszeniert ist der Horror. Wright skaliert innerhalb der Inszenatorik in der Abmischung seiner Ideen und Genres nicht — es wirkt eben. Hierbei schafft er sogar einen flüssigen Übergang zwischen Spannung und seinem als Markenzeichen fungierenden Humor. Außerdem stehen mit Thomasin McKenzie und Anya Taylor-Joy zwei unsagbar fähige Schauspielerinnen in den Hauptrollen, welche beide mit ihrem unbändigen Charisma und Können als Charakterdarstellerinnen das Haus zum Beben bringen. Mit Staunen und Getöse entfesselt Last Night in Soho optisch und erzählerisch einen der interessantesten und individuellsten Thriller der letzten Jahre. Prestigeträchtig leitet die Kamera ihr Publikum durch das Geschehen und entflammt ein Verlangen: Wie auch ihre Figuren vor und nach ihr, kann sich die Zuschauerschaft von dieser einen umhüllenden Stadt nicht lösen.

LAST NIGHT IN SOHO LÄUFT SEIT DEM 11. NOVEMBER 2021 IN DEN DEUTSCHEN KINOS

7.0
Punkte