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Will Graham (William Petersen) ist ein ehemaliger FBI-Profiler, der sich wegen eines psychischen Zusammenbruchs zur Ruhe gesetzt hat, nachdem er von einem kannibalistischen Serienmörder, Dr. Hannibal Lecter (Brian Cox), angegriffen und gefasst wurde. Graham wird in seinem Haus in Florida von seinem ehemaligen FBI-Vorgesetzten Jack Crawford angesprochen, der Hilfe bei einem neuen Serienmörderfall sucht. Graham verspricht seiner Frau, dass er nichts weiter tun werde, als Beweise zu untersuchen und keine körperlichen Schäden zu riskieren, und willigt ein, den jüngsten Tatort in Atlanta zu besuchen, wo er versucht, in die Denkweise des Mörders einzudringen, der von der Polizei wegen der Bissspuren, die seine Opfer hinterlassen haben, nun als “Zahnfee” bezeichnet wird…
Regie: Michael Mann
Drehbuch: Michael Mann, Thomas Harris
Kamera: Dante Spinotti
Schnitt: Dov Hoenig
DarstellerInnen: Peter Mullen, Olivia Coleman
Land: USA
Sprache: Englisch
Länge: 2h2min
Genre: Crime, Horror, Thriller

Viele Jahre habe ich überhaupt nicht von Manhunter gewusst. Obwohl ich Das Schweigen der Lämmer und sämtliche Fortsetzungen und Prequels schon seit einer gewissen Zeit kannte und gesehen hatte, blieb dieser komplett unter dem Radar. Die Offenbarung darüber, dass Das Schweigen der Lämmer gar nicht der Start der Filmreihe um den berüchtigten Dr. Hannibal Lecter ist, war dementsprechend eine extrem große Überraschung. So war ich vehement gespannt auf Manhunter und inwiefern er sich gegenüber den anderen Filmen des Franchises behaupten kann. Die nächste, beinahe noch größere Überraschung zeigte sich dann aber darin, wie stark sich Manhunter in seiner Machart von den anderen Filmen unterscheidet.

Manhunter wurde zu Zeiten seiner Veröffentlichung eher gemischt aufgenommen, zu der Kritiker explizit das Schauspiel und die Dominanz der Visualität zu Ungunsten des Narrativs hinterfragten. Wo Das Schweigen der Lämmer der wesentlich bodenständigere Crime-Thriller ist, ist Manhunter der experimentellere Fiebertraum. In der Inszenierung lässt sich die Handschrift von Regisseur Michael Mann deutlich herauslesen, der wie gewohnt für ein stilsicheres visuelles Erlebnis sorgt. Satte Farbfilter werden über ruhige Einstellungen gelegt, um den dauerpräsenten Neo-Noir-Vibe auch direkt spürbar zu machen. Dabei werden keine thrillertypischen Bilder von dunklen Korridoren, nebligen Straßen oder unaufgeräumten Zimmern gezeigt, um Stimmung aufkommen zu lassen oder Spannungselemente zu generieren. Mann verzichtete auf die bewährte, oftmals effektive Inszenierung düsterer Krimis und wandte leere und stille Kulissen mit hellen Lichtern an, womit ein völlig individuelles Klima herrscht.

Dieser Fokus auf eine andersartige Inszenierung des Genres bildet für mich einen der großartigsten Krimis aller Zeiten. Deswegen möchte ich den vorherig erwähnten Kritikpunkt, der Manhunter zugeschrieben worden ist, korrigieren: Dominanz der Visualität zu Gunsten des Narrativs. Dass primär die Atmosphäre und nicht die Geschichte den Film erzählt, finde ich vom Prinzip her bereits unglaublich interessant, was nochmal umso erstaunlicher wirkt, wenn man sieht, wie fantastisch es funktioniert. Manhunter entfacht beim Schauen ein besonderes Gefühl, das ich bisher ähnlich bei Filmen wie Enemy und Die Klapperschlange hatte. Filme außerhalb des Horror-Genres, die jedoch eine horrorähnliche Atmosphäre erzeugen. Manhunter verfügt über eine derart heftige Sogwirkung, die sich einer komplett anderen Form von Spannung zuordnet. Mit jeder Sekunde, in der sich der Kriminalfall schleichend zuspitzt, verengt sich die Atmosphäre. Die musikalische Untermalung durch den eindringlichen Synthwave-Score bekräftigt diese Atmosphäre nochmal.

Es kombiniert sich zu einem hypnotischen Paranoiagefühl. Als versänke man im Moor, verlangsamt vom Druck gegen den eigenen Körper und verfolgt von etwas, das schneller als man selbst ist und jeden Moment zuschlagen könnte. Und besagtes Paranoiagefühl wird lediglich durch Optik und Akustik vermittelt. Solch eine bedrückende Stimmung wünsche ich mir bei Thrillern. Diese erfasst Manhunter in Perfektion.

Die Storyline des Filmes, basierend auf Thomas Harris Roman Red Dragon aus dem Jahre 1981, verläuft verhältnismäßig relativ basic, jedoch keinesfalls spannungsarm. Die Fahndung nach dem Familienmörder, der über die Medien als “Zahnfee” bekannt ist, wird kompetent in Szene gesetzt. Besonders die Investigationsmethoden des Hauptcharakters Will Graham sind faszinierend anzusehen. Seine außergewöhnliche Fähigkeit den Tathergang durch erkennbare Verhaltensmuster des Mörders und Begutachtung des Tatorts vor seinem geistigen Auge zu rekapitulieren, wird packend eingesetzt. William Petersen spielt diese Figur sehr überzeugend und fällt meiner Meinung nach etwas zu Unrecht in den Schatten von Edward Nortons Performance als der gleiche Charakter. Seine Version des genialen und obsessiven Profilers geht in manchen Momenten sogar wesentlich mehr unter die Haut, als Nortons Darstellung im Film Roter Drache von 2002.

Verwunderlich ist aber ein Aspekt des Filmes: Der Auftritt von Dr. Hannibal Lecter. Dieser wird von Brian Cox verkörpert und unterscheidet sich arg von der Figur, durch die er seinen Kultstatus erlangt hat. Deswegen lässt sich die Performance von Cox nicht wirklich mit der oscarprämierten Leistung von Anthony Hopkins vergleichen. Dennoch hat sowohl die Figur aus Das Schweigen der Lämmer und Nachfolger, wie auch Hopkins Performance einen klaren Vorsprung gegenüber Cox und seiner Version. Eine Herabwürdigung seiner Darstellung soll dies aber nicht sein. Brian Cox bietet ebenfalls eine grandiose Leistung als eine charmante, humorvollere Version Lecters, die ein kleines Highlight unter dem Cast bleibt.

Die Screentime von Lecter hält sich in Manhunter aber stark in Grenzen. Er spielt nicht mal annähernd eine so große Rolle, wie in den späteren Filmen. Gerade weil dieser Charakter eine Grundverschiedenheit zu dem Lecter aufweist, den jeder kennt, wären mehr Szenen mit ihm durchaus wünschenswert gewesen. So unfair das aus dem Standpunkt von Manhunter auch ist, da er den ersten Auftritt des Charakters zu verbuchen hatte und keinen Vorzug eines Filmes nutzen oder berücksichtigen konnte, der noch nicht existierte, fällt der Einfluss Lecters auf die Handlung trotzdem etwas enttäuschend aus. Im allgemeinen werden die Charaktere weniger vertieft, als in den späteren Filmen, allerdings erreicht Manhunter durch eigene Mittel ähnliche Höhepunkte, wie die Interaktionen der Charaktere es in jenen bewerkstelligen.

Das stimmige Neo-Noir-Feeling mit passender Musik und langsamer Kamera erzeugt eine unheimliche Sogwirkung, die Manhunter als leidtragendes Stilmittel charakterisiert. Die Kombination von Bild-, Ton- und Farbkomposition harmoniert makellos und zeugt von einer Machart eines Psychothrillers, wie ich es bisher noch nicht gesehen habe. William Petersen überzeugt in der Hauptrolle und macht die Suche nach dem Mörder permanent ansehnlich. Seine Darbietung, der triefende Score und die paralysierenden Shots kreieren ein sauspannendes Thriller-Erlebnis, das durch seine Priorität auf visuelle Druckmittel extraordinär beklemmend wirkt.

9.0
Punkte