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Ein Agent wird rekrutiert, um einen besonderen Auftrag auszuführen. Er soll den 3. Weltkrieg verhindern. Diesmal ist jedoch keine nukleare Bedrohung der Grund. Es muss eine Person gestoppt werden, die die Fähigkeit besitzt, die Zeit zu manipulieren.
Regie: Christopher Nolan
Drehbuch: Christopher Nolan
Kamera: Hoyte van Hoytema
Schnitt: Jennifer Lame
DarstellerInnen: John David Washington, Robert Pattinson, Elizabeth Debicki, Kenneth Branagh, Michael Caine
Land: USA
Sprache: Englisch
Länge: 2h30min
Genre: Science Fiction, Action, Thriller
Aktuell im Kino

Eine beunruhigende Vorahnung. Ein mulmiges Gefühl begleitete mich in den Kinosaal. Wenige Tage vor dem Starttermin hatte ich die grobe Befürchtung, dass dieser Film meine Erwartungen untertreffen wird. Selbst das Prädikat “solide” wäre für Nolans Verhältnisse eine derbe Enttäuschung, wenn man sich seinen Standard ansieht. Dennoch gab es für diese Vermutung keinen Anhaltspunkt. Woher also rührte diese plötzliche Panik? Wieso machte ich mir negative Gedanken zu einem Film, den ich bis auf kurze Trailer kaum kannte?

Die Wichtigkeit von Tenet für das allgemein doch sehr durchwachsene (Kino-)Jahr soll hier lediglich nochmal als Randnotiz erwähnt sein. Und wen könnte man mit einer derartig schwierigen Aufgabe besser belasten, als Christopher Nolan? Ein für den Großteil als Pionier des Filmemachens geltender Regisseur unserer Zeit, dessen Fanbasis Bände spricht. Auch wenn sich bei vielen seiner Werke die Geister scheiden (wie bei praktisch jeder Filmographie), durfte man sich auf eines verlassen: Dieser Mann würde seine Chance nicht planlos in den Sand setzen. In den letzten Jahren brachte er bis heute gefeierte Filme wie seinen Sci-Fi-Epos Interstellar oder die populäre Traumreise Inception in die Filmwelt, die als Beweis seines hohen Ansehens genügen sollten. Und gerade da wird man hellhörig, denn die Erwartungen an seine Filme steigen mit jedem einzelnen weiter an.

Die Fallhöhe des Filmes, der momentan als weltweiter Rettungsring der Kinos fungiert, ist somit enorm. Die Vorraussetzungen blieben nichtsdestotrotz vielversprechend. Ein Mix aus Action-, Spionage- und Sci-Fi-Thriller mit einer einladenden Besetzung vor und hinter der Kamera, sowie einem ungewöhnlichen und hochinteressanten Konzept. Er wartet auch nicht lange auf ein Grünzeichen und kommt mit einer großen Actionsequenz direkt zur Sache. Dabei stellt er schon in diesen gewaltigen Anfangsminuten klar, dass er keine dahergelaufene Produktion aus zweiter Hand ist.

©Warner Bros.

Die Audiovisualität des Filmes ist erschlagend. Auf Hochglanz polierte Bilder und Kulissen mit einem dröhnenden Sound-Design und einem Score, welcher wie ein Echo durch die Hörkanäle hallt, setzen das Niveau für einen Actionthriller der komplett anderen Art. Hinzu kommen die überwiegend handgemachten Effekte um sich überschlagende Autos und explodierende Flugzeuge. Das technische Niveau des Filmes ist bahnbrechend und hinterlässt einen spürbaren Eindruck. In Kombination mit seinem Gimmick markiert er eine – so theatralisch das auch klingen mag – gewisse Sternstunde der Industrie. Allein durch sein Handwerk etabliert er sich auf den Thron und wirkt wie etwas noch nie Dagewesenes.

Auch die breite Riege der Darsteller weiß bis auf eine Ausnahme, zu der ich gleich noch kommen werde, zu überzeugen. John David Washington verbuchte mit BlackKklansman eine Hauptrolle, die als Bewerbung für zukünftige Hauptrollen durchaus Gewicht hat. Deswegen habe ich persönlich mit heißer Vorfreude auf seine Performance als Hauptdarsteller gesehen und kann nun ebenfalls behaupten, dass er auf ganzer Linie abliefert und auch weiterhin als vielversprechendes Talent der nächsten Jahre nicht außer Acht gelassen werden sollte. Elizabeth Debicki packt die ihr gegebene Möglichkeit am Schopf und bietet eine ebenfalls exzellente Leistung, in der sie ihre immense Ausstrahlung unter Beweis stellt. Der größte Star des Filmes bleibt aber Robert Pattinson, der an Charisma und Charme kaum zu übertreffen ist. Die kleine, bereits erwähnte Ausnahme zeichnet Kenneth Branagh und dient gleichzeitig als eine Eselsbrücke an einen schwerwiegenden Kritikpunkt zum Film, den ich ebenfalls rückwirkend aufgreifen werde. Gecastet wird der britische Akteur als russischer Milliardär und verfehlt dabei jedwede Authentizität seiner Rolle. Der feindselig auftretende Gegenspieler wirkt dadurch plakativ und in seiner Persona unglaubwürdig.

Und obwohl die Oberfläche eines Filmes als visuelles Medium durchaus als Zuganker anzusehen ist, fällt es in den meisten Fällen nicht weniger wichtig aus zu inspizieren, was sich unter ihr verbirgt. Denn daraus schlägt Tenet seinen aufmerksamkeitserregenden Mehrwert. Wie schon mehrfach arbeitet Nolan wieder mit dem Thema Zeit und erschafft daraus einen Spagat, der seine Filme für die Masse so profitabel gestaltet. Seine Filme bieten sich einerseits als Blockbuster und Unterhaltungsmedium wunderbar für die Mainstream-Zuschauerschaft an, unterwandern andererseits aber auch die konventionellen Sehgewohnheiten durch anspruchsvolle Komplexität und Themenvielfalt. Gerade wenn man diesen Aspekt unter die Lupe nimmt, stellt sich automatisch die Frage: Wie genial ist Tenet wirklich?

©Warner Bros.

Inwiefern Tenet wahrlich brilliert liegt hier wirklich in den Augen des Individuums. Es ist eine Frage der Perspektive. Wenn ein Film in seinem Universum Sinn ergibt und nicht ständig mit den Regeln jongliert, erachte ich es als vollkommen passabel. Versucht man einen Film wie diesen mit seinen eigenen Grundkenntnissen zu zerlegen, physikalisch zu hinterfragen und als großes Ganzes zu reflektieren, riskiert man in Sekundenschnelle gegen eine Mauer zu laufen. Dahingehend ist es ratsam, so viel wie möglich schlichtweg auf sich wirken zu lassen und sich in der befahrenen Spur einzuordnen. Das Verständnisproblem beruht dabei auf dem eigenen Fokus. Insgesamt ist Tenet und sein Prinzip der Inversion sogar recht simpel, wenn man es genau nimmt. Und dabei begeht der Film einen beinahe schon fatalen Fehler, denn er verkompliziert sich selbst erst in dem Moment, in dem er damit beginnt sich selbst zu erklären.

Geschätzt sind 85% der Dialoge reine Exposition und werden als Dechiffrierungscode seiner eigenen Prämisse eingesetzt. Durch die von Fachjargons gefüllten Konversationen verfliegt der Explorationsdrang dieser Welt maßgeblich. Dies rüttelt nicht an der Spannung des Plots oder dem Entertainmentfaktor, jedoch verzwickt sich Tenet dermaßen in eine spinnennetzartige Infrastruktur und zeigt solche Mühen Abzweigungen und Schleichwege zu schaffen, dass er die gerade Straße nicht mehr sieht. Dadurch dringt man nie ganz hindurch zum Kern, welcher verschließt, was der Film keineswegs zugeben wollen würde: Bricht man den Film auf sein Konzept herunter und betrachtet dann seine Umgebung, was sieht man? Die tragische Antwort darauf lautet: Nicht viel.

Tenet ist in erster Linie ein Konzeptfilm. Er stellt sein Gimmick in den Vordergrund und setzt dieses auf möglichst prägnante Weise um, damit sein Schutzwall nicht fällt. Würde dieser Wall fallen, könnte man vollends in die Geschichte hineinschauen, welche bedauerlicherweise den niederschmetternden Kontrast zu allem gibt, was Tenet aufbaut. Dieser Film ist unter seinem Deckmantel ein völlig gewöhnlicher Spionagethriller. Hiermit gelangen wir an den Wiederaufgriff des vorher genannten Stichworts – Kenneth Branagh. Eine klischeehafte Figur mit nichtamerikanischer Herkunft im Zentrum des Konflikts. Entfalten tut sich der Film als verworrene Suche nach dem Ursprung der eigenen Motivation. Durch die gekonnte Inszenierung verläuft er nie langweilig oder charakterisiert sich als uninspiriert. Und trotzdem wäre die Bezeichnung “austauschbar” zur Beschreibung des Filmes eine gewesen, die ich lieber vermieden hätte als alles andere.

Ein richtiges Spektakel und Alleinstellungsmerkmal sind die physischen Konfrontationen allemal. Die wuchtigen Action-Szenen erfolgen durch ihre audiovisuelle und inszenatorische Sprengkraft sowie der grandiosen Choreographien. Als Actionthriller setzt Tenet neue Maßstäbe und lässt sich anschauen wie kein anderer. Durch den Input des Skripts hingegen kommen sie nicht flüssig oder leichtfüßig daher, sondern bilden eine zusätzliche Anstrengung. Zwar eine Anstrengung, die es durch seine Aufregung wert ist, aber nicht vollkommen zur Auflockerung der Lage. Es gibt viel zu staunen und noch viel mehr zu bewundern, aber mindestens genauso viel, an dem man hängenbleiben kann.

Von der Action und Prämisse abgesehen bewerkstelligt Tenet wenig Anstalten, sich merklich von seinen Genres abzuheben oder als nennenswertes Vorzeigebeispiel zu festigen. Den Figuren mangelt es an Tiefe und einer genügenden Entwicklung. Hier würden die ersten Kritiker Nolans bereits aufschreien und mit einem Querverweis auf jeden seiner Filme zeigen, die das gleiche Problem mit sich führen. Vielen seiner Filme wird das Fehlen einer Emotionalität nachgesagt. Natürlich auf Basis purer Ansichtssache lässt sich diesem Vorwurf zustimmen. Dennoch empfinde ich in vielen seiner Filme anstelle wahrer Dramaturgie eine tragische Erzählung. Bestes Beispiel für mich wäre mein Favorit von Christopher Nolan, nämlich Memento. Durch die Grundgeschichte schaltet der Film auf Autopilot und reißt mich konsequent mit. Dies hat Tenet zu keiner Sekunde.

©Warner Bros.

Da ist er nun. Der wahrscheinlich meisterwartete Film des Jahres 2020. Der Ton dieses Textes ist als Gesamtbild überaus negativ. Deswegen möchte ich gegen Ende nochmal in komprimierter Form sagen, dass er nur deshalb diesen Ton anschlägt, weil die Enttäuschung größer ist, als alles andere an diesem Film. Ja, Tenet ist beeindruckend und gut auf vielen Ebenen. Einen nachhaltigen Effekt hinterlässt er aber nicht. Dafür hält neben dem bloßen Schein eines herausstechenden Filmes zu wenig her. Wie im Film selbst erklärt: Nicht nachdenken, fühlen. Fühle ich diesen Film retrospektiv in Anbetracht aller Pros und Contras, technisch wie auch inhaltlich? Mehr oder weniger.

SEIT DEM 26. AUGUST IN DEUTSCHEN KINOS

7.0
Punkte