Drehbuch: Paddy Considine
Kamera: Erik Wilson
DarstellerInnen: Peter Mullen, Olivia Coleman
Sprache: Englisch
Länge: 1h33min
Genre: Drama, Romance
Es fällt mir unheimlich schwer, meine Gedanken bezüglich Tyrannosaur zu ordnen und ich weiß nicht, ob ich es schaffen werde, eine ordentliche Review zu verfassen, aber ich gebe mein bestes. Da mein Podcast-Kollege Dorian dem Film die volle Punktzahl verpasst hat, war ich ziemlich gespannt auf den Streifen, jedoch hat mich tatsächlich das “Kino Kontrovers”-Mediabook minimal abgeschreckt, denn Funny Games hatte das selbe Label. Ich weiß, im Grunde ein ziemlich hirnrissiger Grund, aber so bin ich nun Mal – leicht zu verunsichern. Naja, es sei denn es geht um die Dune-Verfilmung von Denis Villeneuve, aber das ist ein anderes Thema. Im Vorhinein konnte mich der Film besonders mit zwei Namen catchen: Olivia Colman und Eddie Marsan. Der Rest des Casts und die Crew, mit Ausnahme von Paddy Considine (Regisseur und Drehbuchautor), sagte mir nicht sonderlich viel und dementsprechend offen ging ich letzten Endes an den Film heran. Hätte ich doch nur ansatzweise gewusst, worauf ich mich da eingelassen habe…
Ich weiß nicht genau, was ich erwartet habe, vermutlich etwas, das tonal in die Richtung von A Clockwork Orange geht, was ja nun auch kein Feel-Good-Film ist und mit seinen Gewaltspitzen zu schockieren weiß. Während dieser Film insbesondere eine Aussage über die Gesellschaft zu vermitteln weiß, geht es im Falle von Tyrannosaur weniger um diese als um Einzelschicksale. Wir folgen zwei Figuren, Joseph und Hannah, lernen sie kennen, erleben Gewalt in ihrem Leben und dabei ist das soziale Umfeld nicht relevant. Dennoch folgt eine bedrückende, niederschmetternde Szene auf die nächste und versetzt den Zuschauer in einen Sog von Gewalttaten, aus dem man einfach nur entkommen möchte, es aber nicht kann.
In der sozial weniger gesegneten Umgebung wird mit Gewalt nahezu offen umgegangen. Der Nachbarsjunge wird von dem Freund seiner Mutter schikaniert, dessen Hund stellt eine Gefahr für sämtliche Menschen dar und auch Joseph, der inmitten von all dem wohnt, scheut keine Konfrontation. Im Laufe des Films sucht er Zuflucht in einem Second-Hand-Shop, mitunter nachdem er seinen eigenen Hund tot getreten hat und einem anderen Laden das Schaufenster eingeschlagen hat. In diesem Second-Hand-Shop lernt er Hannah kennen und verurteilt sie recht früh in Hinsicht auf ihren Glauben, ihre Lebensweise, also ihre Wohnung, Kleidung, etc., und beschimpft sie, obwohl sie ihm nichts böses wollte. Tränen zurückhaltend verweist sie ihn des Ladens und bald darauf wird dem Zuschauer bewusst, worum es in diesem Film eigentlich geht. Nicht um soziale Umstände, sondern um den Horror, der sich selbst hinter schönen Fassaden abspielt. Der Schein kann trügen.
Im Laufe der Handlung wird einem Joseph immer wieder in gewissen Momenten symphatisch. Ihn am Ende des Tages als einen symphatischen Menschen zu bezeichnen, oder gar einen guten, wäre alles andere als richtig, aber in gewisser Weise versteht man zumindest eine Handvoll seiner Wesenszüge und möchte, dass die Abwärtsspirale, die ihn und Hannah umfasst, endlich aufhört. Letztere wächst einem immer mehr ans Herz und somit fiebert man insbesondere in ihren Szenen mit ihr mit. Ihr wird genügend Charaktertiefe verpasst, um nahezu jede ihrer Handlungen nachzuvollziehen und selbiges gilt in Ansätzen für Joseph, auch wenn hier einiges mehr im ungewissen bleibt. Auch nicht wenige Nebenfiguren sind hochinteressante Figuren. Ich denke da beispielsweise an Hannah’s Ehemann James, die Tochter eines Freundes von Joseph und den Nachbarsjungen Samuel.
Was Tyrannosaur neben Paddy Considines phänomenaler und gnadenloser Inszenierung absolut in die Höhe zieht, sind seine Schauspieler. Von Peter Mullan habe ich zuvor zugegebenermaßen noch nie gehört, auch wenn ich schon zwei Filme mit ihm in einer der Nebenrollen gesehen habe. In diesem Film hat er mich absolut aus den Socken gehauen. Er spielt absolut hervorragend und weiß mit seiner Figur definitiv umzugehen. Selbiges gilt für Olivia Colman, die schauspielerisch jeden anderen Darsteller in diesem Film in den Schatten stellt und eine mehr als phänomenale Darbietung abliefert. Jede Facette ihrer Figur spielt sie perfekt und an ihrem schauspielerischen können dürfte niemand mehr nach diesem Film zweifeln.
Die Kameraarbeit in diesem Film ist vergleichsweise untypisch. Considines verzichtet auf einen wackligen Look, wie man ihn beispielsweise in Dancer in the Dark finden kann und filmt stattdessen mit ruhigen Bildern. Das lässt die Geschehnisse keinen Deut weniger real oder brutal wirken, sondern erzielt vielleicht sogar das Gegenteil und zeigt ein weiteres Mal auf, dass die Gewalt allgegenwärtig ist und sich auch hinter schicken Wänden versteckt. Auch der Schnitt weiß zu überzeugen, was mich persönlich allerdings auch wirklich packen konnte, war der Soundtrack, die Songauswahl des Films. In den meisten Momenten schmerzhaft passend und irgendwo doch gar schön.
Ich weiß nicht, ob diese Rezension jemandem weiterhelfen wird, oder ob sie mir gelungen ist. Was ich aber weiß, ist, dass sie mir viel bedeutet. Tyrannosaur war für mich eine ganz neue Erfahrung. Etwas, dass ich das letzte Mal in dieser Härte mit Martyrs erlebt habe. Ich kann nicht so ganz einordnen was ich bezüglich des Films fühle, seine Message hat er definitiv erfolgreich übermitteln können und das gleich auf mehreren Wegen. Schauspielerisch phänomenal und inszenatorisch stark kommt Paddy Considines Regiedebüt Tyrannosaur daher und ich bin gespannt was seine Filmografie noch zu bieten hat/haben wird.