SynopsisCrewDetails
Emi, eine Lehrerin, findet ihre Karriere und ihren Ruf bedroht, nachdem ein persönliches Sex-Tape im Internet veröffentlicht wurde. Emi wird gezwungen, sich mit den Eltern zu treffen, die ihre Entlassung fordern, und weigert sich, ihrem Druck nachzugeben…
Regie: Radu Jude
Drehbuch: Radu Jude
Schnitt: Catalin Cristutiu
Kamera: Marius Panduru
Schauspieler*innen: Katia Pascariu
Produktionsjahr: 2021
Land: USA
OT: Babardeala cu bucluc sau porno balamuc
Sprache: Rumänien
Länge: 1h44min
Genre: Drama, Gesellschaftskritik, Satire

Bad Luck Banging or Loony Porn beginnt mit einem circa fünfminütigen Porno. Während man im ersten Moment leicht unangenehm berührt möglichst ohne eine Miene zu verziehen nach vorne auf die Leinwand starrt, um den Blicken der anderen Kinozuschauern auszuweichen, eröffnet Radu Jude damit auf eine kontroverse Weise einen kontroversen Film. Das Schmuddelfilmchen eröffnet, gedreht von der Lehrerin Emi und ihrem Liebhaber, die Handlung des diesjährigen Berlinale-Gewinners auf ausbeuterische, aber hochgradig effiziente Weise. Was folgt, sind drei eng gezurrte Akte, die mit völlig voneinander distinktiven Inszenierungen die Widersprüchlichkeit und Heuchlerei unserer gegenwärtigen Gesellschaft thematisieren.

Im ersten Akt folgt Jude Emi durch die rumänische Hauptstadt Bukarest, wie sie Geschäfte erkundet, ihre Familie besucht und dazwischen durch die überfüllten und lauten Straßen hetzt. Immer wieder löst sich die Kamera jedoch von der Protagonistin und schwenkt auf symbolische Merkmale in Schaufenstern und Hausfassaden, die subtil die Kernthematik des Films verraten. Deutlich auffälliger ist jedoch die Art der Darstellung der Covid-19-Pandemie. Während die andauernde Pandemie in fiktionalen Werken bislang eine geradezu schauerliche Unsichtbarkeit an den Tag legt, scheut Jude sich nicht, die veränderte Realität, in der wir seit 1,5 Jahren leben, in seine Erzählung einzuweben.

Während dieses Merkmal inhaltlich kaum Relevanz hat, ist es doch auf eine gewisse Weise erfrischend zu sehen, wie Mund und teilweise auch Nase vieler Passanten mit OP-Masken bedeckt sind, wie sie bei nächstbester Gelegenheit unter das Kinn gezogen werden, wie das Gespräch in einer gemeinsamen Runde irgendwann immer wieder auf pandemische Symptome wie Abstandsregeln oder Kontaktsperren abdriften. Diese Porträtierung wirft bei mir immer wieder die Frage auf, wieso es ein solch prägendes Weltereignis immer nur in ein fiktives Medium schafft, wenn es auch als zentrales Thema gehandhabt wird. Bei Blockbustern, die sich rein über ihren Eskapismus definieren, ist es verständlich; in kleineren Indie-Produktionen sollte aus meiner Sicht jedoch langsam der Mut aufkommen, sich der Realität zu stellen. Radu Jude tut genau das.

Im zweiten Kapitel – letztlich ein überlanges Intermezzo – offenbart Jude nach dem bereits expliziten Start schlussendlich final, was für einen außergewöhnlichen Film er schaffen wollte. Er selbst nennt es “ein kleines Lexikon von Anekdoten, Symbolen und Wunder”. Das beschreibt gut, wie er sich völlig von seiner Narrative löst, um wörterbuchähnlich eine lange Liste an Begriffen abzuarbeiten, die er nicht nur mit schriftlichen Beschreibungen, Gedichten, Texten oder Erklärungen hinterlegt, sondern auch mit einem Sammelsurium an kleinen Clips, die zwischen Found Footage-Filmchen, Stock-Videos und Archivaufnahmen wechseln.

Die dargestellten Begriffe reichen von Religion, Geschlechtsteilen und Bücherregalen bis hin zu Faschismus und Kommunismus. Verbunden werden sie jedoch alle mit der gleichen Richtung, in die sich insbesondere ihre untertitelten Texte bewegen. Jude zählt in seinem “Lexikon” nämlich alle Absurditäten und Widersprüchlichkeiten der Gesellschaft auf, die ihm einfallen. In der meisterhaft zusammengeschnittenen Collage spürt man die Wut des Regisseurs auf sein Land, auf seinen Kontinent und auf seine Welt – die sich in allen Lebenslagen, in allen Objekten und in allen Theorien widerspiegelt. Seine lexikalische Abhandlung wirkt zwar wenig akademisch oder philosophisch, aber Judes anhaltend durscheinender Groll macht sie zumindest ehrlich und dadurch weitaus packender und niemals trocken. Es ist dabei die Aufgabe des Zuschauers, die Aussagen des Regisseurs kritisch zu hinterfragen – die Motivation dazu schafft dieser grandiose zweite Akt allemal.

Im finalen dritten Akt kehrt Radu Jude zu seiner Erzählung zurück, in der Emis Schüler ihr Sextape auf Pornhub entdeckt haben und nun auf einem Elternabend über ihre Zukunft als Lehrerin gerichtet werden soll. Jude entscheidet sich hier, nach der groß angelegten, aber oberflächlich bleibenden Abrechnung im zweiten Teil bei einem bestimmten Begriff weitaus tiefer ins Detail zu gehen. Und zwar über die Diskussion der Eltern mit Emi selbst: Traumatisiert Emis Sextape ihre Kinder? Fehlt ihnen nun der Respekt vor ihr als Autoritätsperson? Ist es nicht schlicht unanständig – gerade für eine Lehrerin – solche “Schweinereien” öffentlich zu teilen? Oder ist es nicht eigentlich die Aufgabe der Eltern, dafür zu sorgen, dass ihre Kinder solche Seiten überhaupt nicht besuchen? Und kann sie außerhalb ihres Berufs nicht das ausleben, was sie möchte, solange es sich im gesetzlichen Rahmen bewegt? Und gehört Sex nicht ohnehin zu unserem Alltag, wieso sollte man das Thema vor Kindern tabuisieren?

Er zeichnet mit dieser Beleuchtung dieses einen Themas ein präzises Bild von seinem Bild der verkommenen und heuchlerischen Gesellschaft. Es wirkt bisweilen wie eine Schulstunde eines wahnsinnig gewordenen Philosophie-Kurses, in dem wirklich jedes blöde Argument irgendwann sein Wort findet. Von Minute zu Minute wird die aus dem Ruder laufende Diskussion chaotischer, womit Jude zudem eine herausragende Parallele zum gegenwärtigen politischen Diskurs zieht – denn die Dialektik, die hier an den Tag gelegt wird, erinnert an das ständige Durcheinanderreden in Sendungen wie Hart aber Fair, Lanz & Co.

Doch genau wie in solchen zurecht kritisierten Talkshows steigt mit der zunehmenden Entgleisung der Diskussion auch geradezu proportional der Unterhaltungswert, der damit einher geht. Die ständigen Wortgefechte fesseln einen an die Leinwand und zwingen einen geradezu dazu, sich selbst ein Bild über diese Frage zu machen. Abgeschlossen wird der Akt letztlich mit einer “Aufzählung” verschiedener möglichen Enden, von denen die letzte die absurde Unterhaltung, die sich im Laufe des Diskurses immer weiter abzeichnete, auf einen völlig verrückten Höhepunkt bringt.

Bad Luck Banging or Loony Porn ist in seiner ungeschliffenen Form, in der er sich präsentiert, ein wahres Juwel des Arthouse-Kinos. Ein wildes Werk aus einzelnen Ideen und der simplen Wut auf eine immer wahnsinniger werdende Gesellschaft. Während all das nie wirklich rund scheint und immer mehr wie ein Konzept wirkt als wie ein fein geschliffener Film – so fällt der langsame erste Akt unangenehm stark aus dem Muster der beiden Folgekapitel –, ist die schiere Unverblümtheit, die Direktheit und die Abkehr von jeder populären Norm des Mediums eine Faszination ihresgleichen. Man muss Judes präsentierter Meinung gerade im Zwischenkapitel auf keiner Weise zustimmen, zum Nachdenken sollte er mit seinem Film aber jeden Zuschauer gebracht haben. Bad Luck Banging ist ein wahnsinniger Film in einer wahnsinnigen Welt – und vielleicht gerade deshalb so genial.

8.5
Punkte