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Barry (Ryan O’Neal), ein ebenso armer wie ambitiöser Bursche vom Lande, will mit allen Mitteln in die erlauchten Kreise der Aristokratie emporkommen. Durch die Heirat mit der schönen Baronin von Lyndon (Marisa Berenson) gelingt ihm dies, aber schon bald muss er feststellen: Adel vernichtet.
Regie: Stanley Kubrick
Drehbuch: Stanley Kubrick, William Makepeace Thackeray
Kamera: John Alcott
Schnitt: Tony Lawson
DarstellerInnen: Ryan O’Neal, Marisa Berenson, Leon Vitali, Dominic Savage
Land: Großbritannien, USA
Sprache: Englisch
Länge: 3h5min
Genre: Drama, Romance, Krieg

Zwischen 2001: Eine Odysee im Weltraum, The Shining oder Uhrwerk Orange schien Kubricks Kostümdrama Barry Lyndon immer in der zweiten Reihe zu laufen, ohne wirklich viel Aufmerksamkeit zu generieren. Woran liegt es, dass Barry Lyndon stets hinter seinen scheinbar größeren Brüdern zurückbleibt, wenn es irgendwo um die Werke eines des prestigeträchtigsten Regisseure aller Zeiten geht…? Nun, daran, dass man die Handschrift von Stanley Kubrick nicht erkennen würde, kann es nicht liegen. Denn bereits nach den ersten fünf Minuten erkennt man unvermeidlich die Feder eines seiner Filme: Emotional kaum zugänglich, glorreiche Aufnahmen und stets bedacht auf die Abgründe des Menschseins. In der Thematik zeigt sich Kubrick mit Barry Lyndon typisch divers – vom ersten Weltkrieg ins antike Rom, in die nahe und weit ferne Zukunft versucht er sich diesmal an klassichem Periodendrama, gesetzt in der mitteleuropäischen bzw. britischen Aufklärung im 19. Jahrhundert. Mit diesem Genre einher kommen auch in Kubricks Film die meisten der bekannten Konventionen: Aufwendige, teils historisch bedingt geradezu absurde, Kostüme und Make-Up, steife Umgangsformen, verräterische Spiele am Hofe und vielsagende romantische Blicke zwischen Mann und Frau. Wer davon kein Fan ist, wird in Barry Lyndon sicherlich auch keine Erfüllung finden, dies nur als Vorwarnung.

©Warner Bros.

Behandelt wird in Barry Lyndon gemäß seiner literarischen Vorlage von 1844 das Leben eines irischen Abenteurers – ihn Hochstapler zu nennen, würde aber auch nicht allzu fern liegen -, dessen Aufstieg durch mehrere Armeen und Adelsränge sowie der tiefe Fall in die Bedeutungslosigkeit: Die Spannweite der Geschichte entspricht also zweifellos der epischen Laufzeit von drei Stunden. Kubrick klappert dabei alle Stationen des Lebens ab, spricht über die Liebe, den Krieg, das Geld und die Gier, und stellt einen Helden dar, der so eigentlich nicht genannt werden sollte. So ist er völlig morallos, ohne Reue und Gewissen. Würde man nach einer gegenwärtigen filmischen Parallele suchen, würde einem sicherlich The Wolf of Wallstreet in den Kopf geraten, um ein grobes Bild der Geschichte zu vermitteln. Ähnlich wie im Börsen-Drama von Martin Scorcese hat Barry Lyndon im zweiten Teil des Films (beide Teile sind tatsächlich durch Texttafeln voneinander separiert) bereits alles erreicht, was er erreichen wollte: Im Hochadel ist er angekommen, mit Frau, Kind und einem eindrucksvollen Palast. So verliert der Film in diesem Teil seinen Stationen-Charakter völlig und verbleibt in einer stationierten Natur. Erst jetzt merkt man Barry Lyndon seine Länge wirklich an, da viel von dem durch die zahlreichen Szenenwechsel bedingten Tempo herausgenommen wird. Überraschend kurzweilig bleibt der Film auch hier noch, doch wird zugegebenermaßen das ein oder andere Mal tatsächlich die Geduld des Zuschauers auf die Probe gestellt.

©Warner Bros.

Der Charakter des Barry Lyndon steht stellvertretend für den gesamten gleichnamigen Film. Kühl und distanziert ist er unterwegs, die Dinge, die um ihn herum passieren, scheinen ihn kaum zu tangieren. Während die Welt um ihn ihren Lauf nimmt, nimmt Barry die Entwicklungen einfach hin und setzt seinen eigenen Weg unbeeindruckt fort. Es gibt gerade mal zwei Ereignisse im gesamten Film, in denen wir Barry wirklich aus sich herauskommen sehen, in der er seinen Emotionen freien Lauf lässt. Sonst sind es weder Verluste noch Triumphe, die ihm nahe gehen zu scheinen. Stellvertretend für den Film ist all das deshalb, weil Stanley Kubrick diese Distanziertheit auch mit seiner Inszenierung weiter in den Vordergrund rückt. Emotionale Höhepunkte sucht man fast durchgehend vergeblich, man fühlt mit kaum einem Charakter mit und beobachtet schlicht und einfach, was passiert und was Barry Lyndon als nächstes anstellt.

Das entzieht einem natürlich das emotionale Investment, das man gerne in solche Charakter-Epen stecken würde, gleichzeitig ist es aber auch eine recht akkurate Darstellung der Zeitperiode, in der Kubricks Film angesiedelt ist. Die Zeit der Aufklärung war nun mal eine extrem vernunftgesteuerte, in der Emotionen kaum Platz hatten. Vernunft war das oberste Gut, und so ist es auch in Barry Lyndon. Das Sehvergnügen steigert das ehrlicherweise nicht unbedingt, die akkurate filminszenatorische Abbildung des damaligen Zeitgeists ist Kubrick dennoch nicht abzusprechen. Denn auch das zweite Merkmal der Philosophie der Aufklärung, die sich um die Nichtigkeit und Bedeutunglosigkeit des menschlichen Seins dreht, ist mit der Passivität des Protagonisten porträtiert. Zumal Kubrick diese emotionale Kühle immer wieder mit scharfen, fantastisch geschriebenen Dialogen ausgleicht, die zwar zeitgemäß steif anklingen, aber ab und an fast schon satirisch anmuten und herrlichen Spaß bereiten.

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Verkörpert wird Barry Lyndon von Ryan O’Neal, der wirklich alles andere als charismatisch auftritt. Es wirkt bisweilen geradezu laienhaft, wie er ohne seine Mimik irgendwie zu verändern, seine Linien herunterrattert. Aber auch hier: Denkt man etwas darüber nach, ist O’Neal wahrscheinlich sogar ein richtig guter Mann für die Rolle, so soll Barry Lyndon schließlich ein emotionsloser Narzisst sein, der nicht gerade Sympathie versprüht. Auch alle anderen Darsteller wirken nicht gerade passioniert. Sie sehen in ihren aufwändigen Kostümen sicherlich anmutig aus und einige, gerade die spätere Ehefrau von Barry Lyndon, haben auch eine eindrucksvolle Szenenpräsenz, wirklich leidenschaftlich ist hier aber nichts. Letztendlich scheint das aber auch in den Fällen der Nebencharaktere schlicht so gewollt. Hier bin ich also zwiegespalten.

Wo überhaupt keine Zweifel bestehen, sind stattdessen alle technischen Aspekte, die zum Filmemachen dazu gehören. Genregemäß sind die Kostüme so imposant und zeitgemäß wie sie sein sollten: Hautenge, weiße Kniestrümpfe, Rüschen an Handgelenken und Hälsen, glorreiche Korsettkleider für die Damen und völlig überzogene, widerum die Emotionen verdeckende (wo wir wieder beim Thema sind) Schminke für beide Geschlechter. Die gesamte Austattung auch außerhalb von reiner Kostümierung ist nicht weniger als eindrucksvoll – die Schlösser, die Landschaften und die riesigen Innenräume. Umso besser, dass Kubrick all das meisterhaft in Szene setzen lässt. Ständig beginnt er nah am abzubildenden Objekt, nur um dann langsam herauszuzoomen und die gesamte staunenswerte Kulisse der Szene in voller Kraft hervorzuholen. Ständig kommt das vor – gerade in der ersten Hälfte – und es wird einfach nicht alt, es bleibt Stunde für Stunde immer wieder eindrucksvoll. Zahllose Shots erinnern an Gemälde, die man in Museen bestaunen könnte. Unterlegt wird all das von einem nicht minder beeindruckenden Soundtrack. Händel, Bach, Vivaldi, Mozart – es wird die ganze Riege klassischer Musik heruntergespielt, die Szenen eine mächtige, aber zeitgemäße Epik verleiht. Gerade, wenn Händels Sarabande gespielt wird, bin ich hin und weg. Ja, Barry Lyndon ist inszenatorisch perfekt und eigentlich nicht besser zu gestalten.

©Warner Bros.

Barry Lyndon mag für viele Menschen nicht viel mehr als Langeweile bedeuten. Verübeln kann man es ihnen nicht, so emotionslos Kubrick seine englischen Aristokraten umherziehen lässt. Der Film ist lang, nicht gerade spannend und kann ebenso wenig einen empathischen, aktiven Protagonisten aufweisen. Aber: Gleichzeitig ist Barry Lyndon ein Exemplar von regietechnischer Bravour. Der Film spricht nicht nur über die Aufklärung, er ist die Aufklärung. In allem, was er zeigt. Kubrick illustriert eine Zeitepoche – mit Epik, satirischen und kritischen Zügen, und vor allem mit einer gewissen Verwegenheit, die aus meiner Sicht jegliche drohende Langeweile beiseite fegt. Auch wenn er nicht die filmhistorische Bedeutung wie ein 2001 oder andere Werke seiner Filmografie aufweist, zeugt Barry Lyndon von einer enormen Grandesse in zahlreichen Disziplinen, die ihn weit mehr als sehenswert macht.

8.5
Punkte

Pros

  • Beeindruckende Austattung
  • Gemäldereife Aufnahmen
  • Großartige musikalische Untermalung
  • Perfekte Illustration der Aufklärung
  • Form follows function wurde hier perfektioniert

Cons

  • (Absichtlich) lahme Schauspieler
  • Sehr emotionslos, wodurch man niemals wirklich mitfühlen kann