Ein ausgesprochen denkwürdiges Jahr neigt sich dem Ende entgegen. Auch wenn es das Kino und die gesamte Filmindustrie nicht leicht hatten, habe ich für meinen Teil noch nie zuvor so viele Filme gesehen wie 2020. Über 315 Stück. Davon sind allerdings nicht einmal 15 Filme aus diesem Jahr. An einer mageren Auswahl lag es entgegen der logischen Schlussfolgerung allerdings nicht. Vergleicht man die Zahlen der in den letzten Jahren erschienen Filme mit der von 2020, lässt sich kein ungewöhnlicher Rückgang an Veröffentlichungen erkennen.

2019 habe ich beispielsweise 23 Filme aus diesem Jahr angeschaut, inzwischen sind es 64. Das bedeutet, dass ich viele neue Filme erst im darauffolgenden Jahr anschaue, weil sie entweder hier in Deutschland überhaupt nicht verfügbar sind oder erst später nach ihrer Premiere auf einigen Festivals einen deutschen Release erhalten. Die wirklich interessanten Filme wie Minari (DE-Release: 11.03.21), Nomadland (DE-Release: 18.03.21) oder The Father (DE-Release: 22.04.21) kann ich mir somit hoffentlich 2021 ansehen.

Ich habe mich also dieses Jahr, ganz nach dem Motto meines Textes Filme schauen – eine Wissenschaft für sich, hauptsächlich auf ältere Filme konzentriert, welche aus den verschiedensten Gründen als Meisterwerk oder Meilenstein betitelt werden. Das war auf der einen Seite eine sehr interessante Erfahrung, da ich so auf die unterschiedlichsten Filme aus aller Herren Länder gestoßen bin und praktisch vor kaum einem Genre oder Filmemacher haltgemacht habe. Auf der anderen Seite habe ich feststellen müssen, wie selten meine persönliche Meinung zu diesen Werken mit denen der Allgemeinheit übereinstimmte. Fast immer konnte ich den Filmen zwar etwas abgewinnen, seien es die Machart, die Dialoge oder die Kameraarbeit, kaum jedoch habe ich wirklich ein Gefühl von Begeisterung verspürt. Woran das liegt, habe ich tatsächlich herausfinden können, und ich möchte diese Erfahrungen und Empfehlungen im Folgenden ein wenig mit euch teilen. Also genug der trockenen Theorie, es wird Zeit für Beispiele!

Japanisches Kino

Ein flächenmäßig nicht sonderlich imposanter Inselstaat im Osten von Asien besitzt eine der renommiertesten Filmszenen der Welt. Dementsprechend überrascht es wenig, dass bei mir mit 36 Stück fast jeder neunte Film dieses Jahr aus Japan kommt.

Da im Frühjahr fast alle Filme aus dem Hause Ghibli auf Netflix gelandet sind, habe ich endlich noch ein paar davon nachholen können. Kikis kleiner Lieferservice, Arrietty – Die wundersame Welt der Borger, Die Legende der Prinzessin Kaguya oder Porco Rosso haben mir allesamt gut gefallen und bewiesen, was für großartige Geschichten man für Jung und Alt zugleich erzählen kann. Am besten hat mir allerdings ein erwachsener und aktuell der letzte Film von Hayao Miyazaki gefallen. Wie der Wind sich hebt spielt während des Zweiten Weltkriegs und begleitet einen jungen Mann auf seinem Traum, ein Flugzeugkonstrukteur zu werden. Doch nicht nur der Krieg, sondern auch die Liebe kollidieren immer wieder mit seiner Leidenschaft und lassen ihn an seinen ursprünglichen Plänen und Wünschen zweifeln. Der in meinen Augen erwachsenste Film von Miyazaki hat mich trotz oder vielleicht genau wegen der fast gänzlich fehlenden magischen Elemente in seinen Bann gezogen.

Wie der Wind sich hebt

Eine ganze Schippe düsterer und verworrener sind die Filme von Satoshi Kon, dessen leider viel zu kurze Filmografie ich dieses Jahr mit Paprika, Tokyo Godfathers und dem phänomenalen Millennium Actress vervollständigt habe. Eine definitive Empfehlung an jeden, der normalerweise mit Animations- bzw. Zeichentrickfilmen nicht viel anfangen kann. Mehr möchte und kann ich an dieser Stelle gar nicht verraten, da, mit Ausnahme von Tokyo Godfathers, seine drei anderen Werke eine visuell und erzählerisch einzigartige Erfahrung sind, wie es nur in diesem Genre möglich ist.

Der Regisseur, von dem ich 2020 die meisten Filme gesehen habe, steht dem großen Akira Kurosawa in nichts nach: Masaki Kobayashi. Seine monumentale Trilogie The Human Condition mit einer Gesamtlaufzeit von über neun Stunden habe ich mir nach einem spontanen Entschluss innerhalb von nur fünf Tage komplett angeschaut. Allein durch diese Länge eine besondere Erfahrung, wenn auch keine “schöne”. Krieg, Sklaverei, Tod, Leid und Grausamkeit. Im Mittelpunkt dieser mal wieder im Zweiten Weltkrieg angesiedelten Geschichte befindet sich Kaji. Ein junger, intelligenter Mann, der für das Gute im Menschen steht und immer wieder dafür kämpft. Dabei treibt ihn die unübertroffene Liebe zu seiner Frau Michiko an, welche ihm unvorstellbare Kraft verleiht, allen Hindernissen zu trotzen. Ein trotzdem keineswegs kitschiger Kern, der einen zusammen mit den einnehmenden Bildern und der umfangreichen Handlung stets am Ball bleiben lässt, sich aber in meinen Augen mit der Zeit abnutzt und an Kraft einbüßt. Wer nicht ganz so viel Geduld hat und es etwas bunter mag, dem empfehle ich Kwaidan, ebenfalls von Kobayashi. Dieser besteht aus insgesamt vier verschiedenen, auf alten japanischen Geistergeschichten basierenden Erzählungen.

The Human Condition

Damit dieser Text nicht zu lang wird, hier noch kurz aufgezählt ein paar weitere Empfehlungen des japanischen Kinos, die ich 2020 gesehen habe:

Angel’s Egg
Cure
Die Frau in den Dünen
Like Father, Like Son
Why Don’t You Play in Hell?